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ProJa, sollen wir sie denn zurücklassen?!

Von Yves Bellinghausen / 29. Juni 2018
picture alliance / imageBROKER | Isai Hernandez

Der Solidaritätszuschlag hat Ostdeutschland bislang wirtschaftlich nach vorne gebracht, aber es gibt noch Potential. Nicht zuletzt, weil auch andere Regionen Deutschlands von den reicheren Städten und Kommunen unterstützt werden sollten. Denn es könnte sich rächen, sie von der allgemeinen Entwicklung abzuhängen.

Natürlich ist der Soli noch nötig! Und zwar so lange, bis die Lebensverhältnisse in Ost und West gleich sind. Seit der Wiedervereinigung hat sich die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands mehr als verdoppelt. Sicherlich nicht nur, aber auch wegen des Solidaritätszuschlages. Er hat in den neuen Bundesländern eine Ausweitung der Infrastruktur ermöglicht und für bessere Bildung gesorgt. Das hat Unternehmen geholfen, sich hier anzusiedeln. Der Solidaritätszuschlag hat also Wirkung erzielt. Dass die Wirtschaftskraft noch immer um ein Drittel niedriger ist als in den alten Ländern zeigt aber, dass es noch einiger Jahre bedarf, bis der Osten wirklich aufgeholt hat.

Ich selbst komme aus dem Westen, aus Köln, lebe aber in Leipzig. Leipzig geht es sehr gut, die Stadt zieht junge, gut ausgebildete Menschen an, ist hervorragend an das ICE-Netz angeschlossen und ist nach den aufwendigen Sanierungen lebenswerter, als so manche Stadt im Westen Deutschlands.

Aber wenn ich die Großstadt verlasse, dann sehe ich sehr deutlich bestätigt, was die Statistiken suggerieren: Verfallene Industriegelände und entvölkerte Dörfer, weil es in vielen ostdeutschen Regionen an öffentlichem Nahverkehr, soliden Fahrbahnen, stabilem Internet und vor allem Jobs mangelt. In Halle an der Saale, wo ich eine Zeit lang gearbeitet habe, lebt jeder fünfte Bürger von Hartz IV. Entsprechend sieht das Stadtbild aus. Abseits der Innenstadt und des schicken Paulusviertels sind Häuser in desolatem Zustand.

Nicht nur blühende Landschaften im Westen

Klar, es gibt auch Regionen im Westen, denen es nicht gut geht: das noch immer stark verschuldete Wuppertal etwa oder das kaum mehr bewohnte Wendland. Aber das ist kein Grund, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, sondern vielmehr ihn auszuweiten. Nicht die Himmelsrichtung, sondern die Bedürftigkeit sollte ausschlaggebend sein für den Soli.

Viele ostdeutsche Regionen würden weiterhin profitieren, aber eben auch westdeutsche Städte und Gemeinden, die zum Teil gravierende finanzielle Probleme haben. Das ist zum einen solidarisch und zum anderen liegt es im Interesse einer Gesellschaft als Gemeinschaft, dass nicht ganze Regionen gewissermaßen aufgegeben werden. Aus Bundesländern, die heute volkswirtschaftlicher „Ballast“ sind, könnten die Motoren von morgen werden. Einmal vorgemacht haben wir das schließlich. Wenn auch nur mit einer Art finanzpolitischem Verwandten des Soli: dem Länderfinanzausgleich. Bayern etwa war bis in die 1980er Jahre ein Nehmerland im Umverteilungsmechanismus des Länderfinanzausgleich. Nicht nur, aber auch wegen der Hilfen anderer Bundesländer konnte es sich von einem Agrarstaat zu einem modernen Industriestaat wandeln. Heute zahlt Bayern mehr als die Hälfte des gesamten Ausgleichsvolumens, wie CSU-Politiker nicht müde werden zu betonen. In gesamtgesellschaftlicher Perspektive könnte man sagen: Das Investment in Bayern hat sich gelohnt.

Nicht auf Augenhöhe

Womit wir wieder beim Osten sind. Kohl versprach blühende Landschaften in der ehemaligen DDR. Obwohl Leipzig besser dran ist als sein Umland, wählten 18 Prozent der wahlberechtigten Bewohner die AfD, in ganz Sachsen kroch die Statistik sogar auf 27 Prozent. Auch aus Frustration, weil sie sich – noch immer – nicht ernst genommen fühlen und sich von der Wiedervereinigung mehr erhofft hatten.

Nach der Bundestagswahl wunderte sich das ganze Land dennoch über den Osten und die Wut, die sich dort Luft machte. Jetzt den Soli abzuschaffen, wäre deshalb genau das falsche Signal.

Bis im Osten die Einkommen und die Renten so hoch sind wie im Westen wird es noch dauern. Jahrzehnte der Misswirtschaft haben Spuren hinterlassen und es braucht wohl Jahrzehnte der Förderung bis sie beseitigt sind. Die Zeit sollten wir uns geben und das nötige Geld in die Hand nehmen. Und zwar für alle finanzschwachen Regionen Deutschlands, von denen eben noch immer recht viele im Osten liegen. Den Solidaritätszuschlag abzuschaffen und die Regionen ihrem Schicksal zu überlassen, könnte sich schon bald rächen. Kommendes Jahr sind Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.



2 Antworten auf „Ja, sollen wir sie denn zurücklassen?!“

  1. Von Anal am 29. Juni 2018

    Er ist doch auch nur ein beschissener Wessi.

    1. Von Christa Roth am 6. Juli 2018

      Das hier ist eine Diskussionsplattform. Mit Netiquette. „Beschissener Wessi“ ist deshalb – sagen wir – im Ton vergriffen. Betrachten Sie diesen Kommentar also als gelbe Karte.

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