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Mit Wut gegen das Patriarchat

Von Johanna Vogler / 9. April 2025
picture alliance/AP Photo | Jorge Saenz

Weibliche Wut ist nicht sehr präsent in unserer Gesellschaft. Sie ist nicht gern gesehen. Dabei zeigt die Geschichte: nur mit Wut im Bauch können wir die Dinge verändern.

Es ist Dienstagabend. Ein Lokalpolitiker sitzt 17 jungen Menschen gegenüber. Er ist gekommen, um ihre Fragen zu beantworten. Die Atmosphäre ist einladend und entspannt. Neben Stickern stehen Salzstangen und Getränke bereit.

Als Asylpolitik und die Bezahlkarte für Geflüchtete thematisiert werden, melde ich mich und stelle eine Frage. Doch bevor ich meinen Satz zu Ende führen kann, werde ich von Ihm unterbrochen. Daraufhin folgt ein Monolog seinerseits. Wir sind unterschiedlicher Meinung. Ich konfrontiere ihn. Dann, kurze Zeit später – es ist wie ein Reflex – entschuldige ich mich und lenke ab. Im Nachhinein ärgere ich mich über meine Reaktion.

„Wieso werde ich immer unterbrochen? Nur weil ich eine Frau bin?“„Warum entschuldige ich mich, nur damit er sich nicht unwohl fühlt?“ Sein Verhalten macht mich wütend, doch ich schlucke es runter.

Wenn ich darüber nachdenke, kann ich nicht sagen, wann ich das letzte Mal wirklich meine Wut zum Ausdruck gebracht habe. Studien zeigen, dass Männer ihre Emotionen nach außen tragen, während Frauen diese eher nach innen und gegen sich selbst richten. Frauen empfinden aber nicht weniger Wut als Männer.

Warum nur verhalten wir Frauen uns dann viel häufiger angepasst und sind um Konformität bemüht? Ein Gedanke, der mir dazu kommt: Die weibliche Wut ist das Pendant zum männlichen Weinen. Die Gesellschaft straft das Verhalten von Kind auf ab als  „zu hysterisch“ oder „zu emotional“.

Eine falsche Geste, ein falscher Blick, ein falsches Wort kann der Auslöser für Wut sein, die dann rasend und blind ist. Sie ist eine kraftvolle Emotion, intensiv und überwältigend. Sie signalisiert: „Stopp, hier ist eine Grenze!“  Sie ist Ausdruck von erlebter Ungerechtigkeit, oft auch Machtlosigkeit.

Der Schmetterlings-Effekt: Kleine Gesten, die Großes bewirken

Aus kleinen Flügelschlägen wird ein turbulenter Sturm. Ein „Hey, ich war noch nicht fertig mit meinem Satz“ oder eine Moderation, die auf gleichberechtigte Redeanteile achtet, können irritieren und dem Gegenüber Denkanstöße liefern. Denn das ist erlaubt: Frauen dürfen irritieren.

TikTok-Trends wie #femalerage, #microfeminism oder #womeninmalefields machen deutlich, dass es legitim ist, auf solche Situationen aufmerksam zu machen. Frauen bestärken sich gegenseitig darin, für sich einzustehen.  Diese Trends zeigen, wo Sexismus im Alltag anfängt. Diese Alltagsungerechtigkeiten sollten uns aufregen! Denn auch das ist erlaubt: Frauen dürfen wütend sein. Und, ja, sie dürfen laut sein.

Ein Blick in die Geschichte

Weibliche Wut ist revolutionär und notwendig, will man etwas verändern. Zahlreiche wütende Aktivist*innen, die Missstände trotz politischer Konsequenzen, die ihnen drohen, anprangern, sind dafür Zeugnis. Die Wut ist Treiberin sozialer und feministischer Bewegungen und damit ausschlaggebend für Veränderung und gesellschaftlichen Wandel; eine Form des Widerstandes.

Ein Beispiel unter vielen ist der Widerstand der Las Mariposas (zu deutsch: Die Schmetterlinge) in der Dominikanischen Republik. Vier Schwestern protestierten offen mit ihren Ehemännern gegen das Diktatorregime von Rafael Leónidas Trujillo Molina und planten dessen Umsturz und setzten sich radikal für Frauenrechte ein. Trujillo war ein Diktator, der 1930 bis 1961 brutal über die Menschen in der Dominikanischen Republik herrschte. Die vier Schwestern waren gebildet, was in den 1950er Jahren für Frauen ungewöhnlich war. Am 25. November 1960 wurden drei der vier Schwestern von Trujillos Anhängern brutal zu Tode geprügelt. Weil sie politische Gegner waren. Weil sie Frauen waren. Die Vereinten Nationen erkannten 1990 den 25. November zum Internationalen Tag der patriarchalen Gewalt gegen Frauen an.

In mir steigt Wut auf. Die Geschichte hinter diesem Tag ist nur wenigen bekannt. Sie reiht sich ein in die zahlreichen Widerstandskämpfe, die von Frauen ausgetragen wurden, aber systematisch in den Geschichtsbüchern ausgelassen werden.

Auch zur deutschen Geschichte gehören zahlreiche weibliche Widerstandskämpferinnen, die lange vergessen wurden – Hedwig Porschütz zum Beispiel.

Ihre Geschichte zeigt, wie weiblicher Widerstand Menschenleben rettete. In ihrer Wohnung versteckte sie vier Jüdinnen vor den Nazis. Nach dem Ende des Nationalsozialismus verweigerte die Bundesrepublik ihr die Anerkennung als Widerstandskämpferin und damit Sozialhilfe gerichtlich. Der Grund: Sie verdiente ihr Geld mit Sexarbeit.

Ihre Geschichte zeigt auch, dass die Abwertung des Weiblichen dazu führt, dass viele Frauen lange, teils bis heute, keine Anerkennung erfahren. Seit 2019 erst gibt es politische Bestrebungen um Aufarbeitung von Frauen die Widerstand in der NS-Zeit geleistet haben.

Wohin mit all der Wut?

Es ist viel historisches Unrecht geschehen und sexistische Strukturen bestehen bis heute. Das löst viel Wut aus. Diese Wut kann ihren Ausdruck in vielen Formen nehmen: Kunst, Sprache, Sport, Kultur und Protest.

Richtig kanalisiert kann Wut viel Positives bewirken: gesellschaftlichen und politischen Wandel, Gesetzesänderungen. Doch dafür müssen wir sie erst wieder spüren.

Und, worauf bist Du wütend?

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