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Deweys Vermächtnis

Von Timotheus Tiger / 23. April 2012
picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ed Ford

Am 1. Juni begeht New York den 70. Todestag von John Dewey. Er gilt als einer der größten Philosophen des 20. Jahrhunderts – in Deutschland kennt ihn allerdings kaum jemand, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass er einer der Hauptvertreter des Pragmatismus war – nicht unbedingt eine deutsche Paradedisziplin. Hans Jonas schrieb, kein […]

Am 1. Juni begeht New York den 70. Todestag von John Dewey. Er gilt als einer der größten Philosophen des 20. Jahrhunderts – in Deutschland kennt ihn allerdings kaum jemand, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass er einer der Hauptvertreter des Pragmatismus war – nicht unbedingt eine deutsche Paradedisziplin.

Hans Jonas schrieb, kein Denker von Deweys Größe sei in Deutschland auch nur annähernd so stiefmütterlich be­handelt worden.

John Dewey war nicht nur Vordenker der Pädagogik – in diesem Kontext kennt man ihn hierzulande noch am ehesten. Er war auch Präsident der American Philosophical Association und Gründungsmitglied der American Civil Liberties Union.

Zur Weimarer Zeit, als auch in Deutschland die Massen­medien Presse und Funk den Durchbruch schafften, lieferte sich Dewey eine Diskurs-Schlacht mit Walter Lippmann. Lippmann war mit einer massiven Kritik am Einfluss von Zeitungen auf die politische Willensbildung an die Öffent­lichkeit getreten. Solange Zeitungen existierten, die un­geprüft „ihre“ Wahrheiten veröffentlichen könnten, seien demokratische Regierungen nicht sicher.

Dewey nahm die Vorlage auf, widersprach auch Lippmanns Analyse nicht vollständig, plädierte aber dennoch dafür, den Medien eine Chance zu geben. (Massen-)Kommunikation bilde die Grundlage dafür, „ein individuell distinktives Mitglied einer Gemeinschaft zu sein“, so Dewey, der zu dieser Zeit an der Columbia University in New York lehrte. Eben weil die staatlichen Institutionen der 1920er-Jahre – dies galt für die USA wie für Deutschland – keine trans­parenten Einrichtungen seien, bedürfe es der Medien, um Menschen anzusprechen und politische Prozesse ins Rollen zu bringen.

Dewey ist seit 70 Jahren tot und die Hugenberg-Presse längst verschwunden – doch die Diskussion der beiden Intellek­tuellen können wir ohne große Schwierigkeiten wieder­holen. Ein Produkt wie „RTL aktuell“ gilt ernsthaft als Nachrichtensendung, Anzeigenblätter werden von ihren Lesern als „normale Zeitung“ eingeordnet, und ein Typ wie Ronald Schill räumt in einer sich aufgeklärt wähnenden deutschen Stadt jede fünfte Wählerstimme ab, weil er die Medienwelt nach ihren Gesetzen bedient. Lippmann hatte Recht.

Doch es gibt auch Bildblog, Guttenplag und den arabischen Facebook-Frühling. Auf ein Phänomen wie Schill folgte ein Phänomen wie die Piratenpartei, sicherlich mit popu­listischen und vielen unausgereiften Elementen. Aber auch mit dem Nebeneffekt, einen neuen Transparenz-Anspruch an die Politik heranzutragen, und damit eine zentrale Forde­rung von Walter Lippmann zu unterstützen.

Gleichzeitig zeigt die Entwicklung der politischen Willens­bildung in den USA noch in eine andere, bedrohlichere technische Richtung. Neben verblödender bis verblendender Medien wie Fox News haben US-Wahlkampfstrategen im vergangenen Jahrzehnt Targeting und andere Datenbank-gestützte Verfahren kennengelernt, mit denen Wähler online individuell bedient und „informiert“ werden können. Bei den Republikanern machte Karl Rove den Anfang mit einer bis heute geheim gehaltenen Datensammlung über US-Wähler, auf Seite der Demokraten und linksliberaler NGOs gibt es den Daten-Tank Catalist.

Eli Pariser (MoveOn.org) wies in seinem kürzlich erschie­nenen Buch „The Filter Bubble“ darauf hin, dass in abseh­barer Zeit keine übergeordneten Wahlprogramme und –kampagnen mehr konzipiert würden und an ihre Stelle hunderttausende von individualisierten Botschaften treten, gestützt auf Milliarden kleiner Triggerpunkte, die Daten­banken aus unserem Surfverhalten im Netz isoliert haben.

Die Entwicklung wird vermutlich nicht so schnell Realität werden und auch nicht in einer so schwarz/weißen 1984-Form. Aber wenn Dewey gegenüber Lippmann Recht be­halten soll, sind parallel zu diesen Targeting-Konzepten und den politisch immer belangloseren großen Medien­organisationen unabhängige Plattformen nötig, auf denen Debatten entzündet, gesammelt und geführt werden.

Das muss nicht (allein) sagwas sein – ich hätte aber umgekehrt auch nichts dagegen. Im Übrigen bin ich bei aller Skepsis gegenüber der Daten- und Marktmacht von Facebook unverändert der Meinung: In der Ära von Social Networks wäre Hitler nicht an die Macht gekommen.

Und jetzt trinke ich einen auf Professor Dewey.

Eine Antwort zu “Deweys Vermächtnis”

  1. Von debattant am 24. April 2012

    Sagwas indirekt als unabhängige Plattform zu bezeichnen, halte ich für etwas übertrieben. Bei aller Sympathie für die FES: Sie ist eine parteinahe Stiftung. Unabhängigkeit sieht dann doch etwas anders aus. Ich finde das Portal vom Ansatz her ganz okay, aber es sollte doch im Bewusstsein bleiben, dass es ganz klar parteinah ist. Auch wenn dies nicht wirklich zum Ausdruck kommt, bleibt doch eine bestimmte Linie, die sicherlich die FES nicht überschritten sehen will. 😉
    Außerdem würde mich interessieren, warum Sie, Herr „Tiger“, davon ausgehen, dass es Hitler mit dem Web 2.0 nicht gegeben hätte.

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