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DebatteUm die Bildung spielen

Von Judith Dauwalter / 7. August 2014
picture alliance / imageBROKER | scully

Computerspiele machen süchtig, faul und aggressiv. Und sie können bilden, selbst wenn sie nicht in erster Linie Lernspiele sind. Fast jeder zweite Jugendliche zwischen zwölf und 19 Jahren nutzt regelmäßig Computer-, Konsolen- oder Onlinespiele – das dokumentiert die Jugend-, Informations- und (Multi-) Media-Studie 2013 des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest. Da liegt es nahe, Computerspiele auch zur […]

Computerspiele machen süchtig, faul und aggressiv. Und sie können bilden, selbst wenn sie nicht in erster Linie Lernspiele sind.

Fast jeder zweite Jugendliche zwischen zwölf und 19 Jahren nutzt regelmäßig Computer-, Konsolen- oder Onlinespiele – das dokumentiert die Jugend-, Informations- und (Multi-) Media-Studie 2013 des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest. Da liegt es nahe, Computerspiele auch zur Bildung zu nutzen.

Serious Games verfolgen laut einer Definition von 1971 „einen ausdrücklichen und sorgfältig durchdachten Bildungszweck und sind nicht in erster Linie zur Unterhaltung gedacht“. In der Computerspiel-Szene haben sie an Marktanteil gewonnen – das zeigen auch eigene Ausstellungsflächen auf der Gamescom in Köln, der weltweit größten Messe für Unterhaltungselektronik.

Vom Vokabeltrainer über Verkehrserziehungsspiele hin zu Wissensgames aus der „Was ist Was“-Schmiede: Die Bandbreite an Computer-Lernspielen ist groß geworden, meint Anne Sauer. Sie ist verantwortliche Redakteurin bei spielbar.de, einer Onlineplattform der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) zum pädagogischen Aspekt von Computerspielen. Regelmäßig beurteilt Sauer Computerspiele. „Die Lernspiele sind qualitativ sehr unterschiedlich“, sagt Sauer. Wichtig seien „Spielspaß und das eher unbewusste Vermitteln von Wissen“.

Pädagogischer Zeigefinger

Viele Computerspiele können diese beiden Aspekte nicht vereinen, sagt Christa Gebel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Münchner Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (JFF). „Die Hersteller setzen die Inhalte oft nicht gut spielerisch um – stattdessen ist schnell der pädagogische Zeigefinger da.“

Spielerische Umsetzung – das findet Christa Gebel auch in Lernspielen, sogenannten „Serious Games“ wichtig. Den pädagogischen Zeigefinger findet die JFF-Wissenschaftlerin hier unnötig. (Foto: JFF)
Spielerische Umsetzung – das findet Christa Gebel auch in Lernspielen, sogenannten „Serious Games“ wichtig. Den pädagogischen Zeigefinger findet die JFF-Wissenschaftlerin hier unnötig. (Foto: JFF)

Obwohl Gebel nicht alle Lernspiele schlecht findet, vermutet sie hinter vielen eher Verkaufs- als echte Bildungsinteressen. „Deshalb ist es viel interessanter, sich das Bildungspotenzial von Spielen anzuschauen, die nicht primär den Lernzweck verfolgen.“

Der Kölner Spielpädagoge Jürgen Fritz nennt in seinem Aufsatz für die bpb eine ganze Reihe an Kompetenzen, die herkömmliches Computerspielen fördern kann – beispielsweise im sensumotorischen Bereich, also rund um Reaktion, Koordination und Konzentration.

Auch kognitive Fähigkeiten wie Planen, Problemlösen, Orientieren und taktisches Handeln würden durch digitale Spiele geschult. Emotional bekämen die Spieler wichtige Impulse für Motivation und Reflexion, Stressresistenz, den Umgang mit Gefühlen sowie Ausdauer.

Auf der sozialen Ebene, vor allem beim Spielen in einer Gruppe, würden Kooperation, Hilfsbereitschaft und Empathie gefördert. Außerdem, meint Fritz, werde der Umgang mit Medien spielerisch trainiert.

