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Am Rand der Verzweiflung

Von Christa Roth / 12. Januar 2016
Privat

Winter in Berlin. Zwei Flüchtlingshelfer sind von ihrem Einsatz auf dem Balkan zurückgekehrt. Mehrere Wochen lang haben sie gekocht, getröstet – und gekämpft. Für bessere Zustände in den Auffanglagern und gegen eine Bürokratie, die dem Leid Hunderttausender scheinbar mit Gleichgültigkeit begegnet.

Es ist Anfang Oktober, als Martin und Caro entscheiden, auf den Balkan, „zu den Flüchtlingen“ zu fahren. „Wir haben durch die Medien mitbekommen, dass viele Menschen nichts zu essen haben, draußen schlafen müssen, misshandelt werden“, erklärt Martin seine Motivation. Ein paar Tage später sind sie bereits unterwegs. Doch so spontan die Aktion auch anmutet, die beiden Studenten haben einen Plan: In ihrem Gepäck befinden sich Töpfe, Teller, Besteck, Gasbrenner – Utensilien für eine Suppenküche, die es erlaubt, für mehrere hundert Leute zu kochen.

Zusammen mit anderen – sie bezeichnen sich als Flüchtlingsaktivisten – fahren Caro und Martin in einem geliehenen Kleinbus die sogenannte Balkanroute ab. Sie halten im kroatischen Tovarnik, in Opatovac, im ungarischen Zakany und in Hegyeshalom, einer kleinen Gemeinde an der Grenze zu Österreich. Es sind Orte, die Flüchtlinge auf dem Weg nach Westeuropa passieren.

Neun Frauen und Männer im Alter von 20 bis Mitte 30 umfasst die Gruppe. „Teilweise kannten wir uns kaum“, erzählt Caro. Selbst Martin hat die Berlinerin vor der Aktion nur ein paar Mal getroffen. Zu ihnen, den Deutschen, stoßen vor Ort bald auch Norweger und Schweizer. Sie kaufen Lebensmittel ein. „So hatten wir immer etwas zu kochen“, sagt Caro. Was wann wo gebraucht wird, koordiniert ein Online-Dokument, die „Refugee Volunteer Map“. Jeder, der sich direkt oder mit Spenden einbringen will, kann das dort notieren.

Die Richtung stimmt

„Neben unserem gab es noch viele andere Konvois aus freiwilligen Helfern und von zivilgesellschaftlichen Organisationen“, sagt Martin. Was die Helfer am Rand Europas sehen, ist große Hoffnung, aber auch große Verzweiflung. Etliche Geflüchtete sind über hunderte Kilometer nur zu Fuß gelaufen. „Wo sie sich befanden, wussten viele gar nicht, sie wussten nur, dass die Richtung stimmt“, erinnert sich Martin. „Einige dachten sogar, sie seien nicht mehr weit weg von Deutschland.“

Martin und Caro arbeiten in 24-Stunden-Schichten. Dazwischen schlafen sie acht, manchmal auch nur zwei Stunden. Caro sagt: „Man hatte ständig das Gefühl, man müsse etwas tun.“ Bis zu fünf Züge transportieren die Flüchtlinge pro Tag weiter gen Westen. Caro und Martin kochen täglich zwischen 500 und 600 Portionen Essen – das reicht nur für die Hälfte der Flüchtlinge. Reis und Gemüse, Nudeln mit Tomatensauce, Linsensuppe. Wann das Essen verteilt werden darf, entscheidet die Polizei oder das Militär.

Die meisten Flüchtlinge sind deutlich unterversorgt, haben Hunger und Durst. „Aber das schien die Verantwortlichen dort nicht unbedingt zu stören.“ Caros Empörung über die Zustände in den Auffanglagern hört man noch Wochen nach ihrem Einsatz. Auch Martin gerät in Rage, während er erzählt. „Im Gedränge war eine Frau zusammen mit ihren fünf Kindern in einen anderen Waggon als ihr Mann gekommen – mit lauter fremden Männern. Deshalb bat sie, zu ihrem Mann gebracht zu werden. Aber sobald eine Zugtür ohne Erlaubnis aufgemacht wurde, kamen sofort Polizisten mit Schlagstöcken daher.“

