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DSDS

Von Marc Saxer / 12. April 2013
picture alliance / Zoonar | Viktor Gladkov

Jede Woche wieder ziehe ich mir „Deutschland sucht den Superstar“ rein. Ja, ja, ich weiß, DSDS ist zynisch, manipulativ, heuchlerisch, eigentlich eine Farce. Und dennoch: Ich brauche den Junk wie ein Heißhungriger seinen Burger. Was ist so faszinierend an einer Fernsehshow, die mit großem Getöse junge Menschen selektiert, lächerlich macht, aussaugt und kurze Zeit später […]

Jede Woche wieder ziehe ich mir „Deutschland sucht den Superstar“ rein.
Ja, ja, ich weiß, DSDS ist zynisch, manipulativ, heuchlerisch, eigentlich eine Farce.

Und dennoch: Ich brauche den Junk wie ein Heißhungriger seinen Burger. Was ist so faszinierend an einer Fernsehshow, die mit großem Getöse junge Menschen selektiert, lächerlich macht, aussaugt und kurze Zeit später wieder in die Bedeutungslosigkeit entlässt, aus der sie gekommen sind? 
DSDS ist die Kirche des Kapitalismus. Hier werden Werte vermittelt, Leitbilder geschaffen, Rollen definiert – kurzum: Ideologie reproduziert. Vor Millionenpublikum werden die großen Fragen der Nation verhandelt: Wer ist einer von uns? Und was bedeutet das eigentlich? Wer erhält eine Chance, seine Träume zu verwirklichen? Und was muss man dafür tun? Identität und Teilhabe, Aufstieg oder Exklusion, Schuld und Vergebung in der kapitalistischen Ethik.

Häh, wie das? Schauen wir genauer hin.

Vom Menschen zum Humankapital: Das neoliberale Leistungsethos

Der Hohepriester des Neoliberalismus Dieter Bohlen hämmert seinen Jüngern das Glaubensbekenntnis mit jedem Satz ein: Du musst hart an Dir arbeiten, Du musst Leistung bringen, Du musst hier jedes Mal abliefern. Scheißegal ob Deine Frau ein Kind bekommt, ob Du heute krank bist oder Dein Vater Dich verprügelt hat – alles was zählt ist Deine Leistung hier und jetzt. 
Das ist nicht der bürgerliche Verdienstbegriff, der danach urteilt, ob einer ‚wirklich gut singen kann‘. Das ist auch kein sozialer Leistungsergriff, der die Lebensumstände berücksichtigt. Das ist der kalte Leistungsbegriff des Neoliberalismus, der sämtliche Lebensrisiken den Individuen aufbürdet.

Aus neoliberaler Perspektive hat ein Arbeitsloser sich nicht genug angestrengt, ein Kranker sich falsch ernährt und ein Gebrechlicher sein Fitnessprogramm vernachlässigt. Das ganz auf sich gestellte Individuum, das ohne zu murren hart an sich arbeitet, ohne Hilfestellung Leistung bringt und bei Wind und Wetter abliefert. So wird aus Menschen Humankapital, das der globalisierte Kapitalismus beliebig verschieben, aussortieren, und verschleißen kann.


Vom Tellerwäscher zum Superstar? Das Heilversprechen des Kapitalismus

Warum unterwerfen sich die Kandidaten diesem Martyrium? Warum lassen sie sich vor großem Publikum beleidigen, maßregeln und lächerlich machen? Wofür arbeiten sie Tag und Nacht, verzweifeln und kämpfen sie? Für das Heilversprechen des Kapitalismus: dass jeder es schaffen kann. Dass jeder es vom Tellerwäscher zum Millionär, vom Problemschüler zum Superstar bringen kann. Wenn man nur, wir haben‘s ja schon kapiert: hart an sich arbeitet, Leistung bringt und abliefert.

All Menschen werden Brüder? Gleichheit im Konsum

Da ist sie wieder, die alte Janusköpfigkeit des Kapitalismus. Rund um den Erdball wälzt er Gesellschaften um, ebnet alte Trennlinien ein, und schafft zugleich neue Unterschiede. Slavoj Zizek hat auf das emanzipatorische Potential dieses multi-kulturellen Kapitalismus‘ hingewiesen. Hier blitzt das Händlerethos auf: Egal wer Du bist oder woran Du glaubst, Dein Geld ist gleich gut. Alle Menschen werden Brüder? Nein, aber zumindest shoppen sie friedlich Seite an Seite.

Gleichzeitig macht das multi-kulturelle Prekariat die neuen Trennlinien des Kapitalismus sichtbar. Ob nun seit Jahrhunderten ansässig oder gerade erst zugewandert: Ein Kind aus dem „bildungsfernen Milieu“ hat nicht allzu viele Lebenschancen. Oft bleiben nur drei Wege nach oben: die Armee, der Sport, und das Showgeschäft. Willkommen bei DSDS. 
Es ist daher kein Zufall, dass die DSDS-Kandidaten ein Potburri an Bindestrichdeutschen sind. Und es überrascht nicht, dass hier ehrgeizige und talentierte junge Menschen die Chance, die ihnen (vermeintlich) gegeben wird, mit beiden Armen umklammern. Die Tränen der Gescheiterten, der Enthusiasmus der Sieger sind daher echt. Und gleichzeitig der eigentliche Treibstoff der Unterhaltungsindustrie.

Die kunterbunten Messdiener des Kapitalismus

Und doch geht es hier um mehr als um Gladiatoren, die zur Unterhaltung des Publikums um eine Lebenschance kämpfen. Junge Menschen, die um ihren Patz in der Gesellschaft ringen, waren zu allen Zeiten die idealen Fackelträger der jeweils herrschenden Ideologie. Ihr Enthusiasmus und ihre Naivität machen sie zur leichten Beute. Ihr heiliger Ernst, ihre verzweifelte Entschlossenheit macht Ideologie fühlbar. Von den Messdienern wird also ein Gesellschaftsideal vorexerziert. Es ist das Gesellschaftsideal des globalisierten Kapitalismus. Weinende Muttis im Kopftuch, dunkelhäutige Leistungsträger, Araberinnen im Bikini, farbenfrohe Trachten am Bühnenrand: Hier wird das Bild einer kunterbunten Gesellschaft zelebriert, in der jeder einen Platz hat, der eben ansicharbeitetleistungbringabliefert.

Schuld und Vergebung im Kapitalismus

Bei allem Zynismus über die Halbjahreskarrieren der Vorjahressieger: In der Kirche des Kapitalismus geschehen auch echte Wunder. Die Ausgeschlossenen erhalten die Chance, in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden, wenn, ja wenn sie sich nur an die Gebote ihres Herren halten und hart an sich arbeiten, Leistung bringen, abliefern. Und den Gefallenen wird Vergebung ihrer Sünden gewährt, wenn sie sich in kleinen Einspielfilmchen tränenreich für ihre vergangenen Fehltritte um Vergebung bitten.

Der Mensch bleibt Mensch

Nur das Publikum, das ungezogene Gör, spielt nicht mit. Verweigert den Jury-Favoriten die Anrufe. Stimmt nach Sympathie ab, nicht nach Leistung. Denn oft wirken gerade die Kandidaten, die am abgeklärtesten die Logik der Show befolgen, kalt und berechnend. Und das Publikum will sich lieber identifizieren, verlieben, mitfiebern statt Leistung zu belohnen. Aber warum soll es der Kirche des Kapitalismus besser gehen als ihren Vorgängern. Der Mensch bleibt Mensch, und pfeift auf die Gebote.

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