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Ein großes Geschenk

Von Jonas Jordan / 9. Oktober 2015
Foto: Jonas Jordan

Ein offizielles europäisches Bürgerbegehren gegen das Freihandelsabkommen TTIP scheiterte. Die Initiative Stop TTIP ließ sich davon nicht beirren und sammelte dennoch über drei Millionen Unterschriften in 23 europäischen Staaten. Am Mittwoch übergaben die Aktivisten diese der Kommission.

„Wir wollen der Europäischen Kommission ein großes Geschenk machen, nämlich über drei Millionen Unterschriften gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Diese Verträge sind eine Gefahr für Demokratie und rechtsstaatliche Standards“, sagt Michael Efler. Er ist Mitglied im Bürgerausschuss der Europäischen Bürgerinitiative und gerade auf dem Robert Schuman Rondpoint, dem großen Kreisel im Herzen von Brüssel, angekommen.

Hier findet die große Abschlusskundgebung der europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP statt. Menschen aus 23 EU-Mitgliedstaaten haben die Petition unterzeichnet. Zahlreiche Demonstranten sind extra für die Demonstration angereist. Aus Italien, Rumänien, Finnland, Deutschland, Ungarn. Ein Vertreter der Katholischen Arbeiterbewegung steht Seite an Seite mit Greenpeace-Aktivisten, eine junge Frau aus Belgien neben einem schwäbischen Frührentner.

Die Demonstranten wollen auf einer Waage die Interessen der Konzerne gegen die der Bürger mitsamt ihrer Unterschriften aufwiegen. „Natürlich werden die Interessen der Bürger siegen“, sagt Efler lächelnd. Man habe auch die Kommission eingeladen zu kommen. Diese habe sich jedoch geweigert. „Das ist ziemlich ärgerlich und ziemlich undemokratisch“, sagt der Organisator und überlegt, wie sie die Unterschriften vielleicht doch noch an die Kommission übergeben könnten. „Wir könnten höchstens in ihr Gebäude gehen und sie dort im Büro übergeben. Darauf werden wir uns aber nicht einlassen.“ Stattdessen erhofft er sich eine ordentliche und energische Protestaktion gegen TTIP und CETA.

Mit ähnlichen Hoffnungen ist Wiebke Schröder hergekommen. Sie vertritt die NGO Sum of Us – eine globale digitale Bürgerbewegung – und möchte die Stimmen der Mitglieder präsentieren. „Wir haben unseren Mitgliedern im Vorhinein gesagt, dass wir hierher kommen, um ihre Stimmen zu repräsentieren und gefragt, welche Nachricht wir überbringen sollen.“ Schröder hat also einen klaren Auftrag.

Wiebke Schröder vertritt zahlreiche Gegner des Abkommens, die ihre Meinung über das Internet kundgetan haben.
Wiebke Schröder vertritt zahlreiche Gegner des Abkommens, die ihre Meinung über das Internet kundgetan haben.

Sarah ist auch für die Demonstration nach Brüssel gekommen. „Für mich ist es sehr wichtig, Politiker und die Bevölkerung für dieses Thema zu sensibilisieren“, sagt die junge Frau, die für eine belgische NGO arbeitet. „Mit TTIP öffnen wir die Tore für Mist. Das ist ein Disaster!“

Von Berlin bis Konstanz gegen TTIP

Neben ihr steht ein Demonstrant mit erkennbarem schwäbischem Akzent: „Ich hab so eine Wut im Bauch, weil unsere offizielle europäische Bürgerinitiative nicht zulässig war, aber wir klagen dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof.“ Der Mann mit ergrautem Vollbart, der auf seinem Rücken einen roten Rucksack mit der Ankündigung für die große Anti-TTIP-Demo am Samstag in Berlin trägt, schnaubt verächtlich. „Ich weiß gar nicht, wohin mit meiner Wut.“ Er selbst habe allein 800 Unterschriften gegen TTIP gesammelt, verkündet er stolz. „Von Berlin bis Konstanz am Bodensee.“

Während im Hintergrund fleißig die gebastelten Schilder mit Aufschriften wie „Keep calm and stop TTIP“ oder „Dismantling Democracy? No way!“ an die Teilnehmer verteilt werden, redet sich der Mann in Rage. „Die Konzerne beherrschen uns total und sagen: Konsumiert auf Teufel komm raus, aber sonst haltet ihr bitte die Schnauze!“ Er sei doch schließlich auch ein Konsument. „Das geht gar nicht.“

In die gleiche Kerbe haut Jörg Eichenauer. Er ist Mitglied im Landesvorstand von Mehr Demokratie NRW. „TTIP verstößt gegen Demokratie und Rechtsstaat. Wir geben unsere Grund- und Bürgerrechte ab“, sagt er und hält mit seinem schwäbischen Kollegen zusammen ein Banner mit der Aufschrift „Europa – Nicht ohne uns“ den zahlreichen Kamerateams entgegen.

