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Von der Sekte zur Freikirche

Von Pauline Reinhardt / 23. November 2022
picture alliance / Westend61 | Josep Rovirosa

Im Herbst verkündete die Neuapostolische Kirche, dass Frauen ab 2023 das Recht haben, sämtliche Ämter zu übernehmen. Die weltweiten Reaktionen darauf verdeutlichen jedoch, dass hier nicht mit einer Stimme gesprochen wird.

Klimakonferenz, Fußballweltmeisterschaft, Russlands Krieg gegen die Ukraine. Fast wäre die Nachricht untergegangen: In der Neuapostolischen Kirche dürfen Frauen ab dem nächsten Jahr als Entscheidungsträgerinnen auf allen Ebenen offiziell Verantwortung übernehmen. Oder können, um im Wortlaut zu bleiben, wie ihre Brüder „ins geistliche Amt ordiniert werden“.

Neuapostolische Kirche? „Man kennt sie, aber man kennt sie auch nicht“, sagt der Historiker und Soziologe Dr. Christian Ruch. Die weltweit vertretene Neuapostolische Kirche (NAK) ist mit rund 311.000 Mitgliedern die viertgrößte christliche Konfession Deutschlands. Ihren Sitz hat sie in der Schweiz. Weltweit zählen sich neun Millionen Menschen zu ihr. Die unauffälligen Gebäude mit charakteristischem Emblem – ein über Wellen schwebendes Kreuz, im Hintergrund ein Sonnenaufgang – begegnen einem auch in vielen kleinen Orten.

Trotzdem erzeugen sie weniger Aufmerksamkeit als die Königsreichsäle der Zeugen Jehovas, von denen es hierzulande nur gut halb so viele gibt. Dabei hat die NAK einen problematischen Weg hinter sich – und vor sich.

Sekte oder Freikirche?

Gegründet vor 160 Jahren, lässt sich die deutsche Geschichte der Neuapostolischen Kirche im 20. Jahrhundert in Kurzform so fassen: Anbiedernde Position in Nationalsozialismus und DDR, starke Selbstisolierung in den 1960er und ’70er Jahren.

Christian Ruch beschäftigt sich mit ihr seit Anfang der 2000er Jahre. Damals wurde er als Soziologe in die Arbeitsgruppe Neue religiöse Bewegungen der Schweizer Bischofskonferenz berufen. Heute sagt er: „Die Neuapostolische Kirche ist keine Sekte mehr, sondern eine Freikirche.“ Denn Sekten spalteten sich ab, Freikirchen suchten hingegen den Dialog, wie die NAK als Gastmitglied in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland. Was sowohl Sekten als auch Freikirchen von den evangelischen und römisch-katholischen Volkskirchen unterscheidet, ist die fehlende Kirchensteuer.

Ruch präsentiert eine Checkliste: Woran erkennt man eine Sekte oder sektenartig organisierte Gruppen? Punkt 15: „Es ist schwer allein zu sein, jemand aus der Gruppe ist immer dabei.“ Punkt 17: „Die Gruppe verlangt strikte Befolgung ihrer Regeln und Disziplin als einzigen Weg zur Rettung.“ Vieles deckt sich mit Berichten über die NAK vor über fünfzig Jahren, als es beispielsweise unangekündigte Besuche zuhause bei Gemeindemitgliedern gab. Kleidung, Verhalten, Karriere standen unter Kontrolle der autoritären Führung. Die Rolle der Frau: Gehilfin des Mannes, Mutter, Hausfrau. Die 68er-Bewegung ging nicht etwa an der religiösen Bewegung vorbei. Man isolierte sich bewusst von ihr.

Damit soll es nun vorbei sein. „Die Aussteiger haben der Neuapostolischen Kirche richtig Ärger gemacht ─ in einem Ausmaß, das sie nicht mehr ignorieren konnte“, erzählt Ruch. Seien es Bücher, wie „Gottes verlorene Kinder. Ein Ex-Priester der Neuapostolischen Kirche klagt an“ von Siegfried Dannwolf oder Internetforen, von denen viele heute nicht mehr aktiv sind, wie QUO-VADIS-NAK.