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Auch die letzten Habseligkeiten mussten viele Flüchtling auf ihrer Reise zurücklassen. (Foto: Privat)

Wenig Hilfe durch Behörden

Auf die örtlichen Behörden sind beide schlecht zu sprechen. Sie wollen darüber berichten, was sie beobachtet haben – ohne selbst Teil der Geschichte zu sein. Ihre Identität soll keine Rolle spielen. „Es geht einfach nicht um uns“, sagt Martin. „Man weiß nie, in welchen Zusammenhang man gebracht wird“, erklärt Caro ihr Unbehagen. Dass sie durch die Anonymisierung weniger glaubwürdig wirken könnten, nehmen beide in Kauf. Gleichzeitig bestehen sie darauf, die Wahrheit zu sagen und diese mit Fotos zu dokumentieren.

„Vor Ort waren zwar Journalisten, aber denen ging es in erster Linie um die Story, nicht um die Geflüchteten“, kritisiert Martin. Das erinnert an den berühmten „Anybody been raped and speak English?“-Ansatz: So geht zumindest die zynische Geschichte über einen Reporter, der nach einem Überfall auf eine Stadt durch die Straßen eilt und in erster Linie aus Eigennutz nach Opfern sucht. „Menschen werden dargestellt, Kleinigkeiten hervorgehoben, die das Gesamtbild verzerren“, ergänzt Caro.

Auch ihre Bilanz über die Helfer der Rotkreuz-Bewegung fällt negativ aus. Die Helfer hätten nicht genug getan und Hilfsmittel zurückgehalten, sagen Caro und Martin.

Dass wohl nur ein begrenztes Budget zur Verfügung stand und der Flüchtlingsansturm alle bisherigen Dimensionen gesprengt hat, lassen Martin und Caro nicht gelten. „Gerade das Rote Kreuz kann im Fall einer Katastrophe ohne große Probleme mehrere hunderttausend Leute versorgen“, vermutet Martin. Auf dem Balkan seien viele Flüchtlinge jedoch ohne Hilfe geblieben. „Statt einer warmen Mahlzeit“, erinnert sich Caro, „gab man den Leuten Bananen und Kekse“.

Das offizielle Statement der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung (IFRC) zu den geäußerten Vorwürfen beschränkt sich auf das Auflisten von Aufgabenbereichen, die das IFRC abdeckt: Die Flüchtlinge mit Essen, Wasser und Hygieneprodukten ausstatten, die medizinische Versorgung gewährleisten. „In Kroatien haben wir mit 300 Mitarbeitern alleine seit Sommer bis Mitte November 409 Tonnen Essen, über 50.000 Hygienebeutel, 154.000 Decken und 37.800 Mäntel verteilt“, heißt es. Hinzu kämen 61.000 psychologisch Betreute. Aber eben auch: „Wir alleine können den vielfältigen Bedürfnissen nicht nachkommen.“

Eine Frage der Gewöhnung?

Von seinem Misstrauen abkommen, das gelingt Martin nicht. „Ich habe vielfach von der offiziellen Stellen schlicht keinen Willen gesehen, den Leuten zu helfen. Eher machten sie den Eindruck, als langweile sie ihr Job.“ Hilfe durch andere sei oft unerwünscht gewesen. „Aus medizinischen Gründen sei es nicht gut, für die Geflüchteten Essen zuzubereiten, sagten sie uns“, erzählt er. „Stattdessen wurde uns vorgeschlagen, für die Polizei oder die Soldaten vor Ort zu kochen.“

Obwohl sie in den Flüchtlingslagern selbst nicht kochen durften, wissen sie um die Zustände in ihnen. „Wir haben geholfen, Müll wegzuräumen, deshalb durften wir uns am Anfang alles anschauen“, sagt Caro.

Auch die Situation der Flüchtlinge in Deutschland schockiert die beiden Flüchtlingshelfer. „Es wird immer schlimmer, weil es kälter wird und weil die Leute in Lagern in Brandenburg unter rechtsextremen Bewohnern eingepfercht sind. Es gibt dauernd Brandanschläge“, sagt Caro. „Die Lage hier ist irgendwie extrem, aber man scheint sich daran gewöhnt zu haben“, sagt Martin.

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