"Europa - Nicht ohne uns", frodert die Initiative Mehr Demokratie
„Europa – Nicht ohne uns“, fordert die Initiative Mehr Demokratie.

Und die Kommission empfängt sie doch

Efler meldet sich per Megafon zu Wort. „Are you ready to stop TTIP?“, ruft er in die Menge. Ein lautes „Yes“ schallt ihm aus dutzenden Kehlen zurück. Er begrüßt die rund 80 Demonstranten und erklärt noch einmal, dass die Kommission leider nicht bereit sei, ihre Unterschriften zu empfangen. Auf einmal kommt ein Mann in dunkelblauer Jacke aufgeregt auf ihn zu. Er zeigt Efler eine E-Mail auf seinem Smartphone. Offenbar ist die Kommission nun doch bereit, die Demonstranten zu empfangen. „Gut, dann gehen wir eben um elf alle gemeinsam dorthin“, ruft der Organisator freudig über das Megafon.
Doch erst einmal kommt die Waage zum Einsatz. Die Demonstranten legen der Reihe nach zusammengeschnürte Pakete auf die Waage. Dazwischen turnt ein als Jean-Claude Juncker verkleideter Aktivist herum. Er schmeißt mit Geld um sich und hält Schilder hoch mit Parolen wie „Fuck you people“ oder „There is no democratic choice against EU treaties“.

Die beiden Aktivistinnen warnen vor TTIP als trojanischem Vertrag.
Die beiden Aktivistinnen warnen vor TTIP als trojanischem Vertrag.

Als trojanischen Vertrag bezeichnet Natacha Cingotti das geplante Freihandelsabkommen. Die Belgierin arbeitet für die NGO Friends of the Earth Europe und ist hier, um vor den Gefahren von TTIP zu warnen. „Wir haben schon ganz am Anfang rote Linien markiert. Diese sind aber längst überschritten.“

Klimawandel statt Freihandel

Nacheinander legen die Demonstranten Unterschriften auf die Waage und melden sich per Megafon zu Wort. Jeremy aus Brüssel, Simona aus Italien, Jörg aus Münster, Raphael aus Frankreich, Laslo aus Ungarn. Als Nächste ist Wiebke Schröder an der Reihe. Sie schreit ins Megafon: „Ich bringe heute die Stimme von Joanne aus Großbritannien, die sagt, sie wolle die Macht von gewählten Volksvertretern nicht an irgendwelche Konzernchefs übertragen. Ich bin hier, weil Ralf aus Italien den Kampf gegen den Klimawandel nicht für die Profite großer Konzerne aufgeben möchte. Ich bin hier, weil die europäischen Institutionen diese Stimmen ignorieren, aber das ändert sich heute.“

Jubel brandet auf. Kurz darauf kippt die Waage. Juncker versucht noch einmal zu stören. Doch vergebens. Jubel bricht aus. Der Demonstrationszug setzt sich in Bewegung. Sie marschieren zur Kommission. Sarah postiert sich direkt am Eingang. Sie trägt ein Schild mit der Aufschrift „Keep calm and stop TTIP“. Wenn der Kommissionsmitarbeiter kommt, soll er es gleich sehen.

Mit ihrem Schild hat sich Sarah direkt am Eingang zur Kommission postiert.
Mit ihrem Schild hat sich Sarah direkt am Eingang zur Kommission postiert.

Noch sind sie skeptisch, ob tatsächlich jemand kommt, um den Scheck mit den mehr als drei Millionen Unterschriften anzunehmen. Dennoch postieren sich die Demonstranten im Halbkreis um das Kommissionsgebäude. Sie hauen ihre Schilder im Rhythmus auf den Boden und skandieren „Hopp, hopp, hopp, TTIP stop“.

Ein Chor gegen TTIP

Erik aus Prag greift auf einmal in seine Jackentasche. Er nimmt ein Bündel Liedtexte und verteilt sie an seine Kollegen. Sie singen das Lied „Do you hear the people sing?“ aus dem Musical „Les Misérables“. Stimmgewaltig hallt es in der Unterführung vor dem Gebäude der Europäischen Kommission.
In dem Moment tritt ein Mitarbeiter aus dem Kommissariat von Frans Timmermans aus dem Gebäude. Bernd Martenczuk entschuldigt die Abwesenheit des Vizepräsidenten, der in Straßburg weilt, und betont die Bedeutung der politischen Debatte um TTIP. Anschließend verschwindet er wieder im riesigen Glaskasten der Kommission.

Zurück bleiben die Demonstranten. Sie posieren für ein gemeinsames Abschlussfoto vor der Kommission. Anschließend gehen alle ihrer Wege. Efler ist zufrieden. Er sagt: „Das war eine runde Sache. Ich hab zwar nicht die Hoffnung, dass die Kommission jetzt aufhört, über TTIP und CETA zu verhandeln, aber insgesamt war die selbst organisierte Bürgerinitiative ein voller Erfolg.“

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