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ProDie Wirtschaft muss sich der Gesellschaft anpassen

Von Tom Abendroth / 31. Januar 2025
picture alliance / CHROMORANGE | Christian Ohde

Die Vier-Tage-Woche ist mehr als nur ein Arbeitszeitmodell – sie kann als Schlüssel zu einer gerechteren Verteilung von Wohlstand und Ressourcen in Deutschland beitragen

Vom Acht-Stunden-Tag über den Mindestlohn bis hin zu Arbeitsschutzgesetzen: Fortschritte in der Arbeitswelt haben Arbeitgeber nie freiwillig gewährt, sondern mussten stets erkämpft werden. Aktuell zeigt sich erneut, wie stark wirtschaftliche und politische Eliten versuchen, mehr Arbeit und Verzicht von den Beschäftigten zu verlangen, während Vermögen und Gewinne ungleich verteilt bleiben, wie eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt: Die obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher besitzen über 40 Prozent des Gesamtvermögens, während die unteren 50 Prozent zusammen kaum zwei Prozent halten.

Die Debatte um andere Arbeitsmodelle ist letztlich auch ein Klassenkampf, den die Elite für sich gewinnen will. Dabei liegt das Problem nicht in einem Mangel an Ressourcen: Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft weltweit und hat mit rund 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einen der niedrigsten Schuldenstände in der EU. Wenn ein so starkes Land keine Modernisierung der Arbeitswelt umsetzen kann, wer dann? Stattdessen wird immer wieder behauptet, wir müssten mehr arbeiten, um den Wohlstand zu sichern – obwohl Deutschland laut EU-Daten in sozialen Bereichen wie Renten, Bildung und Arbeitslosenhilfe nur im unteren Mittelfeld liegt. Dies zeigt, dass das Problem nicht an den verfügbaren Ressourcen liegt, sondern an einer unzureichenden Wohlstandsverteilung und dem Fehlen einer klugen Reform der Arbeitsstrukturen.

Die Vier-Tage-Woche ist familienfreundlich

Um eine Vier-Tage-Woche erfolgreich einzuführen, braucht es eine solide, moderne institutionelle Infrastruktur. Das bedeutet vor allem Investitionen in Bildung, flexible Betreuungsangebote und Weiterbildungsprogramme. Aktuell haben viele Familien Mühe, Beruf und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen. Besonders Frauen werden durch fehlende Kinderbetreuungsplätze oder starre Arbeitsmodelle in Teilzeit gedrängt – eine Benachteiligung, die nicht nur ihren individuellen Lebensstandard verschlechtert, sondern auch langfristig zu geringeren Sozialversicherungsbeiträgen führt und damit die Gefahr niedriger Renten erhöht.

Eine gerechtere Steuerpolitik könnte hier ansetzen. Das Ehegattensplitting, das konservative Rollenbilder begünstigt, sollte abgeschafft und durch ein Modell ersetzt werden, das gleichberechtigte Erwerbstätigkeit fördert. Auch der Gender-Pay-Gap von immer noch 19 Prozent, so das Statistische Bundesamt 2024, gehört konsequent reduziert. Außerdem muss die Zuwanderungspolitik innovativer werden: Bürokratische Verfahren beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz schrecken gut ausgebildete Migrantinnen und Migranten eher ab anstatt sie schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren und damit den durch die Vier-Tage-Woche entstehenden Arbeitszeitbedarf auszugleichen.

Positive Erfahrungen aus Großbritannien

Dass die Vier-Tage-Woche kein reines Wunschdenken ist, zeigt eine Studie des Autonomy Institute: Zwischen Juni und Dezember 2022 probierten 60 Unternehmen mit zusammen 2.900 Beschäftigten aus unterschiedlichen Branchen wie z.B. Marketing, Finanzen, digitale Fertigung und Lebensmittelhandel die verkürzte Arbeitswoche aus. Die Löhne blieben gleich, während Meetings verkürzt, Prozesse automatisiert und Aufgaben effizienter verteilt wurden. Ergebnis: 92 Prozent der Firmen hielten am Vier-Tage-Modell fest.

Auch die Wirtschaftlichkeit spricht für kürzere Arbeitszeiten: Der Umsatz der teilnehmenden Betriebe stieg im Durchschnitt um 1,4 Prozent, während die Kündigungsquote um 57 Prozent sank und Fehltage um 65 Prozent zurückgingen. Gleichzeitig gaben 39 Prozent der Beschäftigten an, sich weniger gestresst zu fühlen, und 71 Prozent berichteten von geringeren Burnout-Symptomen. Mehr als die Hälfte konnte mehr Zeit in Familie und Beziehungen investieren.

Diese Ergebnisse widerlegen die Annahme, kürzere Arbeitszeiten würden automatisch zu Produktivitätsverlusten führen. Vielmehr deuten sie darauf hin, dass eine gute Work-Life-Balance sowohl Mitarbeiterzufriedenheit als auch unternehmerischen Erfolg fördert.

Investitionen in eine nachhaltige Zukunft

Deutschland verfügt über ausreichend finanzielle Mittel, um notwendige Investitionen in die Modernisierung der Arbeitswelt und soziale Infrastruktur zu tätigen. Ein Schuldenstand von etwa 60 Prozent des BIP ist im internationalen Vergleich moderat. Große Wirtschaftsmächte wie die USA zeigen, wie Infrastrukturpakete in Milliardenhöhe aufgesetzt werden können, während China massiv in Technologien und Bildung investiert, um wirtschaftliche Stärke langfristig zu erhalten.

Wer dagegen glaubt, Wohlstand wachse nur durch noch mehr Wochenstunden, übersieht die menschlichen und gesellschaftlichen Kosten. Überlastung und Burnout gehören für viele zum Alltag, was letztlich weder Unternehmen noch Beschäftigten nützt. Stattdessen wäre es sinnvoll, eine systematische Modernisierung der Wirtschaft anzustoßen. Das bedeutet: Investitionen in Bildung, soziale Infrastruktur und Modelle wie die Vier-Tage-Woche, die sich bereits in der Praxis bewährt haben.

Gelingen diese Reformen, schaffen wir die Grundlage für eine gerechtere Arbeitswelt mit weniger Stress, höherer Zufriedenheit und einer soliden Fachkräftebasis. Es geht also nicht nur um kürzere Arbeitstage, sondern um die Zukunft unserer Gesellschaft: Wollen wir überwiegend für die Arbeitgeber:innen arbeiten und damit einen immer größeren Teil des Wohlstands an der Spitze konzentrieren oder in eine inklusive, innovative und sozial ausgewogene Arbeitswelt investieren?

(Text: Tom Abendroth)



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