Zeit, dass sich was dreht
Früher war ein Begriff wie Wandel mit dem Streben nach etwas Neuem und Besseren besetzt. Heute macht sich stattdessen vor allem Zynismus und Pessimismus breit. Doch dazu gibt es eigentlich keinen Grund.
Noch vor 35 Jahren war das Thema “Wandel” in Deutschland positiv besetzt. Als ein Zusammenstreben zweier Landeshälften, die zusammengehörten. „Wende“ nannte man das damals.
Seitdem ist vieles schiefgelaufen. Weder die von Helmut Kohl versprochenen “blühenden Landschaften” kamen direkt nach der Wiedervereinigung im Osten an, noch entwickelte sich ein echtes Einheitsgefühl und gegenseitiges Verständnis, das beide Landesteile eint. Ganz im Gegenteil: Viele der wechselseitigen Vorbehalte – darunter die Vorstellung, dass Ostdeutsche ängstlich und misstrauisch seien und Westdeutsche alles besser wüssten und Geld über alles stellen – haben sich nur noch verstetigt und teilweise sogar eine Eigendynamik entwickelt.
Emblematisch dafür stehen die jüngsten Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, in denen die AfD jeweils über 30 Prozent einfuhr und in Erfurt sogar als stärkste Fraktion ins Parlament einziehen wird. Das ist fast ein Drittel aller Stimmen für eine dort vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Partei. Vielfach ist von einer Zäsur die Rede. Dass sich nun endlich etwas ändern muss, darin sind sich wohl wirklich alle einig – sowohl die AfD-Wähler als auch die Leute, die die AfD bekämpfen wollen. Bloß die Marschrichtung und die Vorzeichen dieses Wandels bleiben bislang völlig offen.
Die einen wollen vorwärts, die anderen rückwärts
Die großen Wahlsieger standen mit AfD und BSW schnell fest. Erfolg haben die beiden Parteien unter anderem deswegen, weil sie mit bundespolitischen Themen lokal Stimmung machen. Allen voran die Migrations- und Flüchtlingspolitik, der Krieg in der Ukraine und die Debatte um das Bürgergeld. Dass diese Angelegenheiten auf der Landesebene gar nicht geklärt werden können, ist dabei zunächst einmal Nebensache.
Für komplexe Themen sind den Wählern dieser Parteien geradlinig vereinfachte Lösungen wichtiger. Man will: stark begrenzte Einwanderung, auch von ausländischen Fachkräften, eine schnelle Aussöhnung um jeden Preis mit Russland und Bürgergeld nur noch für Deutsche. Auch diese Maßnahmen wären natürlich ein großer Kurswechsel, nur dass diesem neben Halbwahrheiten vor allem Angst und nicht Hoffnung zugrunde liegen würde.
Dass sich unbeirrt dessen vielerorts im Osten derzeit aber schon einiges in die richtige Richtung bewegt, geht im Zuge der dramatischen Dynamiken in den Köpfen der Menschen gerne unter. Auch in den Medien muss man gezielt nach Berichten und Beiträgen über erfolgreiche Entwicklungen in Ostdeutschland suchen – viele zuschauerstarke Talkshows setzen vor allem auf Empörung.
Ein Positivbeispiel ist die Stadt Hoyerswerda. Im Zuge des geplanten Ausstiegs aus der Braunkohle und dem damit einhergehenden milliardenschweren Strukturwandel-Hilfsfonds aus EU-Mitteln und Steuergeldern, werden in der Oberlausitzer Gemeinde zahlreiche Projekte finanziert, um die Region zukunftsfest zu machen. Dazu zählen einerseits die Erweiterung des örtlichen Wasserwerks, die Elektrifizierung des ÖPNV und die Modernisierung des Krankenhauses samt OP-Roboter. Darüber hinaus siedelt sich derzeit das Deutsche Zentrum für Astrophysik im Umland an und die TU Dresden forscht innerstädtisch zum autonomen Fahren. Kurzum: Es tut sich tatsächlich etwas in der Gegend! Augenscheinlich nehmen die meisten Menschen die Entwicklung aber nicht positiv wahr: Die Verbesserungen im Gesundheitsbereich und der Ausbau der Infrastruktur bewirken zumindest nicht, dass die Zustimmungswerte zur AfD sinken.
Der Strukturwandel als Chance
Im Gegenteil: Die AfD-Kandidatin in Hoyerswerda fuhr bei den vergangenen Landtagswahlen mehr als 38 Prozent der Direktstimmen ein und verteidigte damit ihr Mandat.
Dieses Wahlergebnis macht Torsten Ruban-Zeh ratlos. Vor vier Jahren wurde er zum Oberbürgermeister der Stadt gewählt – und setzte sich dabei in der Stichwahl unter anderem gegen einen Kontrahenten der AfD durch. Als Sozialdemokrat inmitten einer erstarkenden Rechten ist er damit allein auf weiter Flur. Ruban-Zeh empfindet Unverständnis gegenüber dem Erfolg einer Kandidatin, die nichts aufweisen könne, das sie für die Region oder die Stadt getan hätte, wie er sagt.
So bleibt dem 61-jährigen Dresdner, der bereits im Jahr 2000 nach Hoyerswerda kam, nichts anderes übrig, als sich mit den politischen Gegebenheiten vor Ort zu arrangieren und in die angestoßenen Prozesse zu vertrauen. “Die Wirkung des Strukturwandels wird sich erst mit den ersten Firmenausgründungen entfalten”, so Ruban-Zeh.
Schon heute geht es ihm zufolge allerdings um eine andere Thematik: die Gewinnung von Menschen für die Region. “In unserem direkten Umfeld benötigen wir in den kommenden fünf Jahren fast 7.000 neue Arbeitskräfte”, fasst er die Lage zusammen.
Ruban-Zehs Schilderungen machen eines deutlich: Der Wandel kommt so oder so – noch lässt er sich positiv mitgestalten. Doch dafür braucht es auch einen entsprechende Veränderung in den Köpfen derer, die auf rechte Parolen setzen. Laut einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim haben Regionen, in denen Rechtspopulisten große Erfolge erzielen, größere Probleme bei der Anwerbung von Fachkräften.
Das leuchtet ein. Denn wer will schon in eine Region ziehen, in der man als “Fremder” womöglich weniger wertgeschätzt oder gar bedroht wird?! Doch ohne Fachkräfte – kein attraktiver Wirtschaftsstandort. Die Devise ist dementsprechend simpel: Lieber gemeinsam etwas schaffen als sich selbst abschaffen!