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6/8: Die Matriarchin

Von Ohne Name / 15. März 2018
picture alliance / photothek | Thomas Koehler

F. stammt aus dem Iran. Er erzählt von seiner Mutter, die er seit drei Jahren nicht mehr gesehen hat. Obwohl ihr als junge Frau vieles verwehrt wurde, hat sie sich ihre Eigenständigkeit bewahrt und um die Rechte ihrer Kinder gekämpft.

2015 machte Nilofar Ardalan, Kapitänin des iranischen Fußballnationalteams, ungewollt Schlagzeilen. Ihr Ehemann, eigentlich ein moderner Sportkommentator, hatte ihr verboten, für die Teilnahme an den asiatischen Meisterschaften in Malaysia auszureisen. Seine Begründung: Ardalan sollte bei der Einschulung des gemeinsamen Sohnes dabei sein, die zeitgleich stattfand. Wieder einmal geriet die iranische Republik über das Thema Frauenrechte, beziehungsweise deren Mangel, in Verruf.

Von alldem habe ich damals nichts mitbekommen. Im Herbst 2015 – ich war Mitte 20 – saß ich zusammen mit zwei Dutzend anderen Menschen in einem Schlauchboot im Mittelmeer. Hinter uns die Türkei, vor uns die Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa. Den Iran hatte ich Wochen vorher heimlich verlassen müssen.

Meine Mutter darf den wahren Grund dafür nicht wissen. Sie würde nicht mehr aufhören zu weinen. Sie weint bei jeder Gelegenheit, obwohl sie eine starke Frau ist. Weil sie selbst nicht studieren durfte (meine Großmutter wollte nicht, dass die Tochter von männlichen Lehrern unterrichtet wird), hat sie dafür gesorgt, dass alle ihre fünf Kinder jede nur denkbare Bildung erhalten. Als einem meiner Brüder der Zugang zum Studium verwehrt wurde, ist sie sogar zum Präsidenten der Hochschule gegangen und hat um eine Zulassung zur Aufnahmeprüfung gebeten. Mit Erfolg.

Wer aufbegehrt, lebt gefährlich

Ich bin der jüngste unter uns Geschwistern. Meine Schwestern haben Englisch, Jura und Architektur studiert. Meine Brüder ebenfalls Jura und Mechatronik. Ich wollte in Richtung Informatik gehen, aber meine Mutter meinte, Elektrotechnik sei besser. Doch das Studium habe ich nicht abgeschlossen. Dafür habe ich als Elektroniker gearbeitet. Bis zu dem Tag, als die Behörden herausfanden, dass mein Chef zum Christentum übergetreten war. Obwohl ein Glaubenswechsel offiziell nicht unter Strafe gestellt ist, zählt für das Regime genau das: der Erhalt ihrer mit der islamischen Religion begründeten Macht. Solange die christliche Minderheit eine Minderheit bleibt und sich an die Regeln hält, wird sie geduldet. Begehrt sie aber auf oder gewinnt ihrerseits an Zustimmung, wird es gefährlich.

Mein Chef musste sein Geschäft aufgeben, ich verlor meine Stelle. Eine neue durfte ich nicht annehmen. Stattdessen musste ich mich beinahe täglich bei den Behörden melden. Ungefähr sechs Monate lang ging das so. Ich sollte dafür büßen, dass ich einen Konvertiten unterstützt hatte anstatt ihn anzuschwärzen. Vor meiner Mutter tat ich so, als ginge ich weiterhin zur Arbeit. Hätte ich ihr die Wahrheit erzählt, sie wäre wahrscheinlich zu den Behörden gelaufen und hätte sich und die ganze Familie damit in Schwierigkeiten gebracht.

„Nur Politiker sind gleich“

In Iran sind Frauen und Männer nicht gleichgestellt. Beide Gruppen werden von den Politikern unterdrückt. Egal, wen man wählt, die Religion steht immer an erster Stelle. „Nur die Politiker sind alle gleich“, sagt meine Mutter. Deswegen ist sie nicht interessiert an Politik. Ich auch nicht. Es reicht ihr, innerhalb der Familie ihre Freiheit auszuleben. Mein Vater, ein LKW-Fahrer, lässt sie gewähren. Er trinkt gerne Alkohol, aber nicht vor ihr, weil sie das nicht möchte. Zuhause regiert meine Mutter als Matricharin. Sie hat auch darauf geachtet, dass meine Schwestern Autofahren lernen und selbstständig sind. Nur bei der Heiratswahl will sie das letzte Wort haben. Dann dürfen meine Schwestern – beide immerhin schon über 30 – auch ausziehen.

Hätte meine Mutter gerne mehr Rechte? Tatsächlich, glaube ich, hat sie sich inzwischen in ihren Möglichkeiten eingerichtet und ist damit zufrieden. Die Gesellschaft im Iran, besonders in Teheran, ist sehr gebildet und viel weniger konformistisch als es die Machthaber sich wünschen. Meine Mutter genießt mehr Freiheiten als ihre Mutter und fördert meine Schwestern. Diesen Fortschritt nimmt sie als positive Entwicklung wahr.

Wunschdenken statt Wahrheit

Sicher, im Iran sind Frauen den Männern nicht gleichberechtigt. Sie dürfen Anwältinnen sein, aber keine Richterinnen. Sie dürfen Autofahren, aber nur mit der Erlaubnis von staatlichen Behörden oder des Ehemanns das Land verlassen. In Saudi-Arabien ist die Situation noch viel schlimmer. Ich wünschte, dieses Verhältnis käme in der Berichterstattung öfter zum Ausdruck. Vor allem aber wünsche ich mir mit Blick auf meine Heimat, dass die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern bald aufgelöst wird. Ja, dass es im Iran insgesamt bald anders zugeht. Aber ich weiß, das ist Wunschdenken, wie man auf Deutsch sagt.

Meine Mutter denkt, dass ich in Deutschland bin, weil ich hier ein besseres Auskommen hätte. Von meiner Flucht hat sie keine Ahnung. Auch meine Schwestern wissen nichts davon, denn sie könnten dieses Geheimnis nicht für sich behalten und ich will meiner Mutter auf keinen Fall noch mehr Sorgen bereiten. Oder sie in Gefahr bringen. Zurück in den Iran kann ich nur mit einem deutschen Pass. Dass ich das Land unerlaubt verlassen habe, würde mich bei der Wiedereinreise mit nur meinem iranischen Pass direkt ins Gefängnis befördern. Vielleicht nicht nur mich. Und das würde ich mir nie verzeihen.

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