Mit Freundlichkeit gegen den Weltuntergang

In Zeiten von sich überschlagenden Krisen sind Angst und Ohnmacht unsere täglichen Begleiter. Die Frage ist: Muss das so sein? Müssen wir uns permanent vor der Zukunft fürchten? Ich sage: Es gibt einen besseren Weg, damit umzugehen.
Wenn ich auf dem Smartphone durch die Nachrichten scrolle, ist es immer dasselbe. Waldbrände in Südkalifornien, Trump und Putin werden Freunde, die Ergebnisse der Bundestagswahl – mein Newsfeed spült mir schon lange nur noch Negativschlagzeilen ins Haus. Ich spüre, wie mit jedem Tag meine Zukunftsaussichten düsterer werden. Die Frage, was die Zukunft bringen wird, wage ich gar nicht mehr zu stellen. Das bestimmende Gefühl in mir: Ohnmacht.
Bis ich eines Tages merke, dass das keineswegs die einzige Haltung ist, die ich gegenüber der Weltlage und all ihrer Probleme einnehmen muss. Statt mich tagein, tagaus zu fragen, was die Zukunft mir bringen wird, beschließe ich, die Frage umzudrehen. Ab heute will ich fragen: Was kann ich der Zukunft geben?
Antidot gegen Ohnmacht: Selbstwirksamkeit
In der Psychologie gibt es den Begriff der Selbstwirksamkeit, ein wichtiges Werkzeug für die psychische Gesundheit. Dieser beschreibt eine innere Haltung: die Zuversicht, dass wir durch unser Handeln etwas bewegen können. Selbstwirksamkeit ist der natürliche Fressfeind von Ohnmacht und Zukunftsangst.
Dabei ist Selbstwirksamkeit nicht mit Größenwahn zu verwechseln. Wir können nicht alles ändern und sind auch nicht für alles verantwortlich. Der Trick ist, im Alltag die Hebel zu finden, an denen wir mit dem eigenen Handeln ansetzen können. Das Gute daran: Das Gefühl der Selbstwirksamkeit lässt sich trainieren. Es nimmt zu, je mehr wir merken, dass wir auf Dinge und Situationen tatsächlich Einfluss nehmen können.
Held*in des Alltags sein reicht auch
Vielleicht liegt es daran, dass wir zu viele Superheldenfilme gesehen haben oder die Probleme unserer Zeit uns schlicht als zu groß erscheinen. Wir erwarten von uns selbst außergewöhnliche Heldentaten. Dabei liegt unser Handlungsspielraum genau dort, wo wir ihn nicht vermuten – im Alltäglichen.
Trump leugnet den Klimawandel, während direkt vor ihm Los Angeles in Flammen aufgeht? Ich trage meiner 80-jährigen Nachbarin den Einkauf in den dritten Stock. Zuckerberg ruft lautstark nach mehr „maskuliner Energie“ und stoppt bei Meta alle Maßnahmen für Diversität und Chancengleichheit? Ich lege mich neben meine Nichte auf die Krabbeldecke und singe ihr Alle meine Entchen vor. In Deutschland haben 20 Prozent die AfD gewählt? Ich hebe an der Bushaltestelle zehn Kippen auf. Das sind spontane Gesten der Freundlichkeit, die sofort wirken und mich nicht viel kosten. Nimm das, Trump! Ich kann unendlich viele davon verteilen.
Freundlichkeit bewirkt mehr Freundlichkeiten
Wer größer denken und handeln will, kann das natürlich tun: sich ehrenamtlich in einem Verein engagieren, eine Petition unterzeichnen, Geld für eine gemeinnützige Organisation spenden, für das Amt der Bundeskanzlerin kandidieren – das sind unbestreitbar gute Ideen.
Doch sollten wir dabei nicht vergessen, woher wir kommen. Dass jede und jeder von uns nur darum am Leben ist, weil Menschen uns gewickelt, gebadet, gefüttert haben. Weil jemand uns gekitzelt, unser Lachen erwidert, uns vorgelesen hat. Wenn wir heute in der Lage sind zu handeln, dann nur darum, weil uns jemand zuvor viel Gutes getan hat. Eine Million alltägliche gute Taten. Die Welt mag an der Brutalität einiger weniger zerbrechen, die mit milliardenschweren Bulldozern über die Erdkugel brettern; zusammengehalten wird sie einzig durch die unzähligen alltäglichen Freundlichkeiten, die Menschen einander erweisen.
Selbstfürsorge ist auch Zukunftssorge
Wer sich im Alltag auf das Wohl der anderen fokussiert, läuft allerdings Gefahr, etwas anderes aus dem Blick zu verlieren: die Sorge um sich selbst. Altruismus ist eine Tugend, Selbstaufgabe nicht.
Mir ist ein Interview mit der Menschrechtsaktivistin Düzen Tekkal lebhaft in Erinnerung geblieben. Darin erzählt sie, wie sie sich in den ersten Jahren ihrer aktivistischen Arbeit beinahe in den Aktivismus-Burn-out manövriert hatte. „Ich habe nicht mehr auf mich selbst geachtet, mir angesichts des Leids anderer nicht zugestanden, schöne Dinge zu genießen.“ Am Feierabend im Park sitzen und ein Eis essen? Das war für sie undenkbar. Doch niemand kann immer nur geben. Auch Powerfrauen wie Tekkal müssen ihre Akkus aufladen.
Ich bewundere Tekkal für ihre Arbeit und als ich ihre ehrliche Antwort lese, wird es mir klar: Das, was ich der Zukunft geben möchte, das bin ich. Mit meinen Fähigkeiten, meinen Launen, meinen Zipperlein. Das nächste Mal, wenn ich mein Smartphone in die Hand nehme und Alice Weidel ins Mikrofon schreien sehe, werde ich eine Trainingseinheit in Sachen Selbstwirksamkeit absolvieren. Auf dem Programm: Durch Spazierengehen in der Sonne das eigene Wohlbefinden steigern. Es gibt keine bessere Art, die Welt zu retten.
Ja Miriam, so ging es mir auch, nur noch Hiobsbotschaften gelesen und bekommen. Jetzt versuche ich kleine Gesten in meinen Alltag zu integrieren. Den Verkäufer/ innen ein Lob oder Kompliment zu machen, da sie soviel Wut von den Kunden abbekommen. Auf der Straße jemandem ein Lächeln zu schenken. „Meinen“ Schülerinnen und Schülern noch mehr Aufmerksamkeit und Geduld zu schenken, oder auch Konsequent zu sein, um mich von Menschen zu trennen, die mir nicht guttun.
Das ist eine tolle Einstellung, Uschi Knieling! Je mehr Menschen sich so verhalten, desto spürbarer wird der Effekt für alle.