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Befriedigung: ungenügend

Von Tara Yakar / 14. Mai 2025
picture alliance / Oliviero Olivieri/robertharding | Oliviero Olivieri

Sexuelle Lust gehört zu den stärksten menschlichen Antrieben. Doch was passiert, wenn dieses Bedürfnis dauerhaft unerfüllt bleibt?

Thomas* sehnt sich nach Nähe, schon lange war er nicht mehr mit einem anderen Menschen intim.  Der ehemalige Bäcker und Konditor lebt seit einer Krebserkrankung mit einem Stoma – einer künstlich geschaffenen Körperöffnung. Eine Veränderung, die nicht nur seinen Körper betrifft, sondern auch verhindert, seine sexuelle Lust ausleben zu können. „Es ist jetzt einfach schwieriger, eine Partnerin zu finden, die damit klarkommt“, sagt der 74-Jährige.

So wie ihm geht es vielen Menschen. Bei einigen liegen psychische Ursachen zugrunde, wie die Sexual- und Paartherapeutin Verena Wessel erklärt. „Schamgefühle, geringes Selbstwertgefühl oder konservative Erziehung, aber auch medizinische Probleme oder gesellschaftliche Tabus können dazu führen, dass Lust nicht ausgelebt wird.“  Lust sei nicht einfach da. Sie sei sozial gelernt, abgesprochen oder tabuisiert.

Dabei kann die Scham, nicht einem bestimmten, normschönem Körperbild zu entsprechen, hemmen. Gerade marginalisierte Gruppen – queere Menschen, Menschen mit Behinderung oder ältere Personen – erlebten häufig Unsichtbarkeit, Diskriminierung oder Entsexualisierung, sagt Wessel. Das führe auch zu körperlichen Symptomen: Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel durch Stress beeinflusse Schlafqualität, Immunsystem und das allgemeine Wohlbefinden negativ.

Mainstream-Pornos und normschöne Körperbilder

Thomas spürt das: Seitdem seine Lust unerfüllt bleibt, geht er seltener unter Leute. Seine Gedanken kreisen ständig um die Vorstellung, dass alles mit einer verständnisvollen Partnerin besser wäre. Hinzu kommen strukturelle Hürden. „Ich würde ja auch gern einer Frau im Rollstuhl begegnen, aber mein Zugang zur Wohnung ist nur über Treppen möglich. Schon das ist ein Hindernis.“

Seine Erfahrungen zeigen, wie wenig Raum für Intimität außerhalb von normierten Paarbeziehungen vorgesehen ist. „Neben biologischen, psychischen und sozialen Faktoren beeinflussen auch Körperbilder und kulturelle Prägungen unser sexuelles Erleben“, erklärt Wessel. Der Einfluss von Mainstream-Pornos sei nicht zu unterschätzen. „Sie vermitteln oft das Bild, dass alles auf die Befriedigung des Mannes hinausläuft. Nach dem Motto: Der Mann will und kann immer.“

Verena Wessel ist Heilpraktikerin für Psychotherapie sowie Sexual- und Paartherapeutin mit eigener Praxis in Hamburg.
Foto: Roman Dachsel

Tatsächlich scheinen vor allem Männer unter unbefriedigter Lust zu leiden, glaubt man der Bevölkerungsstudie „Gesundheit und Sexualität in Deutschland“. Gefördert wurde die Studie, für die 2018 rund ein Jahr 2.336 Männer und 2.619 Frauen zu ihren Erfahrungen, Beziehungen und Einstellungen interviewt wurden, unter anderem  von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Ihr zufolge stellen Männer stellen den Großteil der Kundschaft in der Sexarbeit. Etwa 27 Prozent gaben an, schon mal für Sex bezahlt zu haben. Bei Frauen hingegen waren es nicht mal ein Prozent. Doch gibt es tatsächlich geschlechtsspezifische Unterschiede im sexuellen Verlangen?

„Ja, aber viele davon sind sozial konstruiert“, sagt Wessel. „Männer lernen früh, Sexualität aktiv zu fordern oder mit Leistung zu verknüpfen. Frauen erleben Sexualität oft passiver, beziehungsbezogen und mit mehr Scham.“ Als Heilpraktikerin für Psychotherapie sowie Sexual- und Paartherapeutin weiß die Hamburgerin um die geschlechtsspezifischen Unterschiede. In ihrem Podcast „Resonanzraum“ spricht sie über Beziehungsgestaltung und  den Umgang mit Frustration.

Männer neigten dazu, ihren Frust zu externalisieren – etwa durch Pornokonsum, Affären oder impulsives Verhalten. Frauen hingegen verarbeiteten Frust häufiger nach innen als Selbstzweifel oder Schuldgefühle. Wessel betont außerdem, dass unbefriedigte Lust nicht nur traurig und depressiv machen könne, sondern auch gefährlich werden. „Sexuelle Frustration kann in emotionale Erpressung, Objektifizierung anderer oder sogar Gewaltfantasien münden“, warnt Wessel. Ein Beispiel dafür sind Incel-Communities – Online-Gruppen, in denen vorwiegend männliche Mitglieder ihre unfreiwillige sexuelle Enthaltsamkeit in Hass und teils gewaltverherrlichende Ideologien umwandeln.

Lust ist kein Gut, das jemandem geschuldet wird

Was also tun gegen die unbefriedigte Lust? Zuerst empfiehlt Wessel, zu differenzieren. Was genau ist Lust und wohin möchte sie? Solosex oder erotische Fantasien könnten helfen, einen Zugang zur eigenen Sexualität zu schaffen. „Auch Gespräche in Sexual- oder Paartherapie können helfen, alte Muster zu hinterfragen“, sagt sie. Auf gesellschaftlicher Ebene brauche es Veränderungen. Gesetzliche und soziale Rahmenbedingungen für Sexarbeit sowie eine vielfältige Sexualbildung müssten überdacht werden. „Sexualität darf nicht auf Jugend, Schönheit oder Heteronormativität reduziert werden“, betont Wessel.

Auch Lust, die keinen Ort findet, auszuhalten, gehöre zur sexuellen Reife. Niemand habe ein Recht auf Befriedigung. Lust sei kein Gut, das jemandem geschuldet wird. Der Anspruch, dass andere dafür verfügbar sein müssten, mache aus einem selbstbestimmten Bedürfnis eine Forderung.

Zuletzt betont die Sexualtherapeutin: „Eigene Wünsche zu benennen und die Grenzen des Gegenübers zu respektieren – das ist die Basis für echte, freiwillige Begegnung statt für Anspruch und Druck.“

2 Antworten auf „Befriedigung: ungenügend“

  1. Von Daniel am 14. Mai 2025

    Gut

  2. Von Thomas am 15. Mai 2025

    Guter Artikel, nur ändert er nicht die Situation, und dass die Situation in Gewalt umschlagen könnte, bei mir sicher nicht! Ja, diesem Satz stimme ich zu! „Frauen erleben Sexualität oft passiver, beziehungsbezogen und mit mehr Scham.“! Jede Frau hat geheime Wünsche, aber sie getrauen sich nicht zu Öffnen.
    Danke!

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