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Keine Arbeit für junge Menschen

Von Isabel Stettin / 26. August 2014
picture alliance / Panther Media | Boris Zerwann

2004 galt Slowenien noch als vielversprechendes EU-Beitrittsland. Zehn Jahre später ist der Staat gezeichnet von der Finanz- und Wirtschaftskrise. Vor allem die slowenischen Jugendlichen sehen mit Sorge in die Zukunft. EU- und Slowenien-Fahnen schmückten am 1. Mai 2004 die Straßen Ljubljanas. Auf dem Prešerenplatz bejubelten Tausende den EU-Beitritt. Fast 90 Prozent der Slowenen hatten sich […]

2004 galt Slowenien noch als vielversprechendes EU-Beitrittsland. Zehn Jahre später ist der Staat gezeichnet von der Finanz- und Wirtschaftskrise. Vor allem die slowenischen Jugendlichen sehen mit Sorge in die Zukunft.

EU- und Slowenien-Fahnen schmückten am 1. Mai 2004 die Straßen Ljubljanas. Auf dem Prešerenplatz bejubelten Tausende den EU-Beitritt. Fast 90 Prozent der Slowenen hatten sich im Referendum dafür ausgesprochen. „Vor zehn Jahren konnte man von einer EUphorie sprechen, damals gab es sogar Euro-Brot in den Bäckereien“, erzählt der Slowene Matej Klaric, der über den Wandel Sloweniens im globalen Kontext promoviert und in Ljubljana wohnt.

„Die Slowenen haben den Beitritt stark befürwortet, vor allem weil die Europäisierung die Leitideologie in der Umbruchphase zur Demokratie war“, sagt Klaric. „Man orientierte sich weg vom bösen Balkan und hin zum zivilisierteren Westeuropa.“

Unter den zehn Beitrittsländern der EU-Osterweiterung galt Slowenien als wirtschaftlich stabiler und vielversprechender Neuzugang. Die Sozialistische Republik Slowenien war die industrialisierteste und wohlhabendste Teilrepublik Jugoslawiens. Seit der Unabhängigkeit 1991 war der EU-Beitritt das wichtigste Ziel der slowenischen Außenpolitik.

Metka Kuhar, Professorin an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Ljubljana (Foto: Isabel Stettin)
Metka Kuhar, Professorin an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Ljubljana (Foto: Isabel Stettin)

„Slowenien war eines der ersten Länder mit sozialistischer Vergangenheit, das der EU beigetreten ist“, sagt Metka Kuhar, Professorin an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Ljubljana. „Als eine der ehemaligen jugoslawischen Republiken repräsentiert es den einzigartigen Fall eines mediterranen Landes, das in weniger als 15 Jahren den Wandel vom Staatssozialismus zur Marktwirtschaft vollzogen hat.“

Der Schock der Krise

Als erstes Land der Osterweiterung hat Slowenien 2007 den Euro eingeführt. Die kurz darauf folgende Finanz- und Wirtschaftskrise hat das Land jedoch schwer getroffen. 2004 lag die Arbeitslosenquote noch bei 6,3 Prozent und damit unter dem EU-Durchschnitt, heute sind es um die zehn Prozent. Der nach dem EU-Beitritt langsam gestiegene Lebensstandard sinkt inzwischen wieder. Jüngste Meinungsumfragen haben gezeigt, dass 44 Prozent der befragten Slowenen zufrieden und 50 Prozent unzufrieden mit der EU sind.

„Es scheint, dass die EU immer mehr auf ökonomischen Interessen basiert“, kritisiert Goran Lukič von der Union der freien Gewerkschaften in Slowenien (ZSSS). „Die Vertreter der EU ebenso wie die nationalen Regierungschefs müssen sich mehr für anständige Lebensbedingungen in allen Mitgliedsstaaten einsetzen.“

Die EU dürfe nicht zu einem Gemeinschaftsraum von Sozialdumping und der Ausbeutung von Arbeitskräften verkommen. „Vor der Krise gab es in Slowenien einen Bauboom. Danach sind viele der großen Bauunternehmen pleite gegangen“, berichtet Lukič. Mehr und mehr Bürger seien von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht, 2012 seien es knapp 400.000 gewesen, ein Fünftel der Bevölkerung.

