ProAn der Realität vorbei
Traumjob, Sinn, Balance – am besten alles auf einmal. Die neue Generation hat hohe Ansprüche und scheitert oft an der Wirklichkeit.
Junge Menschen stellen heute (neue) Forderungen an Arbeitgeber:innen. Flexibilität und ein gutes Miteinander sind für viele genauso wichtig wie Einkommen und Sicherheit. Das unterscheidet sie oft deutlich von älteren Generationen und damit auch von vielen Führungskräften. Dass es deutliche Generationenunterschiede in der Arbeitswelt gibt, ist nachvollziehbar und auch junge Menschen sind sich dessen bewusst.
Die junge Generation tritt mit dem Selbstverständnis auf, dass sich die Arbeit ihrem Leben anzupassen habe – nicht umgekehrt. Das führt zu Wünschen wie Homeoffice und gleichzeitig gutem Zusammenhalt im Unternehmen. Auch lehnen die Berufsanfänger:innen häufig Hierarchien ab, haben aber zugleich hohe Erwartungen an ihre Führungskräfte. Dass dies schwer vereinbar ist, wird früher oder später auch jedem klar. Wer schon während des Studiums Praxiserfahrung sammelt und im Bewerbungsgespräch nicht nur nach den Urlaubstagen fragt, sondern Interesse an einer langfristigen Zusammenarbeit bekundet, hat bessere Chancen auf ein stabiles Arbeitsverhältnis. Doch das passiert heute eher selten. Stattdessen werden noch vor dem ersten Arbeitstag Anforderungen an Arbeitszeit und -ort gestellt; Leistung und unternehmerische Loyalität spielen eine eher geringe Rolle, aber eine Festanstellung mit ordentlichem Gehalt sollte der Job in jedem Fall sein.
Während die „Boomergeneration“ als Nachkriegskinder bei der Berufswahl nur wenig Freiheiten hatte, führen der demografische Wandel und der Fachkräftemangel in vielen Branchen zwangsläufig dazu, dass die jungen Menschen sich ihren Arbeitsplatz aussuchen können. Unternehmen müssen sich in einigen Branchen sogar bei Bewerber:innen bewerben. Und da spielen flexible Arbeitszeiten, Remote-Optionen oder sogar die 4-Tage-Woche mittlerweile eine große Rolle. Benefits wie Obstkörbe oder Kickertische reichen oft nicht mehr aus.
Zwischen Loyalität und Jobwechsel
Loyalität gegenüber einem Unternehmen ist jungen Menschen fremd. Die Generation Z wechselt häufig den Arbeitsplatz und ist ständig auf Portalen wie Stepstone oder LinkedIn auf der Suche nach Stellenangeboten mit besseren Konditionen. Für ältere Mitarbeitende, die teils Jahrzehnte im selben Unternehmen geblieben sind, ist das oft schwer nachvollziehbar: Warum genügt ein sicherer Job mit gutem Gehalt nicht mehr? Muss es wirklich immer noch mehr sein?
Was früher für viele zu den ersten Arbeitsjahren dazugehörte – Überstunden, Einspringen am Feiertag oder als „Neuling“ auch mal morgens Kaffee kochen – nehmen viele junge Menschen als toxisch war. Hier prallen zwei Welten aufeinander: Die eine hat gelernt, dass „Lehrjahre keine Herrenjahre“ sind, die andere fordert von Anfang an Work-Life-Balance. Statt gegenseitiger Vorwürfe sollten an dieser Stelle die jungen Menschen auf ihre älteren Kolleg:innen oder ihre:n Arbeitgeber:in zugehen und sich über Wünsche und Bedenken austauschen.
Denn die Realität ist: Nicht jedes Unternehmen kann komplett remote arbeiten, nicht jeder Job macht immer Spaß und eher selten werden aus jeder Führungskraft Freund:innen. Wer als Berufsanfänger:in auf perfekte Bedingungen wartet, wird vor allem eines: enttäuscht. Stattdessen gilt es, gemeinsam Lösungen zu finden, mit Höhen und Tiefen, Missverständnissen und Konflikten umzugehen – und Feedback nicht als persönlichen Angriff zu verstehen.
Arbeitgeber:innen der älteren Generation können durch ihre Arbeitserfahrung ganz anders auf die Arbeitswelt blicken. Deshalb sind ihre Ratschläge häufig auch nicht per se schlecht oder „outdated“, sondern oft auch ganz nützlich. Daran, dass der Wandel in der Arbeitskultur, den sich viele junge Menschen wünschen, Zeit braucht, daran können sich auch die heutigen Führungskräfte noch aus der Zeit ihres Berufseinstiegs erinnern.
Mehr Dialog, weniger Vorurteile
Ihr Blick auf die Arbeit ist heute nicht so romantisch wie jener der jungen Generation, sondern auf Basis eigener Erfahrungen: realistisch. Denn wer die Arbeitswelt gerade erst betritt, bringt viele Ideen mit, aber eben auch wenig Kontext. So ist es leicht, von Selbstverwirklichung und weniger Hierarchie zu sprechen, wenn man bisher kaum erlebt hat, was es heißt, Verantwortung für Projekte, Teams oder Budgets zu tragen. An dieser Stelle wird auch wieder die Bedeutung der häufig langjährigen Verbundenheit der Kolleg:innen zu ihren Arbeitgeber:innen deutlich. Ihre Werte haben das Unternehmen über viele Jahre zusammengehalten und weiterentwickelt; da ist es nachvollziehbar, dass sie diese Werte auch an die künftigen Generationen weitergeben möchten.
Selten war eine Generation so gut ausgebildet, so vernetzt, so informiert – und gleichzeitig so unzufrieden mit der Arbeitswelt. Die unrealistische Anspruchshaltung einiger junger Arbeitnehmer:innen stellt Unternehmen vor noch mehr Herausforderungen, als es sie mit Fachkräftemangel und Digitalisierung sowieso schon gibt. Dabei bleibt trotz aller Veränderungen und Konflikte eines gleich: Gute Zusammenarbeit setzt gegenseitigen Respekt voraus, ob bei der Gehaltsverhandlung oder in der Kaffeepause.