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Sackgasse Ehrenamt?

Von Patricia Kutsch / 16. August 2017
picture alliance / Westend61 | Vasily Pindyurin

Ein Ehrenamt übernimmt man, um andere ganz freiwillig zu unterstützen und sich selbst und seine Mitmenschen voranzubringen. Es soll und muss aber auch Spaß machen – sonst ist Frust vorprogrammiert.

Ich habe die Nase voll vom Ehrenamt. Es hat mich ausgelaugt und zu viel Kraft gekostet. Mit 18 Jahren wurde ich Schriftführerin eines Fußballvereins in meinem Heimatdorf in Mittelhessen. Als einzige Frau war ich die Exotin, aber ich gehörte auch zur Sportfamilie, war von Geburt an bei den Spielen dabei. Mein Papa war Torwart, später Vorsitzender. Mit Anfang 20 wurde ich dann Vorsitzende. Nicht, weil ich es unbedingt wollte, sondern weil niemand anderes wollte. Ich scharte ein junges, motiviertes Vorstandsteam um mich und wir legten voller Ideen und hochmotiviert los.

Mit der Zeit nahmen Aufgaben und Erwartungen immer mehr zu, der Spaß immer weiter ab. Das einst so motivierte Vorstandsteam verkleinerte sich schnell. Klar, denn so ein Ehrenamt kostet Zeit. Da die helfenden Hände weniger wurden, blieb mehr für mich zu tun. Von Verwaltungskram über rechtlichen Fragen und immer wieder finanziellen Probleme – ich durfte mich um alles kümmern. Hinzu kamen die Organisation von Heimspielen, Weihnachtsfeiern, Rundenabschlüssen. Der Vorstand springt immer dann ein, wenn jemand wieder nicht seinen Dienst antritt. Studium, Ausbildung und Berufseinstieg mussten quasi nebenbei laufen.

Eine unselige Mischung: immer mehr Arbeit, wenig Freizeit. Vor allem viel Kritik bei Fehlern und wenig Dank für das, was das gesamte Ehrenamtler-Team leistet. Es ist ein strukturelles und gesellschaftliches Problem geworden, dass viele Vereine niemanden mehr finden, der die Vorstandsarbeit offiziell übernehmen und entsprechende Verpflichtungen eingehen möchte.

Rückgrat der Gesellschaft

Dabei ist das Ehrenamt in unserem Land für die Gesellschaft nicht gering zu schätzen. Auf dem Dorf leisten die Vereine, also letztlich Ehrenamtliche, meist die einzige verfügbare Jugend- und Integrationsarbeit. Alte Menschen profitieren durch Nachbarschaftsnetzwerke. Erst durch sie ist es ihnen oft erst möglich, selbstbestimmt in ihrem Dorf leben zu können. Die Freiwillige Feuerwehr rettet Menschenleben – unentgeltlich und in ihrer Freizeit.

Man könnte immer so weiter machen. Mehr als 31 Millionen Deutsche haben derzeit ein Ehrenamt übernommen. Unter den Menschen über 14 Jahren sind es mehr als 40 Prozent. Tendenz steigend. Aber die Zeit, die ein Ehrenamt in der Woche kostet, ist in den vergangenen Jahren auf zwei Stunden gesunken. Für eine Vereinsführung reicht das nicht.

Die klassische Struktur für das Ehrenamt bilden in Deutschland nach wie vor die Vereine. Aber der Zulauf zu diesen nimmt ab. Viele Menschen suchen sich ein Ehrenamt in Strukturen ohne allzu feste Verpflichtungen – also ohne Wahlamt. (http://www.b-b-e.de/themen/akteure-zivilgesellschaft1/ehrenamtliche-vorstandsarbeit/)

Noch ziehen viele wenigstens diese Version eines „Ehrenamt light“ dem einsamen Feierabendbier auf dem Sofa vor. Wenn die Fußballmannschaft aufsteigt, die Feuerwehrkameraden helfen können oder wenn jemand seine Nachbarin regelmäßig zum Arzt oder Einkauf fährt, hinterlässt das ein gutes Gefühl. Wir, denkt man automatisch, haben etwas Sinnvolles geleistet, etwas, das uns Freude macht und anderen Menschen auch. Sich zu engagieren macht Spaß – meistens zumindest.

Das Amt muss passen

Wenn die Freude aber verloren geht und das Engagement aus einem Pflichtgefühl heraus geschieht, dann verkommt ein Ehremant zu einer unliebsamen Arbeit, die einer Sackgasse gleicht: Es geht nicht mehr vorwärts. Die Freude an der Aufgabe steht still. Wie bei mir. Meine Ideen und mein Engagement haben nach acht Jahren Vorstandsarbeit vielleicht nicht mehr zu diesem Verein oder zu Sportvereinen im Allgemeinen gepasst. Vielleicht habe ich mir aber auch zu lange zu viel zugemutet.

Nach meinem Berufseinstieg als Redakteurin war ich an Sonntagen entweder in der Redaktion oder auf dem Sportplatz. Die Freitagabende verbrachte ich in der Spielersitzung oder bei Presseterminen. Als junge Frau musste ich mich in der Männerdomäne Fußball immer besonders anstrengen, Durchsetzungskraft zeigen, um ernstgenommen zu werden.

Mit den Jahren ist das Gesamtpaket zu aufreibend geworden. Dadurch habe ich die Lust an etwas verloren, das mir mal großen Spaß gemacht hat und das ich im Allgemeinen für sehr wichtig halte. Wenn sich jeder ein wenig für seine Mitmenschen engagiert in einem Bereich, der ihn begeistert, dann ist allen geholfen. Deshalb gilt für mich: Ehrenamt ja – irgendwann mal wieder. Dann aber eines, das zu mir passt.

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