ContraErdenrettung statt Weltraumeroberung
Viele Forscher zieht es in die Weiten des Weltalls. Doch statt die Wüsten des Mars zu kultivieren, sollten wir lieber lernen, die Erde zu erhalten. Für die Menschheit kann es keinen Planeten B geben.
700 Jahre in der Zukunft: Umweltverschmutzung, Vermüllung und Massenkonsum haben die Erde zerstört. Die Menschen haben die mittlerweile unbewohnbare Erde verlassen und leben auf einem Raumschiff; Automatisierung, mediale Dauerberieselung und geringe Gravitation haben sie zu fettleibigen, degenerierten Lebewesen gemacht. Dies ist nicht die Handlung eines Science-Fiction-Romans, sondern von „WALL-E“, einem der wohl düstersten und zugleich zynischsten Disney-Animationsfilme, der ein keineswegs auszuschließendes Zukunftsszenario thematisiert.
Stephen Hawking machte kürzlich Schlagzeilen mit der apokalyptischen Warnung, die Menschheit müsse die Erde binnen 100 Jahren verlassen, um sich vor Pandemien, Klimawandel und dem rasanten Bevölkerungswachstum zu retten. Der renommierte Astrophysiker schlägt sogar einen konkreten Zeitplan für die Besiedlung fremder Himmelskörper vor: Bis 2025 sollen Menschen zum Mars geschickt werden und erste Kolonien aufbauen.
Ist es Zufall, dass Hawking, der zu den genialsten Köpfen unserer Zeit zählt, sich gerade jetzt zur Notwendigkeit der Weltallerforschung äußerte – oder vielmehr ein Appell, die träumerische Begeisterung für die Raumfahrt der 1960er Jahre neu aufleben zu lassen? Immerhinstehen nicht erst seit dem Columbia-Unglück 2003, bei dem die gesamte Besatzung starb, Kosten und Nutzen der bemannten Raumfahrt in der Kritik.
Dass uns Weltraumforschung weiterbringt, ist unumstritten. Doch heutzutage reizt das Wettstreben im All die Nationen nicht mehr wie noch zu Zeiten des Kalten Kriegs. Heute lässt sich der Wissensdurst auch mit Hilfe von Maschinen stillen. Doch nur neue Technologien versprechen, dass künftig Marssonden den Rückweg zur Erde antreten können, wodurch die Ansprüche an bemannte Expeditionen nahezu erfüllt wären.
Robotern fehle die menschliche Entscheidungsfähigkeit, Eigenständigkeit und die Emotionen, um nach der Rückkehr von ihren Eindrücken zu berichten, so kritische Stimmen. Es sei nun mal ein „uralter Menschheitstraum“, die Erde von oben zu sehen. Der Mensch strebe nach Größerem, er wolle höhere Ziele erreichen und die Neugier nach dem Unbekannten und Ungewissen befriedigen.
Mars statt Mount Everest
Tatsächlich sollen schon die alten Griechen und Römer voll Ehrfurcht und magischer Anziehungskraft zu den strahlenden Himmelskörpern emporgeblickt und ihre Bewegungen beobachtet haben. Ob auch sie deswegen den großen Traum hatten, Steinproben zu sammeln, bleibt jedoch fraglich.
Befürworter der bemannten Mars-Missionen müssten die ambitionierten Ziele einiger privater Raumfahrtunternehmen somit begrüßen – und auch Hawking dürfte die Einhaltung seines angesetzten Zeitplans freuen. Das US-Unternehmen SpaceX will in acht Jahren die ersten Menschen zum roten Nachbarplaneten schicken. Für das kommende Jahr hat Gründer Elon Musk eine Mondumrundung mit zwei Weltraumtouristen angekündigt. Die Mission biete Menschen die Gelegenheit, „schneller und weiter in das Sonnensystem zu reisen als jemals zuvor“, sagte Musk, dessen selbsterklärtes Ziel es ist, den Menschen zu einer multiplanetaren Spezies zu machen. Jedoch nicht, um diese vor dem Aussterben zu retten, sondern um den Reichsten der Reichen, denen Mount Everest und Malediven nicht mehr exklusiv genug sind, den größtmöglichen Kick zu verschaffen. Die Kosten für die Mondreise sollen sich Schätzungen zufolge auf bis zu 100 Millionen US-Dollar belaufen.
Die Frage, in welche zukunftsträchtigen Projekte sich dieses Geld sinnvoller investieren ließe, mag man kaum zu stellen. Und anstatt sich darüber zu empören, dass sich einige Superreiche über jegliche (Schall-)Grenzen hinwegkaufen können, ist das öffentliche Bild geprägt von einer fast schon bewundernden Ehrfurcht vor Erfindergeist und Überlegenheit der menschlichen Gattung.
Es gibt keinen Planet B
Sollte Hawking mit seinen dystopischen Ankündigungen recht behalten und die Menschheit müsste sich in absehbarer Zeit umsiedeln, um ihren Fortbestand zu sichern, würde sich auch die Frage stellen, wer sich den transplanetaren Umzug leisten könnte – und was mit denen passiert, die es nicht können. Ganz zu schweigen davon, wie viele Jahrtausende die Terraformung des Mars in eine zweite Erde dauern würde – und wie lange diese der menschlichen Zerstörungskraft standhalten würde.
Die massiven Risiken, die Hawking aufzeigt, sind nicht von der Hand zu weisen: Globale Erderwärmung, neue Pandemien und ungebremstes Bevölkerungswachstum lassen zweifelsohne Raum für apokalyptische Zukunftsszenarien. Doch kann dies nicht als Rechtfertigung dienen, mit der Erde schon jetzt so umzugehen, als hätten wir noch eine weitere in der Hinterhand.
Anstatt wie manche Privatakteure Milliarden in die bemannte Erforschung unseres Sonnensystems zu stecken, sollten sich Staaten lieber auf die irdischen Probleme konzentrieren: Klimaabkommen einhalten, auf erneuerbare Ressourcen setzen und in die Bekämpfung von Armut und Hunger investieren; damit wir die Erde nicht wie in „WALL-E“ als unbewohnbares Schlachtfeld hinterlassen.
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Leider gibt es für Europa keine entsprechende Rechnung, aber Neil deGrasse Tyson rechnet jedes Jahr neu aus, welcher Prozentsatz an Steuergeldern in die Raumprogramme fließen; das sind im Durchschnitt 0,5 %. Von jeden Steuerdollar der USA fließt also ein halber Penny in Weltraumforschung (die nur so nebenbei auch einen Großteil der Klimaforschung auf der Erde abdeckt und unser Wissen über den Klimawandel erheblich erweitert hat). Kann ein Verzicht auf diese Investition die Welt retten?