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Mit demokratischer Innovation gegen den Rechtsruck

Von Anna Julia Schmidt / 8. Oktober 2015
Credits: dpa/picture alliance;

Die rechten Stimmen in Großbritannien werden lauter. Die rechtspopulistische Partei UK Independence Party (UKIP) erlangte bei den letzten Unterhauswahlen 12,6 Prozent der Stimmen. Claudia Chwalisz forscht zum Thema Populismus beim Londoner Think-Tank Policy Network. In ihrem Buch „The Populist Signal“ analysiert sie die UKIP-Wählerschaft und schlussfolgert, dass es vor allem Proteststimmen gegenüber dem etablierten politischen System sind. Ein Interview.

Frau Chwalisz, was sind die Erkenntnisse Ihrer jüngsten Populismus-Studie?

Claudia Chwalisz arbeitet beim Londoner Think-Tank Policy Network und veröffentlichte gerade ihr Buch "The Populist Signal".
Claudia Chwalisz arbeitet beim Londoner Think-Tank Policy Network und veröffentlichte gerade ihr Buch „The Populist Signal“.

Die meisten Menschen fühlen sich von der politischen Klasse ignoriert. Ich habe herausgefunden, dass circa 31 Prozent der Menschen in Großbritannien das Gefühl haben, dass ihre Stimme wirklich Einfluss auf die Entscheidungsfindung der Kommunalpolitiker hat. Auf nationaler Ebene sind es nur 21 Prozent. Allgemein haben 71 Prozent der Menschen das Gefühl, dass sich das politische System verändern muss. Wenn man die Einstellungen der UKIP-Wähler analysiert, findet man heraus, dass nur 12 Prozent der Menschen denken, dass ihre Stimme Einfluss hat. Mehr als 90 Prozent glauben, dass sich das politische System verändern muss. Man sieht also, dass viele sich von der Politik allein gelassen fühlen und glauben, dass Entscheidungen nur von den politischen Eliten getroffen werden.

Warum gewinnt Populismus in Europa und in Großbritannien zunehmend an Unterstützung?

Populismus ist kein neues Phänomen. Speziell in Westeuropa gewinnt es jedoch seit den späten 1980er und frühen 1990er Jahren an Zuspruch. Ich glaube nicht, dass es vordergründig mit ökonomischen Faktoren als Folgen der Wirtschaftskrise zu tun hat. Populistische Parteien erfahren nämlich auch große Zustimmung in Ländern, die durch die Krise weniger stark betroffen waren, wie beispielsweise Österreich oder die Schweiz. Zudem haben Länder wie Portugal oder Irland, die stark von der Krise betroffen waren, keine starken populistischen Parteien. Es ist die Desillusion gegenüber der Politik, die vor allem in den Ländern entstand, in denen viele Wähler keine wirklichen Unterschiede mehr zwischen den zwei etabliertesten Parteien auf der linken und rechten Seite sehen.

Warum wählen junge und ältere Generationen populistische Parteien, obwohl beide Generationen unterschiedliche Werte repräsentieren?

Populisten sprechen diejenigen Mitglieder der Gesellschaft an, die sich zurückgelassen fühlen. Dies kann die ältere, männliche Arbeitsklasse sein, die stereotypisch für die Wählerschaft der Populisten steht, betrifft aber auch eine jüngere Generation, die sich vom wirtschaftlichen Wachstum nach der Krise ausgeschlossen fühlt. Beide Generationen sind der traditionellen, hierarchischen Form der Politik abgeneigt. Ihre Wahlentscheidung gründet eher aus einem Anti-Mainstream- und Anti-Establishment-Empfinden. Denn sie sind gegen diese geschlossenen, Eliten-gesteuerten, hierarchischen Parteien und verlangen eine neue Form der Politik. Ich glaube nicht, dass junge Menschen in diesem Sinne unpolitisch sind. Ich glaube, dass sie sich einfach eine Politik wünschen, die reflektierter auf die Gesellschaft reagiert. Ich glaube nicht, dass sie dies von UKIP bekommen werden. Ihre Wahl für UKIP sehen sie jedoch als Möglichkeit an, gegen diese traditionellen Parteien zu protestieren. UKIP-Wähler streben nach einem Wandel des politischen Systems.

Warum stellt gerade die EU für viele populistische Parteien ein Problem dar?

Die Europa-Skepsis betrifft eher die ältere Generation. Sie schließen sich der Anti-Globalisierungs-Haltung an und beanspruchen nationale Souveränität, wie sie es nennen. Der EU wird die Schuld an zahlreichen Dingen gegeben, die anscheinend schief laufen, statt sich mit den komplexeren Hintergründen zu beschäftigen. Es fehlt außerdem die Frage nach konkreten Faktoren, warum sich die Gesellschaft verändert hat. Populisten haben oft einfache Lösungen für komplizierte Probleme. Sie behaupten, dass bei einem EU-Austritt alles besser wird. Das passt zu diesem grob vereinfachenden Denken.

