Dateien zum Anfassen

Fast wie Magie: Wer einen 3D-Drucker besitzt, kann fast alles drucken, was er möchte – auch ohne viel Technikwissen. Trotzdem blieb der große Durchbruch bisher aus.
Ein leises Surren erfüllt das Wohnzimmer. Direkt neben der Couch arbeitet eine kleine Maschine. Millimeter für Millimeter legt sie erhitzte Kunststofffäden ab, Schicht für Schicht. Wenige Stunden später ertönt ein fröhliches Piepen: Der Flaschenhalter für‘s Fahrrad ist fertig – gedruckt aus einem Datensatz, im eigenen Zuhause.
Anders als ein Tintenstrahldrucker, der in zwei Dimensionen auf Papier druckt, erschafft ein 3D-Drucker plastische, körperliche Objekte. Auf einer beheizten Plattform entsteht das Modell, indem das erhitzte Material schichtweise aufgetragen wird. Meist wird Polymilchsäure (PLA) verwendet, ein Kunststoff, der aus nachwachsenden Rohstoffen wie Maisstärke oder Zuckerrohr hergestellt wird.
Damit aus einer Idee ein physisches Objekt wird, braucht es ein 3D-Modell. Wer Formen selbst gestalten will, nutzt die sogenannte CAD-Software (Computer Aided Design). Damit lassen sich Modelle direkt am Computer zeichnen. Tutorials auf Youtube oder Online-Kurse zur 3D-Modellierung erleichtern den Einstieg.
Die Kultur dahinter: Eine globale Werkbank
Wer nicht gleich so tief in die Materie einsteigen will, findet auf Open-Source-Plattformen genug kostenlose Dateien. Auf Thingiverse, MiniFactory oder Printables beispielsweise gibt es bereits tausende fertige Vorlagen: von Eierbechern über Ersatzteile bis hin zu Spielzeug. Der Download ist unkompliziert, das Modell sofort einsatzbereit.
Was den 3D-Druck besonders macht, ist auch die Kultur dahinter. Die meisten der Open-Source-Dateien stehen unter Creative-Commons-Lizenzen und dürfen nicht nur genutzt, sondern auch verändert und weiterverbreitet werden. So entsteht eine globale, kollaborative Werkbank, in der Formen und Fehler geteilt werden.
Denn Fehler passieren: Das aufgerollte Filament, also das Material für den Drucker, kann verrutschen, Schichten sich lösen oder Druckdüsen verstopfen. 3D-Druck-Fans tauschen sich regelmäßig in sozialen Medien und Foren wie Reddit dazu aus. Diese Open-Source-Mentalität sorgt nicht nur für Innovation, sondern demokratisiert auch die Gestaltung selbst: Wer keinen Zugang zu Designsoftware hat oder einfach keine technische Veranlagung, kann auf Vorlagen zurückgreifen.
Slicing und Dreieckssprache
Bevor der Druck beginnt, geht es ans Slicing (dt.: schneiden). Dabei wird das 3D-Modell in hauchdünne horizontale Schichten zerlegt, wie bei einer virtuellen Brotschneidemaschine. Die Software erzeugt daraus eine Art Bauanleitung, die jede Bewegung des Druckers steuert, also wo und wie viel Filament er ablagern soll.
Das Dateiformat für 3D-Modelle ist keines der bekannten pdf-, doc- oder jpg-Dateien, sondern eine stl-Datei. STL steht für “Standard Triangle Language” (dt.: Standard-Sprache der Dreiecke). In dieser Sprache beschreibt der Computer die Oberfläche eines Objekts als Netz aus winzigen Dreiecken. Warum Dreiecke? Weil der Computer damit auch runde oder schräge Flächen nachbauen kann. Je komplexer die Form, desto mehr Dreiecke.
Erfunden wurde das Format vom US-amerikanischen Ingenieur Chuck Hull in den 1980er Jahren, zeitgleich zur Stereolithografie, dem ersten kommerziellen 3D-Druckverfahren. Er wird auch “der Vater des 3D-Drucks” genannt. Doch es dauerte noch Jahrzehnte, bis die Technologie aus dem industriellen Kontext herauskam und Platz auf heimischen Tischen fand.
Einmal Seifenschale, bitte
Heute haben immer mehr Privatpersonen einen 3D-Drucker im Arbeitszimmer oder in der Garage stehen. Laut der Analysefirma Context wurden Ende 2023 fast eine Million sogenannte Desktop-3D-Drucker weltweit verkauft. Der große Durchbruch im Massenmarkt blieb bislang aber aus.
Die Idee klingt verlockend: Ersatzteile, Küchenhelfer, Spielzeug – alles auf Abruf produzierbar. Kein Warten auf Lieferungen, kein Stöbern im Baumarkt oder Möbelgeschäft. Stattdessen reicht ein Datensatz, eine Spule Kunststoff und etwas Geduld. Denn 3D-Druck ist kein schneller Sofortprozess. Je nach Objekt vergehen Stunden bis Tage, bis aus einer Datei ein nutzbarer Gegenstand wird.
Eine gängige Spule PLA-Filament wiegt meist ein Kilogramm. Damit lassen sich etwa rund 50 Eierbecher herstellen, wenn einer etwa 20 Gramm Material verbraucht. Bei einem durchschnittlichen Stromverbrauch von etwa 120 Watt und einer Druckzeit von zwei bis vier Stunden, je nach Drucker-Modell, kostet der so produzierte Eierbecher zwischen 50 Cent und einem Euro.
Polymilchsäure ist ein biobasierter Kunststoff. Dennoch bleibt Nachhaltigkeit ein Thema: Die Drucker verbrauchen Energie und nicht alle Reste lassen sich recyceln. Es gibt jedoch auch Firmen wie das schwedische Crème Atelier, die Lampen aus Maisstärke und recycelten Lebensmittelverpackungen herstellen. Ausschließlich auf Anfrage, um Massenproduktion zu vermeiden.
Zwischen Mini-Manufaktur und DIY
Auch wenn Heimdrucker noch eine Nische sind, verändern sie längst Designprozesse. In Architekturbüros entstehen Modellteile, in Optikläden individuell angepasste Fassungen, in der Medizin Prothesen und Zahnschienen. Gleichzeitig befeuert die Technik eine neue Form des Selbermachens: Wer früher zur Werkbank ging, lädt heute eine Datei herunter und klickt auf “Drucken“. Aus digitalen Ideen entstehen greifbare Dinge – und das ist ziemlich faszinierend.