DebatteJugend ohne Social Media?
In Australien ist Anfang des Jahres ein Gesetz in Kraft getreten, das Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren den Zugang zu Online-Netzwerken verbietet. Brauchen wir in Deutschland eine ähnliche Regelung?
Stundenlanges Scrollen, Bildschirmzeiten von mehreren Stunden pro Tag: Instagram, TikTok und Co. haben viele von uns fest im Griff. Wir wissen um die Gefahren von sozialen Netzwerken, um ihr Suchtpotenzial und um die manipulierenden Algorithmen, die uns scheinbar besser kennen als wir uns selbst. Doch wollen wir das auch unseren Kindern zumuten? Trauen wir ihnen zu, mit all dem, was wir jeden Tag im Internet sehen, umgehen zu können?
Als erstes Land der Welt hat Australien nun beschlossen, diese Fragen in die Hand des Staates zu legen. Dort sind die Betreiber der sozialen Netzwerke seit Beginn des Jahres dazu verpflichtet, Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren den Zugang zu ihren Plattformen zu verbieten. Laut dem neuen Gesetz haben sie ein Jahr lang Zeit, entsprechende Alterskontrollen einzuführen. Tun sie das nicht, drohen Geldstrafen von umgerechnet bis zu 31 Millionen Euro.
Soziale Medien gehören auch für Kinder zum Alltag
Bereits jetzt sehen die Nutzungsbedingungen der meisten sozialen Netzwerke, darunter Instagram, Facebook, Tiktok und Snapchat, ein Mindestalter von 13 Jahren vor. Dennoch nutzen auch in Deutschland laut einer Studie des Digitalverbands Bitkom über 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen ab zehn Jahren mindestens ein soziales Netzwerk regelmäßig, die meisten davon auf dem eigenen Smartphone. Knapp die Hälfte von ihnen ist dabei bereits unfreiwillig auf für Kinder unangemessene Inhalte gestoßen oder hat schlechte Erfahrungen wie Cybermobbing oder sexuelle Belästigung gemacht.
Auch deshalb würde eine große Mehrheit in Deutschland ein Verbot von sozialen Medien für Kinder und Jugendliche begrüßen. Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov würden 77 Prozent der Befragten ein Gesetz nach australischem Vorbild befürworten. 82 Prozent glauben, dass sich die Nutzung von sozialen Medien negativ auf die junge Generation auswirkt.
Kritik an der Umsetzung in Australien
Während auch in Australien viele Eltern das Gesetz begrüßen, zeigt eine erste Evaluation jedoch Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Einer Untersuchung der Online-Sicherheitsbehörde eSafety zufolge seien die Alterskontrollen bislang nur unzureichend umgesetzt, die meisten Plattformen vertrauen bei der Altersangabe weiterhin auf Selbstauskünfte, die mühelos umgangen werden können. Wie viele Kinder und Jugendliche tatsächlich auf den Plattformen unterwegs sind, könnten die Betreiber dementsprechend kaum realistisch einschätzen, warnt die australische Initiative.
Die einzige Möglichkeit, nicht hintergehbare Alterskontrollen zu schaffen, wäre der Einsatz von biometrischen Daten. Expertinnen und Experten haben hier jedoch massive datenschutzrechtliche Bedenken, insbesondere dann, wenn große Tech-Konzerne Zugriff auf Fingerabdrücke oder individuelle Gesichtsmerkmale ihrer Nutzerinnen und Nutzer bekämen.
Im Rahmen der Debatte um das Gesetz wandten sich 140 Vertreter aus Technologie und Kindeswohl rund um die Organisation Australian Child Rights Taskforce in einem offenen Brief an die Regierung von Premierminister Anthony Albanese (Labour Party). Neben Datenschutzbedenken äußerten sie Zweifel daran, dass man Kinder und Jugendliche wirklich von sozialen Netzwerken fernhalten könne. Infolge des Gesetzes könnten diese online in andere, noch unreguliertere Räume ausweichen, so die Verfasser. Demnach sei ein Verbot eine zu stumpfe Waffe, um den Risiken sozialer Netzwerke wirksam zu begegnen. Vielmehr müsse es darum gehen, die Plattformbetreiber zu allumfassenden Regulierungs-, Datenschutz- und Sicherheitsstandards zu verpflichten.
Tiefgreifende Fragen danach, was der Staat darf
Die Debatte rund um ein Verbot von sozialen Medien für Kinder und Jugendliche tangiert unser Verständnis davon, inwieweit der Staat in Erziehungsfragen eingreifen darf. Einerseits würden Kinder dadurch vor den unbestreitbar realen Risiken sozialer Medien geschützt, andererseits bedeutet ein Verbot auch einen Ausschluss von gesellschaftlich relevanten Räumen, so viele Kritiker des Gesetzes. Soziale Netzwerke seien für junge Menschen nicht nur ein einfaches Kommunikationsmittel, sondern ein Ort, der es ihnen ermögliche, sich ein Selbstbild aufzubauen, ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln und ihre Interessen zu entfalten. In diesem Sinne kann auch der Artikel 17 der UN-Kinderrechtskonvention ausgelegt werden, der Kindern ein Recht auf Teilhabe an Medien vorsieht. So heißt es darin: „Die Vertragsstaaten erkennen die wichtige Rolle der Massenmedien an und stellen sicher, dass das Kind Zugang hat zu Informationen und Material aus einer Vielfalt nationaler und internationaler Quellen, insbesondere derjenigen, welche die Förderung seines sozialen, seelischen und sittlichen Wohlergehens sowie seiner körperlichen und geistigen Gesundheit zum Ziel haben.“