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Ehrenamt? Ehrensache!

Von Daniel Lehmann / 19. Januar 2016
picture alliance / ZB | Patrick Pleul

Der selbstlose Einsatz für die Gesellschaft hat in Deutschland und Europa Tradition. Heutzutage ist das Engagement größer als jemals zuvor.

Die Ausübung eines Ehrenamts ist seit der Antike in unterschiedlichem Maße Teil der Kultur und des gemeinschaftlichen Lebens in Europa. Im Römischen Reich und dem damaligen Griechenland war sie noch den männlichen Bürgern vorenthalten, denn Frauen und Sklaven waren vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Die Männer berieten sich vor allem in Debatten über das weitere Vorgehen. Im Preußen des 19. Jahrhunderts leisteten in erster Linie bürgerliche Frauen die Arbeit für das Gemeinwohl. Da sie keinem ordentlichen Beruf nachgehen durften, nahmen sie auf diese Weise gesellschaftlichen Einfluss.

Aus dieser Zeit stammt auch die ursprüngliche Bedeutung der ehrenamtlichen Arbeit. In der preußischen Städteordnung galt, dass jeder Bürger einem öffentlichen Amt zugeteilt werden konnte, ohne dessen Einsatz bezahlen zu müssen. Die eigentliche sozial-karitative Leistung erbrachten bis 1900 aber kirchliche Einrichtungen und Verbände. Insbesondere die Industrialisierung zog einen deutlichen Zuwachs an bedürftigen Arbeiter- und Bauernfamilien nach sich, woraufhin die Kirchen ihre Bemühungen in der Armenfürsorge intensivierten.

Ehrenämter schaffen Lebensqualität

Bürgerliche Wohlfahrtsinitiativen entwickelten sich vermehrt in der Weimarer Republik und schlossen sich in größeren Verbänden zusammen, wie beispielsweise im noch heute tätigen Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband. Im Nationalsozialismus wurden jedoch sämtliche freien Organisationen verboten. In der DDR war ein gemeinschaftliches Engagement offiziell nur in Organisationen der SED möglich.

Heute setzen sich Frauen und Männer gleichermaßen für die Gesellschaft ein. Sie sind wichtige Säulen für ein stabiles sozialstaatliches Konstrukt, das von öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäusern und den verschiedenen Sozialleistungen allein nicht zu tragen wäre.

Anlässlich eines Empfangs engagierter Bürgerinnen und Bürger drückte Bundespräsident Joachim Gauck deshalb im vergangenen Jahr seine Wertschätzung für Ehrenämter aus:

„Ich sehe in Ihrer Arbeit nicht nur das schmückende Beiwerk unserer Demokratie. Sie leisten weit mehr. Sie schaffen und erhalten viele Arten von Lebensqualität. Ohne Engagement wie Ihres wäre Deutschland ärmer. Es wäre nicht das, was es ist – eine Gesellschaft, die Pluralismus und Freiheit schätzt und sich zugleich als Gesellschaft des Miteinanders und Füreinanders begreift.“

Wenige Helfer in Kultur und Politik

Sozialwissenschaftler beobachten in Deutschland seit einigen Jahren eine „Blüte des Ehrenamts“. Allerdings existieren verschiedene Erhebungen, wie viele Deutsche wirklich in Vereinen und Initiativen aktiv sind. Eine Befragung des Versicherungskonzerns Arag hat für 2015 mehr als 13 Millionen ehrenamtlich arbeitende Personen über 14 Jahren ermittelt. Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend arbeiten hingegen „über 23 Millionen Bürgerinnen und Bürger auf vielfältige Art“ ehrenamtlich. Die meisten ehrenamtlich Tätigen setzen sich wöchentlich fünf Stunden für ihre freiwillige Arbeit ein – und leisten damit einen Gegenwert von 30 bis 40 Milliarden Euro. Dabei tut das jeder vierte Deutsche neben seinem normalen Job.

Einer weiteren Arag-Umfrage zufolge ist jeder Vierte im Bereich Kinder und Jugendliche tätig – mit Abstand die größte Gruppe unter den Ehrenämtern. Auf den nachfolgenden Plätzen landeten die Kategorien Lokales, Kirche und Freizeit. Allein die Evangelische Kirche zählt mehr als eine Million ehrenamtliche Helfer. Weniger häufig sind Ehrenämter in den Bereichen Senioren, Umwelt und Tierschutz, Kultur und Politik zu finden. Angesichts der demografischen Entwicklung gehe man aber von einem deutlichen Schub bei der Betreuung älterer Menschen aus.

FSJ und BFD statt Zivildienst

Eine gesetzliche Definition für den Begriff Ehrenamt gibt es nicht. Allgemein versteht man darunter jede Form des freiwilligen und unentgeltlichen bürgerlichen Engagements für die Gesellschaft. Deshalb gibt es für gewöhnlich auch keine festgelegten Qualifikationen, die für die Ausübung eines Ehrenamts vorgesehen sind. Das erklärt unter anderem den hohen Anteil ehrenamtlicher Trainer im Breitensport, die mitunter ohne größere Vorkenntnisse Jugendmannschaften betreuen.

Ehrenamtliche Tätigkeiten, die teilweise den Charakter einer Ausbildung haben, stellen die Freiwilligendienste dar. Sowohl das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) als auch das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) bieten Menschen, die das 27. Lebensjahr noch nicht überschritten haben, die Chance, einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten und gleichzeitig eine berufliche Orientierung vorzunehmen. 2011 wurde der Bundesfreiwilligendienst (BFD) eingeführt, der allen Altersgruppen offensteht und in gewisser Weise den im selben Jahr abgeschafften Wehr- beziehungsweise Zivildienst ersetzt.

Das Statistische Bundesamt hat ermittelt, dass der durchschnittliche ehrenamtlich Tätige eher wohlhabend und gebildet ist. In sozialen Bereichen überwiegen junge Frauen mit akademischen Hintergrund. Mit entgegenkommenden Gesetzen wie dem Berliner Jugendhilfe-Ausführungsgesetz und dem Ehrenamtsstärkungsgesetz, die die Anrechnung der Aufwandsentschädigungen auf Sozialleistungen attraktiver gestalten, sollen auch andere Bevölkerungsgruppen für ein Ehrenamt gewonnen werden. Angesichts der anhaltenden Flüchtlingsproblematik nicht die schlechteste Idee.

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