ContraVerbieten ist der falsche Weg
Social Media für Kinder und Jugendliche zu verbieten, ist schwer möglich und nicht zielführend. Stattdessen sollten Regeln für einen gesunden Konsum der Inhalte aufgestellt werden, die für alle gelten. Denn Social Media ist mittlerweile Teil der öffentlichen Infrastruktur.
Social Media machen abhängig, vermitteln ungesunde Körperbilder, radikalisieren die Jugend. Es gibt viele Gründe, um Plattformen wie TikTok, Instagram und Co. kritisch zu sehen. Der Wunsch, Kinder und Jugendliche vor diesen schädlichen Auswirkungen zu schützen, ist mehr als nachvollziehbar. Trotzdem: Ein Social-Media-Verbot ist der falsche Weg.
Ein erster Bericht aus Australien, wo seit diesem Jahr die Nutzung von Social Media für Jugendliche unter 16 Jahren verboten ist, zeigt, dass Jugendliche das Verbot sehr leicht umgehen können. Das ist auch keine Überraschung: Um als unter-16-Jährige:r einen Social Media-Account zu erstellen, braucht es nur einen uralten Trick: Lügen. Es ist ganz einfach, ein falsches Geburtsdatum anzugeben.
Befürworter:innen eines Verbots könnten hier entgegnen, dass dann einfach strengere Kontrollen nötig seien. Aber auch solche lassen sich leicht umgehen. Zum Beispiel mit einem VPN-Service. Mit diesem wird einer Website suggeriert, der Nutzer befände sich in einem anderen Land mit anderen Gesetzen. Über 60 Prozent der Deutschen kennen solche Services bereits, etwa 20 Prozent nutzen sie – Tendenz steigend.
Kontrolle ist unmöglich
Selbst mit schärferen Alterskontrollen wäre das Problem noch nicht gelöst: Es wird immer Plattformen geben, die sich diesen Kontrollen entziehen.
Ein Beispiel: In den USA wurde die Videoplattform TikTok zwischenzeitlich gänzlich gesperrt. Unter anderem aus Sorge, dass TikTok die Daten seiner Nutzer:innen an die chinesische Regierung weitergeben könnte. Mit der Folge, dass Jugendliche aus Trotz einfach auf die Plattform RedNote ausgewichen sind. Eine Plattform, die ihre Daten wie auch TikTok auf Servern in China speichert. Nur mit weniger Verschlüsselung und noch weniger Datenschutz. Ein Eigentor für Verbotsbefürworter:innen.
Die Debatte erinnert an die Diskussionen um Altersgrenzen bei Porno-Plattformen. Auch hier wurden aus verständlichen Gründen schärfere Kontrollen gefordert. Doch diese waren in der Praxis kaum umsetzbar, ineffektiv oder datenschutzrechtlich problematisch.
In einigen US-Bundesstaaten müssen Bürger:innen auf den einschlägigen Plattformen jetzt ihr Alter per Pass verifizieren. Seitdem gibt es deutlich mehr Websites, die seriöse Plattformen nachahmen, um Identitätsdiebstahl zu betreiben – und Jugendliche haben immer noch Zugang. Schließlich lassen sich auch digitale Passkontrollen austricksen. Wir sollten aus diesen Versuchen lernen und Social Media nicht verbieten.
Marginalisierte Gruppen werden sichtbar auf Social Media
Social Media sind zu wichtigen Nachrichten- und Kommunikationsplattformen für junge Menschen geworden. Politik, Kunst, Jugendkultur – das alles findet derzeit auf TikTok und Instagram statt.
Für marginalisierte Gruppen sind Online-Spaces ein wichtiger Vernetzungsort. Autist:innen oder queere Jugendliche zum Beispiel können im Internet die Unterstützung finden, die ihnen in ihrem direkten Umfeld möglicherweise fehlt. Kinder mit Migrationshintergrund haben die Möglichkeit, über Alltagsrassismus zu sprechen, Frauen über Sexismus und Menschen mit Behinderungen über zu wenig Barrierefreiheit – und das in viel größerem Umfang, als dies in traditionellen Medien möglich war.
Auch Erwachsene hassen und hetzen
Allerdings fördern die Plattformen auch Hass und Hetze. Schließlich freut sich der Algorithmus besonders, wenn “kontrovers” und emotional diskutiert wird – ein Problem, das nicht nur Jugendliche betrifft. Rechtsradikale Akteur:innen nutzen die Plattformen immer effektiver, um Menschen aller Altersgruppen zu radikalisieren. Wie viele Morddrohungen werden mit Klarnamen von 50-Jährigen auf Facebook gepostet? Wie viele 30-Jährige nennen sich auf TikTok “stolze Deutsche”, während im Hintergrund KI-generierte Songs Ausländer deportieren wollen?
Ein Verbot für unter 16-Jährige löst keines dieser Probleme. Das heißt aber nicht, dass wir nichts unternehmen sollten, um Kinder und Jugendliche vor den Schattenseiten von Social Media zu schützen. Nötig sind Regeln, die uns alle betreffen. Das geht nur mit Transparenz. Wie genau die Algorithmen der Plattformen arbeiten, ist für die Nutzer:innen und die Öffentlichkeit ein Rätsel. Forscher:innen müssen Zugriff erhalten, um in der Lage zu sein, Vorschläge zu machen, wie Algorithmen angepasst werden sollten. Plattformen müssen mehr in die Pflicht genommen werden, schädliche Inhalte zu entfernen und zugleich keine legitimen Inhalte zu zensieren.
Das Suchtpotenzial ließe sich begrenzen, indem die “endless scrolling” Funktion verboten wird. Dadurch, dass eine Website kein Ende mehr hat, sondern unendlich lange weiter gewischt werden kann, steigt die Bildschirmzeit nachweislich stark an.
Social Media als Teil der Infrastruktur verstehen
Das alles sind Vorschläge, die an den Stellschrauben drehen, um das Problem zu verkleinern. Das Grundproblem, dass einige wenige Personen globale Plattformen kontrollieren, die unseren Drang miteinander zu kommunizieren, für ihren Profit ausnutzen, ist damit noch nicht gelöst. Wir sollten Social Media-Plattformen als öffentliche Infrastruktur verstehen, die uns allen gehören sollte – wie Straßen, Strom- oder Wasserversorgung. Wir sollten darüber nachdenken, wie wir mehr demokratische Kontrolle über Social Media gewinnen können statt zu Verboten zu greifen.