Gemischte Reaktionen auf Frauenordination

Quo vadis – Wohin gehst du? Die NAK beschreite einen Weg der „Entsektisierung“ anstatt der üblicheren „Versektisierung“, analysiert Ruch. Ökumenische Zusammenarbeit, Arbeitsgruppen zur Aufarbeitung der NS- und DDR-Geschichte. Nun kommt ab 2023 also die Frauenordination.

Die Reaktionen darauf sind gemischt, wie die Neuapostolische Kirche Westdeutschland in einer Pressemitteilung mit Blick auf interne Strukturen anschaulich berichtet: „‘Ich finde das gut‘, sagt auch ein Priester im Ruhestand und ergänzt mit nachdenklichem Blick auf den vorderen Bereich des Kirchenschiffs: ‚Aber eine Frau hinter dem Altar kann ich mir gerade nicht vorstellen.‘ ‚Wir sind halt anders geprägt‘, ergänzt er entschuldigend.“

Die feministische Initiative Juni heute sieht darin die Früchte ihrer Arbeit für mehr Gleichberechtigung. „Unser Ziel und ernsthaftes Anliegen ist die gleichberechtigte Behandlung aller Mitglieder in der Neuapostolischen Kirche, unabhängig von ihrem Geschlecht“, heißt es da aus München.

Neuapostolische Kirche international (NAKI)

Die Neuapostolische Kirche ist nicht nur in Europa vertreten. Der Großteil der NAKI-Mitglieder lebt in Afrika, allein in der Demokratischen Republik Kongo und in Sambia sind es jeweils mehr als eine Million – hohe Zahlen, die durch Mission entstanden sind.

In Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, haben Gemeindemitglieder gegen die geplante Frauenordination demonstriert. Warum es dort zu Ausschreitungen kam, ist nicht bekannt. Im Glaubensforum24 werden Fotos und Videos geteilt, die wütende Männer und brennende Reifen vor dem Verwaltungszentrum der Kirche Kongo-West zeigen. Aussteiger*innen und Mitglieder diskutieren online rege über die Proteste.

„Es ist unübersehbar, dass die NAKI ein globales Kompatibilitätsproblem hat“, schreibt jemand unter dem Accountnamen denkenistwichtig.

Loreley 61, eine Aussteigerin: „Ich erinnere mich noch daran, wie uns in den 80er Jahren immer von den neuap. Geschwistern aus Afrika vorgeschwärmt wurde. Sie wären wahre Glaubenshelden, ständen im absoluten Glaubensgehorsam… usw. Daran sollten wir uns in Europa mal ein Beispiel nehmen. Und nun sehe ich solche Bilder, solch ein Aufruhr und frage mich, ob man uns da mal wieder veräppelt hat?“

Entscheidung mit unklarem Ausgang

Viele Religionen erkennen Frauenrechte nicht an. Insbesondere kleine Gemeinschaften schotten sich von gesellschaftlichem Wandel ab. Das macht die Entscheidung der Neuapostolischen Kirche so besonders und überraschend. Doch noch ist unklar, wozu die geplante Frauenordination führen wird.

Ruch hält trotz der Vorfälle in Kinshasa Abspaltungen für unwahrscheinlich – allein weil die dortigen Gemeinden von den westlichen Geldgeber*innen abhängig sind. Er vermutet, dass Frauen in solch konservativen Gemeinden trotzdem keine Führungspositionen erlangen werden. Eine Verpflichtung oder gar Frauenquote gibt es schließlich nicht. Möglich wäre auch, dass sich die Gemeindemitglieder, Geschwister genannt, von der Neuapostolischen Kirche abwenden und einer anderen Freikirche anschließen. Oder einer Sekte?

