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ProDie Kindheit schützen

Von Elisa Kautzky / 30. April 2025
picture alliance / ROBIN UTRECHT | Robin Utrecht

Kinder und Jugendliche verbringen viele Stunden am Tag auf Social Media. Doch das ist schlecht für ihre Entwicklung und die Gesellschaft. Wie bei Alkohol und Zigaretten, braucht es dafür ein Mindestalter.

Als ich Teenager war, spielte Social Media kaum eine Rolle. Facebook – 2004 von Mark Zuckerberg gegründet, um Menschen miteinander zu verbinden – nutzte ich ab und zu, um meinen Schwarm “anzustupsen” oder mit Freunden zu chatten, die weiter weg wohnten.

WhatsApp löste langsam die SMS ab und nur wenige in meiner Klasse waren überhaupt auf Instagram. Die App kam damals noch ganz ohne Werbung, Reels oder Storys aus. Stattdessen sah fast jeder Feed gleich aus: Sonnenuntergänge, hübsch angerichtetes Essen, Urlaubsbilder im Polaroid-Stil.

Daran erinnert heute noch das Logo. Urlaubsfotos und Essen gibt’s immer noch – aber eben auch Fake News, sexistische und rassistische Inhalte, je nach Algorithmus. Und jede Menge Influencer:innen, die Produkte verkaufen.

Dabei ist es schwierig genug, Teenager zu sein. Der Körper verändert sich und Hormone stellen die Gefühlswelt auf den Kopf. Dazu kommt der Druck von Schule, Eltern und Freundeskreis. Man will dazugehören, aber auch man selbst sein.

Social Media bringt diesen Druck auf ein neues Level. Alles wird bewertet: das Outfit, das Make-up, das Frühstück, die Beziehung. Wer mithalten will, muss sich inszenieren. Und heute vergleicht man sich nicht nur mit den Mitschüler:innen, sondern mit der ganzen Welt. Mobbing? Das geht jetzt anonym und rund um die Uhr, ohne dem anderen je ins Gesicht sehen zu müssen.

Die Folgen aber sind real: Schlafprobleme, Konzentrationsstörungen, Angst, Depression, geringes Selbstwertgefühl. Im schlimmsten Fall: Suizidgedanken. Studien zeigen: Immer mehr Jugendliche fühlen sich einsam, obwohl sie ständig „connected“ sind.

Klar, auch in Zeiten vor Instagram & Co. gab es Mobbing und fragwürdige Schönheitsideale: Nacktbilder von Mitschülerinnen wurden per Bluetooth verschickt und bei Germany’s Next Topmodel wurden Models abgewiesen, weil sie “zu dick” seien. Trotzdem frage ich mich: Wie viel schlimmer wäre es, wenn ich heute Teenager wäre?

In Australien warnt die Kommunikationsministerin Michelle Rowland (Labour Party) vor den verstörenden Inhalten auf Social Media: Gewalt, Selbstverletzung, Suizid, Drogen. Die Verantwortung sieht sie bei den Plattformen – nicht bei Eltern oder Jugendlichen.

Für Australien beginnt der Jugendschutz online

Weshalb das Land im November 2024 ein Gesetz verabschiedet hat, dass Kinder und Jugendliche unter 16 keine sozialen Netzwerke mehr nutzen dürfen. Davon ausgeschlossen sind Messengerdienste wie WhatsApp, Online-Gaming-Plattformen und Videoplattformen wie YouTube. Die Betreiber haben ein Jahr Zeit, um Alterskontrollen umzusetzen – danach drohen hohe Strafen. Wie genau das umgesetzt werden soll, lässt das Gesetz offen. Denkbar ist eine Alterskontrolle anhand biometrischer Daten wie einer Gesichtserkennung. Laut Premierminister Anthony Albanese (Labour Party) gehe es darum, “Kindern eine Kindheit zu ermöglichen.“ Wäre so ein Gesetz auch für Deutschland sinnvoll?

Dass die Plattformen junge Menschen zu wenig schützen, zeigt die JIM-Studie, die im jährlichen Turnus den Medienumgang der Zwölf- bis 19-Jährigen durchführt. 2023 haben 23 Prozent der Jugendlichen hierzulande unfreiwillig Pornos gesehen. Ein Drittel wurde bereits sexuell belästigt – besonders Mädchen, meist auf Instagram, TikTok oder Snapchat. Gerade in der Pubertät, wenn Unsicherheit und Scham dominieren, fällt es schwer, sich dann jemandem anzuvertrauen.

Eltern finden sich in der Online-Welt der Kinder oft nicht zurecht

Eltern wissen oft nicht, was ihre Kinder online erleben – darum geht es auch in der viel diskutierten Netflix-Serie Adolescence: Ein 13-Jähriger wird des Mordes an einer Mitschülerin verdächtigt. Er wurde gemobbt, isolierte sich im Netz und rutschte in die sogenannte Incel-Szene ab, die Männern wie ihm einreden, sie seien von Natur aus ungeliebt. Seine Eltern sind schockiert – sie hatten keinen Zugang zur digitalen Welt ihres Sohnes, die längst ihre eigene Sprache spricht: Emojis, Trends, Codes.

Social Media verändert nicht nur das Selbstbild, sondern auch das politische Denken. Jugendliche von heute sind die Wähler:innen von morgen. Doch Fake News verbreiten sich rasant, Algorithmen verstärken Extreme. Das zeigte auch die letzte Bundestagswahl: Viele junge Menschen wählten überdurchschnittlich oft Parteien am linken oder rechten Rand. Ein Drittel informiert sich über YouTube, TikTok oder Instagram – meist ohne journalistische Einordnung.

In Australien wissen viele Jugendliche vermutlich erst mal nicht, wie sie jetzt auf dem Laufenden bleiben sollen, sowohl politisch als auch privat. Eine Zeitung lesen? Ein Anruf? Unvorstellbar. Dabei hat ihnen ihre Regierung ein Geschenk gemacht: Mehr Zeit. Laut der JIM-Studie verbringen junge Deutsche im Schnitt über drei Stunden täglich am Handy. Was man in der Zeit alles machen könnte? Lesen. Klavierspielen. Yoga. Freunde treffen.

Das Offline-Sein auch mal aushalten

Und wie soll man lernen, allein zu sein oder etwas nur für sich zu tun, wenn jede Sekunde online geteilt werden muss? Ich kenne das Gefühl: Ein hübscher Chai Latte – zack, ein Foto. Heute gestalten manche Cafés ihr Angebot gezielt so, dass es sich gut auf Instagram posten lässt. Aber: Müssen wir wirklich alles “teilen”? Was bleibt dann noch privat? In manchen Ländern kämpfen Menschen für Privatsphäre – und wir filmen freiwillig jeden Schritt. Und: Das Internet vergisst nicht.

Social Media wirkt wie eine Droge. Likes setzen Dopamin frei und Gamification sorgt dafür, dass wir nicht mit dem Scrollen aufhören können. Genau wie bei Alkohol oder Zigaretten braucht es deshalb klare Regeln – und ein Mindestalter.



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