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Ein Geschenk, um das Schweigen zu brechen

Von Julia Finster / 29. April 2025
picture alliance/dpa | Hannes P Albert

Im Rahmen des Internationalen Frauen Film Fests (IFFF) in Dortmund+Köln 2025 lassen sich Zuschauer oft auf Filme ein, von denen sie lediglich den Titel kennen. Nicht immer werden sie für ihre Wahl belohnt. Womit der Film „Okurimono“ das Publikum überzeugt, verraten Festivalbesucherinnen und -besucher.

Der kleine Kinosaal in der Schauburg in der Dortmunder Innenstadt ist fast bis auf den letzten Platz besetzt. Ein leises Murmeln und Klirren der Glasflaschen ist von den belegten Sitzen zu hören, auf den Rängen sind überwiegend Frauen zu sehen, die meisten von ihnen noch sehr jung. Auf die Kinoleinwand ist ein Banner projiziert, das die Zuschauer beim Internationalen Frauen Film Fest (IFFF) begrüßt. Die Organisatorinnen des IFFF präsentieren zu Beginn „Okurimono“, einen Dokumentarfilm der kanadischen Filmproduzentin Laurence Lévesque. Da das Filmprogramm des IFFF vielfältig und umfangreich ist, haben sich viele der Besucherinnen und Besucher ohne triftigen Grund für „Okurimono“ entschieden. Sie wollen sich vielmehr, ohne Handlung und Hintergründe vorab genau zu kennen, auf die Atmosphäre und die Besonderheiten des Films einlassen.

Regisseurin Laurence Lévesque (Foto: Emile Desroches)

Die anfängliche Unbeschwertheit der Zuschauer, die im Kinosaal anfangs bemerkbar ist und den Begrüßungsworten der Organisatorinnen vorausgeht, verfliegt nach Beginn des Films schnell und schlägt rasch in eine spürbare Bedrückung um. Den Gesichtern des Publikums ist durch die direkte Auseinandersetzung mit dem Thema des Films und der damit verbundenen Schwere vor allem eines zu entnehmen: Nachdenklichkeit. Nachdenklichkeit, aber auch Ergriffenheit und das Unvermögen, das geschilderte Leid der Überlebenden des Atombombenabwurfs auf Nagasaki 1945 tatsächlich zu begreifen.

Direkt am Geschehen beteiligt

Ich spreche mit Antonia Michaelis, einer jungen Frau aus Dortmund. Sie kennt das IFFF bereits aus vergangenen Jahren. „Mir hat das Festival die letzten Male so gut gefallen, dass ich auch dieses Jahr unbedingt vorbeischauen wollte“, so Antonia. Sie ist eine der Zuschauerinnen, die sich nicht bewusst für „Okurimono“ entschieden haben, denn „eigentlich hatte ich nur heute Zeit, deshalb habe ich mir den Inhalt des Films nur kurz durchgelesen, und dachte mir, den gucke ich mir an“, wie sie zugibt. Sie lobt den Film wiederholt für seine „interessanten Eindrücke“, die ihr Perspektiven eröffnet hätten, mit denen sie vorher keinen Berührungspunkt gehabt hätte. Die Entscheidung von Filmproduzentin Laurence Lévesque, auf eine den Film durchgehend begleitende Musikuntermalung zu verzichten, hebt sie positiv hervor. Wo Musik dann doch in Kombination mit den Bildern vorkommt, würde das eine besondere emotionale Wirkung hervorrufen und für sie zum Gefühl beitragen, direkt am Geschehen beteiligt zu sein.

Besucherin Marianne Süßmuth ist ebenfalls aus Dortmund. Ihre braunen lockigen Haare wehen leicht im für April ungewöhnlich warmen Wind und umspielen ihre dunkle runde Brille. „Mir hat besonders gefallen, dass nicht zu viel geredet wurde und der Fokus eher auf den Geräuschen lag, das hat den Film gleich viel realistischer gemacht“, erklärt sie. Die Abwesenheit längerer Textpassagen und die Fokussierung auf Akustik hätten sie „fast ein bisschen an ASMR erinnert“, sagt sie lachend. Obwohl sie selbst keinen persönlichen Bezug zu der Geschichte Nagasakis hat, habe ihr der Film eindrücklich die Geschichte und Erfahrungen der Überlebenden vor Augen geführt. „Das war insgesamt wirklich gut gemacht“, so Mariannes Bilanz.

Kritische Stimmen trotz großer Bewunderung

Einen Aspekt loben sowohl Marianne und Antonia als auch andere Gäste besonders: die Auswahl der Zeitzeugen. Sprechen sie von ihren Erinnerungen an den 9. August 1945 und die darauffolgenden Tage und Wochen, wirken sie auf den Zuschauer zunächst gefasst und ruhig. Fast so, als würden sie jedes ihrer Worte mit Bedacht wählen. Trotzdem schwingt ein leise vernehmbares Zittern in ihren Stimmen mit, wenn sie nach kurzen Redepausen wieder neu ansetzen müssen. „Das hat uns besonders berührt, denn es gibt schließlich bald keine Zeitzeugen mehr“, so Antonia und Marianne einstimmig. Der Film schaffe es, die Erlebnisse dieser Zeitzeugen, die sich erst nach jahrzehntelangem Schweigen zu dem Erlebten äußern, für die Nachwelt festzuhalten. Da „Okurimono“ aus dem Japanischen übersetzt „Geschenk“ bedeutet, ist der Film auch für die Besucher ein Geschenk, um das Schweigen zu brechen, wie einige Besucher bemerken.

Trotz der bewegenden Schilderungen der Erlebnisse dieser Zeitzeugen übt eine Besucherin Kritik. Die Überlebenden hätten im Film zwar ausführlich von ihren Erinnerungen berichtet, allerdings zu mechanisch und objektiv, ohne einen tatsächlichen Einblick in ihre persönlichen Gefühle und Gedanken zu der Katastrophe zu gewähren. Ein tiefgreifendes Verständnis für die Empfindungen der Überlebenden würde so auch 80 Jahre nach dem Abwurf der Atombombe auf Nagasaki ausbleiben.

Am Ende der anderthalbstündigen Vorstellung überwiegen Anerkennung und Bewunderung für den Stil und die Perspektive des Films. So ist „Okurimono“ für viele Zuschauer eine filmische Annäherung an vielschichtige Schicksale und ein Ereignis, das, wie es die Kuratorinnen noch vor Beginn des Films einleitend beschreiben, „eigentlich hier kein Thema ist“. Am Ende verharrt das Publikum nicht nur noch einige Minuten auf seinen Sitzen, sondern stimmt, erst vereinzelt und zögerlich, aber dann immer deutlicher, in Applaus ein. Ein Applaus, der sich über die Stille in dem kleinen Kinosaal legt.

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