Dennoch dominieren immer noch negative Behauptungen und Befürchtungen die Diskussion über Computerspiele: Gewaltspiele brächten potentielle Amokläufer hervor; Kinder, die nach der Schule stundenlang vor dem Rechner sitzen, seien computerspielsüchtig.

Die Forschung steht noch am Anfang, doch klar ist, dass die Debatte differenzierter werden muss. Sucht- und Gewaltpotenziale gibt es, doch ist das Spielen allein nie ausschlaggebend. Ob der World-of-Warcraft-Spieler aggressiv wird oder der jugendliche Zocker abhängig, liegt auch an seiner persönlichen Situation und seinem Umfeld. Das zeigen Studien des Bundesfamilienministeriums.

„Nein, ich zocke nicht den ganzen Tag“, verrät Sebastian Ring vom JFF schmunzelnd – er bringt Kindern und Jugendlichen etwa ganz praktisch bei, sich kritisch mit Computerspielen auseinanderzusetzen. (Foto: JFF)
„Nein, ich zocke nicht den ganzen Tag“, verrät Sebastian Ring vom JFF schmunzelnd – er bringt Kindern und Jugendlichen etwa ganz praktisch bei, sich kritisch mit Computerspielen auseinanderzusetzen. (Foto: JFF)

Sebastian Ring arbeitet als medienpädagogischer Referent am JFF mit Kindern und Jugendlichen zum Thema Games. Er möchte ihnen vor allem einen souveränen Umgang mit Computerspielen beibringen. Die Kinder sollen eigene Bewertungsmaßstäbe entwickeln und über die Spiele diskutieren.„Moralische Fragen tauchen beispielsweise bei Spielen wie World of Warcraft auf“, so Ring. Die Jugendlichen fragen sich: „Darf man Trauernde angreifen? Wie gehe ich mit dem Tod um? Wie stehe ich in der echten Welt zum Thema Krieg?“

Durch die Auseinandersetzung mit solchen Fragen können die Spieler eigene Werte aufspüren und eine Urteilskraft herausbilden. Denn die Antworten muss letztlich jeder für und mit sich persönlich finden.

Transfer zwischen Spiel und Realität

Laut Anne Sauer gibt es viele Möglichkeiten, Computerspiele im Unterricht einzusetzen. Mit dem Spiel Napoleon beispielsweise könne auch Geschichtswissen vermittelt werden. Die narrative Struktur von Spielen könne im Deutschunterricht analysiert werden. Lehrer können mit den 3D-Würfeln aus Minecraft Schaltkreise oder ganze Weltkarten nachbauen lassen. In Physik können die Flugbahnen der Angry Birds als anschauliche Berechnungsgrundlagen dienen.

Allerdings: „Spieler können nur von Computerspielen lernen, wenn sie einen Transfer zwischen Game und Realität herstellen“, sagt Anne Sauer. „Sie müssen sich mit dem Erlebten auseinandersetzen, jemand muss mit ihnen darüber sprechen.“

Deswegen habe man bei spielbar.de Spieletestergruppen mit Kindern und Jugendlichen aufgebaut, in denen sie sich kritisch-reflektierend mit Computerspielen auseinandersetzen und diese beurteilen.

Genau das geschieht auch in den GamesCamps, den Jugendkongressen des JFF. Auch Sebastian Ring hält es für unumgänglich, den Bezug zwischen der virtuellen Spiel- und der realen Lebenswelt der Spieler herzustellen. „Das Medium allein reicht nicht – wichtig ist die soziale Interaktion drumherum und eine Anschlusskommunikation“, so Ring.

Das Spielen allein verleiht noch nicht neue Fähigkeiten – aktive Reflektion und Anwendung des Gelernten sind nötig. Geschieht dies, dann sind, so resümiert Jürgen Fritz in seinem Artikel für die bpb, „Computerspiele weniger eine Gefahr als vielmehr eine faszinierende und attraktive Herausforderung an den Spieler und sein Umfeld“.



Eine Antwort zu “Um die Bildung spielen”

  1. Von Thomas am 9. August 2014

    „Mit dem Spiel Napoleon beispielsweise könne auch Geschichtswissen vermittelt werden.“

    Sowas in der Schule, da hätte ich im Geschichtsunterricht sicherlich mehr Spaß gehabt 😉

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