5 Antworten auf „Von der Sekte zur Freikirche“

  1. Von God am 15. Februar 2023

    Sekte ?? Das ganze Urchristentum war eine Sekte ! Sie wurden gnadenlos verfolgt und ihre Führer gesteinigt, ausgepeitscht, ins Gefängnis gesteckt und ermordet ! Siehe Paulus !
    Die NAK war früher ähnlich aber nie gleich ! Nun haben sie das Apostelamt verraten, sind korrupte vollgefressene Kirchenbonzen geworden die auf Kosten der Schafe leben wie die anderen korrupten Großkirchen !
    Angriff auf die sog. Exklusivität = das von Gott geschaffene biblische Apostelamt, was kein Mensch automatisch hat !
    Die Theologen haben nichts ! Sie sind von Gott längst verworfen wie die Schriftgelehrten und Pharisäer der Bibel !
    Sie haben alles nur aus dem Verstand ! Von Gott haben sie nichts kapiert, den kennen sie genauso wenig wie den Teufel denn beide bedingen sich gegenseitig !
    Nur darin besteht die Religion ! Viele Moslem haben davon mehr Ahnung als die platten toten Kirchenchristen !
    Im Urchristentum gab es keine Freikirche ! Auch keine Kirche ! Nicht mal echte Gemeinden sondern nur Versammlungen die alle verfolgt wurden !
    Und der Teufel hat alle Führer töten lassen !
    Dann erst kam die korrupte RKK mit einem Bischof von Rom = Papst !
    Dann kam Luther und hat den ganzen Dreck aufgedeckt !
    Dann kamen um 1800 Weissagungen weltweit >> Apostelamt !
    Es ist aber nie vollständig entstanden !
    Und jetzt haben sie es weggeworfen ! Wegen Angriffen der anderen Theologen die nichts taugen !
    Kein Studierter ist mehr wert als die alte Oma die Gott kennt !
    Dieser Artikel ist ein typisches Beispiel des verdorbenen Westchristentums !
    Die gar keine Christen mehr sind !
    Nur was herumglauben und plappern hat mit Gott und Christentum nichts zu tun !
    Oder ändert sich der Mensch dadurch der aus dem Paradies geworfen wurde und sich hat verführen lassen ??
    Und die ganze Welt zerstört, voller Hass und Neid ist und seinen Nächsten tötet und kaputt macht !

    1. Von Sagwas-Redaktion am 15. Februar 2023

      „Kein Studierter ist mehr wert als die alte Oma die Gott kennt !“ Da sind wir einer Meinung. Der Wert eines Menschen sollte nicht von seiner Bildung abhängen.
      „Dieser Artikel ist ein typisches Beispiel des verdorbenen Westchristentums !“ Das ist eine schwer nachvollziehbare These. Doch damit lässt sich leben. Meinungsfreiheit zu schützen heißt, auch unliebsame Positionen auszuhalten. Nicht alles muss ausdiskutiert werden. Aber: Ihr Kommentar braucht keine weitere Ausführung, er kann für sich stehen. Im Gegensatz zu Verlinkungen zu fragwürdigen Inhalten anderer. Darum haben wir ihren Hinweis gelöscht und behalten uns das bei weiteren Aktionen ebenfalls vor.

  2. Von Rolf am 19. April 2023

    Ich empfehle allen, die sich mit der Neuapostolischen Kirche beschäftigen, das 2023 erschienene Buch:

    „Macht und Freiheit – Erfahrungen und Interpretationen eines Ex-Priesters der Neuapostolischen Kirche“ Autor: Markus Lechner

    Der Autor beschäftigt sich, begleitend von eigenen Erfahrungsberichten, vor allem mit den Machtstrukturen „hinter den Kulissen“ und ihren Folgen. Die Kirche hat er anscheinend noch nicht aufgegeben, jedenfalls schreibt er von Lösungen.

  3. Von Fritz H. am 30. Mai 2023

    „ Dieser Artikel ist ein typisches Beispiel des verdorbenen Westchristentums“. Interessante These. Man sollte mal die Verfasserin dazu befragen, wie sie selbst ihre Position verortet. Ich bin mir sicher, die Antwort wird „God“ erstaunen.

  4. Von Uwe am 4. Juni 2023

    Keine Sekte,keine Kirche bringt uns ans Ziel,das Evangelium ist in einem Satz zusammengefasst.
    Jesus starb für mich und für einen jeden anderen Menschen,nimm’s dann haschs,Er bringt uns hindurch und öffnet uns die Augen,auch ich war 24 Jahre ein Anhänger dieser Sekte

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