In Ihrem Buch schlagen Sie strukturelle Veränderungen des politischen Systems vor, um den populistischen Bewegungen entgegenzuwirken. Wie könnte dieser Wandel aussehen? Welche Konzepte könnten eine Veränderung des politischen Systems bewirken?

In meiner Studie habe ich mir die sogenannte demokratische Innovation näher angesehen. Diese beinhaltet neue Formen, die Menschen direkter in die politische Entscheidungsfindung einbeziehen. Sie bedingen eine Zufallsauswahl der Teilnehmer. Die Menschen werden also per Los ausgewählt, um bei sogenannten Bürgerversammlungen oder Bürgerparlamenten Entscheidungen zu fällen. Ein anderer Aspekt ist der Fokus auf Deliberation. Für gewöhnlich laufen diese Versammlungen so ab, dass die Bürger interessiert an Diskussionen teilnehmen. Das Konzept der Deliberation bezeichnet diesen öffentlichen Diskurs über politische Themen. Der dritte Aspekt dieser neuen Politikform beinhaltet, dass den Menschen tatsächlich reale Entscheidungsmacht überlassen wird. Wird dies nicht erfüllt, können die Menschen beraten so viel sie wollen, dje Entscheidungsmacht liegt dann aber immer noch bei den Eliten.

Die Rolle der Politiker muss sich verändern. Ihre Aufgabe sollte in Zukunft nicht das Regieren für die Menschen, sondern das Regieren mit den Menschen sein. 


Die Entscheidungsmacht muss direkt an die Gesellschaft übertragen werden. Es geht darum, Menschen eine wahre Stimme bei Entscheidungen zu verleihen, deren Konsequenzen ihre Zukunft beeinflussen.

Das wäre eine Form von direkterer Demokratie. Sind Sie der Meinung, dass Policies durch direkte Demokratie besser werden?

Eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten zeigt, dass Entscheidungen einer diversen Gruppe für gewöhnlich zu besseren Resultaten führen, da eine Vielzahl an Perspektiven in die Entscheidung miteinbezogen wird. Entscheidungen, die von Experten gefällt werden, basieren meistens auf der gleichen Information. Experten bekräftigen ihre Einstellungen eher gegenseitig, anstatt sich gegenseitig zu hinterfragen. Prinzipiell benötigt es größere Diversität bei denjenigen, die politische Entscheidungen fällen, um diese Entscheidungen besser zu machen. Die Zufallsauswahl der Entscheider zielt darauf ab, auch Menschen an den Tisch zu bringen, die nicht bereits politisch aktiv sind. Der Fokus auf der gegenseitigen Beratung (deliberation) ist dabei sehr wichtig. Den Teilnehmern werden genug Zeit und die nötigen Ressourcen zur Verfügung gestellt, um andere Ansichten intensiv hinterfragen, miteinander diskutieren und dann über eine Sache abzustimmen zu können.

Als Zusammenfassung Ihrer Ergebnisse: Inwiefern sehen Sie Populismus als Korrektiv oder Gefahr für die Demokratie?

Ich denke, dass man definitiv besorgt über den antiliberalen Diskurs sein sollte, den Populismus innehat. Das darf man nicht akzeptieren. Aber ich denke, dass Populismus durchaus auch Korrektiv von demokratischen Systemen sein kann, sobald die Mainstream-Parteien dies als Signal wahrnehmen und realisieren, dass es Verbesserungen bedarf und dass es sich lohnt, den Menschen eine echte, konstruktive Stimme im politischen Entscheidungsprozess zu geben.

2 Antworten auf „Mit demokratischer Innovation gegen den Rechtsruck“

  1. Von Anonymous am 9. Oktober 2015

    Ein sehr interessanter und sehr gut geschriebener Artikel!

    Das Problem des Populismus findet sich jedoch auch bei uns in Deutschland durch Parteien wie der AfD. Es scheint einfach schrecklich verlockend zu sein, simpelste Lösungen für schwierige Probleme anzubieten, ohne diese weiter reflektieren zu wollen.
    Inwiefern hier allerdings eine Zufallsauswahl der Teilnehmer durch ein Losverfahren helfen kann, finde ich schwierig. Trotzdem ist die Idee, die Menschen direkter in die politische Entscheidungsfindung einzubeziehen, positiv.

    1. Von Anonymous am 10. Oktober 2015

      Dem stimme ich zu. Auch ich finde die Idee schwierig die Bürger durch Zufallsentscheidungen in die Politik mit einzubeziehen. Dennoch denke ich, dass der Einbezug der Bevölkerung der richtige Weg ist, da viele sich überhaupt nicht für Politik interessieren und somit erst gar nicht an Wahlen teilnehmen. Wenn Politik transparenter wird und die Menschen miteinbezieht, steigt bestimmt auch das Interesse und die Teilnahme.

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