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Ist das noch gut oder kann das weg?

Von Lilith Diringer / 5. Juli 2019
picture alliance / SZ Photo | Catherina Hess

Deutschland eilt weltweit der Ruf einer Nation penibler Mülltrenner voraus. Doch ganz so genau nehmen es die meisten mit der Abfallentsorgung gar nicht. Das liegt auch am System.

Ich bin genervt. Apfelbutz und Gurkenschalen. Schon wieder ist in der Gelben Tonne der Bioabfall gelandet. Dort also, wo nur Verpackungen, etwa die mit dem „Grünen Punkt“, hingehören. Kopfschüttelnd manövriere ich die Lebensmittelreste in den Behälter, der für sie vorgesehen ist. Wie kann es sein, dass ausgerechnet in Deutschland noch immer Leute damit überfordert zu sein scheinen, ihre Abfälle richtig zu entsorgen? So schwer ist es nicht. Oder doch?

Kapitel 1: Kassenbons sind doch aus Papier!?

Kassenzettel gehören tatsächlich in den Restmüll. Wie Fahrkarten sind sie meistens aus Thermopapier hergestellt und mit Bisphenol-A (BPA) beschichtet. BPA wird chemisch hergestellt und wirkt sich hormonell aus. Zu große Mengen davon würden sowohl das recycelte Papier als auch den im Aufbereitungsprozess entstehenden Klärschlamm belasten.

Eine ebenfalls bei erstmals allein lebenden Studierenden und Auszubildenden beliebte Frage: Wohin mit den Pizzakartons? Hier wird auf Altpapier getippt, doch sind auch die Kartons – wie die Kassenzettel – häufig beschichtet. In diesem Fall mit wasser- und ölabweisenden Mitteln. In der Regel also: ab in den Restmüll damit.

Wer sich die falsche Sortierung bereits angewöhnt hat und darauf besteht, hilft damit niemandem. Voraussetzung für die richtige Müllverwertung und Aufbereitung ist das private Trennen. War die Mülltrennung bis 2015 noch eine „Freiwillige Mithilfe“, ist sie seitdem in Deutschland zur „Bürgerpflicht“ aufgestiegen: Wird eine Tonne falsch befüllt, kann die Müllabfuhr sie ungeleert stehen lassen – und es droht ein saftiges Bußgeld. Bei in Deutschland allein an Hausmüll anfallenden 40 Millionen Tonnen im Jahr, wie der NABU vorrechnet, eigentlich keine schlechte Sache.

Kapitel 2: Das Mülltrennungssystem in Deutschland – nur gut gemeint?

„Terraforming“ bedeutet wörtlich: Erdumbildung. Oder auch das Bewohnbarmachen eines Planeten. Ältere Generationen benutzten den Begriff beschönigend, wenn Müll ungetrennt gesammelt, zu einem Berg aufgeschüttet, mit Erde bedeckt und begrünt wurde. Junge Leute kennen diese „Müllberge“ kaum noch. Zumindest nicht im Westen.

1991 trat die vom Bundestag verabschiedete „Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen“, kurz Verpackungsverordnung, in Kraft. Hierdurch wurden Unternehmen, die Verpackungen in Umlauf brachten, für deren Entsorgung verantwortlich gemacht. Daraufhin entstand das bekannte Prinzip des „Dualen Systems“: Deutsche Firmen sorgen kollektiv – neben der öffentlich-rechtlichen Abfallbeseitigung – für die Rücknahme und Verwertung von Verpackungen. Der Aufdruck des „Grünen Punkts“, der diesen Serviceauftrag als weltweit geschütztes Markenlogo kennzeichnet, war allerdings nur bis zu einer Neuauflage der Verordnung 2009 Pflicht.

Inzwischen können deutschlandweit zehn überwiegend als Kapitalgesellschaften organisierte Anbieter beauftragt werden, den Inhalt der Gelben Tonne einzusammeln und für die Wiederverwertung zu sortieren. Spezifische Regelungen in Sachen „Abfall zur Beseitigung“, also der eigentliche Müll, liegen in der Zuständigkeit der Kommunen, die diese Leistung über Gebühren finanzieren. Das heißt, trotz nationaler Richtlinien und EU-weiter Verordnungen gibt es nur ein bedingt einheitliches System.

Kapitel 3: Das Pfandsystem – der Stolz der Deutschen

Sorgsam werden die Flaschen in den dafür vorgesehenen Schacht eingeführt und am Ende spuckt der Automat zur Belohnung einen kleinen Kassengutschein aus. Seit der Einführung des Einwegpfands 2003 für entsprechende Getränkeverpackungen erfreuen sich besonders Plastikflaschen in Deutschland außerordentlicher Beliebtheit.

Als diese Entwicklung noch nicht abzusehen war, klagten Einzelhandel und Getränkeindustrie dagegen mehrmals erfolgslos vor dem Bundesverwaltungsgericht. Seit 2006 müssen Geschäfte mit mindestens 200 Quadratmetern Verkaufsfläche sämtliche Getränkeverpackungen ihres Sortimentes zurücknehmen – und Pfand auszahlen. Während sich Handel wie Konsumenten zunächst daran gewöhnen mussten, liegt die Rücklaufquote laut Umweltbundesamt heute bei knapp 96 Prozent.

Der Haken: Mehrwegflaschen verstauben derweil. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) verzeichnet eine seit der Pfandeinführung halbierte Mehrwegquote. Dabei waren Mehrwegverpackungen laut dem Umweltbundesamt schon 2002 bis zur Grenze von 1500 insgesamt zurückgelegten Kilometern umweltfreundlicher. Zwar müssen sie gereinigt und mehrfach an- und abtransportiert werden – Einwegflaschen jedoch, das bestätigt auch die Deutsche Umwelthilfe, legenvon der Produktion bis zum Kunden und wieder zurück zur Entsorgung eine doppelt so lange Strecke wie die Mehrwegalternative zurück. Zudem kann auch mit modernen Technologien noch lange nicht alles Einwegplastik wiederverwendet werden.

Fazit: Das System revolutionieren?

All jene, bei denen die Mülltrennung noch nicht in Fleisch und Blut übergangen ist, verfluchen sie oft und fragen sich: Ist der ganze Aufwand überhaupt sinnvoll? Definitiv! Wenn wir lokal und auch global eine bessere Ökobilanz wollen, lässt sich auf funktionales Vortrennen durch uns Bürger nicht verzichten. Stoffe so zu vermischen, dass eine Wiederaufbereitung danach unmöglich oder sehr schwierig wird, muss nicht sein. Sich richtig zu informieren, machen diverse Websites oder Broschüren möglich. Und immerhin beherrschen zahlreiche Deutsche die Kunst der Mülltrennung: 13 Prozent der Produktrohstoffe können durch recycelte Materialien mittlerweile ersetzt werden. Was sicher sinnvoller ist, als künstliche Berge aus Müll in die Landschaft zu pflanzen.

Eine Antwort zu “Ist das noch gut oder kann das weg?”

  1. Von Susanne am 5. Juli 2019

    sehr interessanter Artikel. Dass die Kassenbons nicht zum Altpapier sollen, wusste ich nicht.

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