Aufstände in Slowenien

Korruptionsvorwürfe, Arbeitslosigkeit und soziale Missstände führten Ende 2012 zu Aufständen im ganzen Land. „Der Ruf der slowenischen Erfolgsgeschichte wurde Ende 2012 durch die Massenproteste erschüttert“, meint der Slowene Gal Kirn, Forschungsstipendiat an der Humboldt-Universität Berlin. Er sieht die Aufstände in einer Reihe mit Unruhen in anderen EU-Staaten wie Griechenland, Spanien und Italien. 2013 kam es zu massiven Generalstreiks mit 20.000 Arbeitern, die in 14 Städten demonstrierten. Die Demonstrationen mündeten in einer Regierungskrise und dem Rücktritt mehrerer Spitzenpolitiker.

Besonders hart trifft die Krise die jungen Slowenen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei etwa 23 Prozent. Viele junge Slowenen haben nicht mehr als 600 Euro im Monat zur Verfügung. Rund 70 Prozent der 18- bis 34-Jährigen leben noch bei ihren Eltern. Gleichzeitig stehen mehr als 150.000 Wohnungen leer.

„Innerhalb der EU gehört Slowenien zu den Staaten mit dem höchsten Durchschnittsalter, in dem junge Männer und Frauen das Elternhaus verlassen. Verlängerte Ausbildungszeiten und Probleme bei der Arbeitssuche sind gängige Erklärungen“, sagt Professorin Kuhar. „Für die Mehrheit der jungen Slowenen ist die Familie die wichtigste Unterstützung. Vertrauen aber auch Abhängigkeit sind stark und nehmen zu.”

So lange wie möglich Student sein

Feste, langfristige Arbeitsverträge sind rar. „Viele Slowenen versuchen, so lang wie möglich an der Universität zu bleiben, weil sie so immerhin Studentenjobs bekommen“, sagt Goran Lukič. „Viele Studenten sind keine wirklichen Studenten mehr, sondern arbeiten Vollzeit – für weniger Geld.“ Sie hangeln sich von Projekt zu Projekt, von einem befristeten Arbeitsvertrag zum nächsten.

„Verglichen mit anderen Gruppen haben Studenten in Slowenien viele Rechte. In fast jedem Restaurant gibt es Rabatte, der Staat bezuschusst jede Mahlzeit mit 2,63 Euro. Im Studentenwohnheim kostet ein Zimmer nur zwischen 60 und 120 Euro“, sagt Matej Klaric.

„Die Probleme beginnen meist erst nach dem Abschluss. Im vergangenen Jahr ist der Anteil von jungen Unbeschäftigten in Slowenien so stark gestiegen wie in keinem anderen Land in der EU“, sagt Klaric. „Mehr als 80 Prozente der jungen Slowenen befinden sich in prekären Arbeitsverhältnissen, das ist EU-Rekord. Die Arbeitgeber decken die Krankenversicherung nicht, die Altersvorsorge ist schlecht, eine Kündigung jederzeit möglich.“

Viele sehen nur einen Ausweg: eine Zukunft in Österreich oder Deutschland. „Für die gleiche Arbeitsleistung bekommt man dort doppelt oder dreimal so viel wie in Slowenien“, sagt Matej Klaric.„Ich lebe sehr gern in Slowenien. Die Lebensqualität ist immer noch gut und meine kleine Heimatstadt sehr schön. Aber wenn sich die Situation nicht bessert, werde ich mich wie viele meiner Freunde gezwungen sehen, auszuwandern.“

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