Verdrossene Jugend?
Wir sind verdrossen! Wir alle, aber ganz besonders die Jugend. Und das nun schon seit Jahrzehnten. So zumindest belegen es unzählige Untersuchungen. Seit das Wort Politikverdrossenheit Ende der 1980er Jahre zum ersten Mal in einer Debatte auftauchte, werden wir regelmäßig befragt wie wir es mit der Politik halten. Die Ergebnisse sind seit Jahren nicht berauschend. […]
Wir sind verdrossen! Wir alle, aber ganz besonders die Jugend. Und das nun schon seit Jahrzehnten. So zumindest belegen es unzählige Untersuchungen.
Seit das Wort Politikverdrossenheit Ende der 1980er Jahre zum ersten Mal in einer Debatte auftauchte, werden wir regelmäßig befragt wie wir es mit der Politik halten. Die Ergebnisse sind seit Jahren nicht berauschend. Besonders bei Jugendlichen sinkt das Interesse an Politik kontinuierlich. Waren die Youngster der 1970er und 80er Jahre noch zu über 50 Prozent an Politik interessiert, so ist es heute nur jeder Vierte. Die neue Shell-Studie von 2010 hält fest: Bei den 12- bis 14-Jährigen ist das Interesse von mageren 11 Prozent in 2002 auf mittlerweile 21 Prozent gestiegen. Bei den 15- bis 17- Jährigen sind es heute immerhin 33 Prozent. Und auch die 18- bis 25-Jährigen, die sich ja aktiv und passiv an Politik beteiligen könnten, erreichen die 50 Prozent Marke nicht.
Die Gründe, die Jugendliche für ihr Desinteresse angeben, sind seit Jahren dieselben: Die Politiker tun nicht genug, um die Jugend für Politik zu begeistern. Sie fühlen sich nicht ernst genommen und dürfen nicht mitgestalten.
Genau hier setzt Katja Mast mit ihrem Projekt „Junger Rat für Mast“ an. Die SPD-Bundestagsabgeordnete bringt die Politik in Schulen ihres Wahlkreises Pforzheim und Enzkreis hinein. Mast diskutiert mit Schülern jeden Bildungshintergrunds und macht die Jugendlichen zu ihren Beratern. Das funktioniert – die Resonanzen sind positiv: Die Schüler fühlen sich ernst genommen und vertrauen darauf, dass die Politikerin ihre Ideen einfließen lässt in die politische Arbeit. Ein gutes Mittel gegen Verdrossenheit also.
Katja Mast aber fragt sich: Muss das immer so rum laufen? Müssen immer Politiker den ersten Schritt machen? Und wenn sie das nicht machen, dann wird Politik einfach ausgeblendet? Ginge es nicht auch anders herum? Warum interessieren Jugendliche sich nicht von sich aus für Politik? Und warum gehen sie nicht von selber auf Politiker zu? Nicht mutig genug dafür? Oder ist Politik einfach zu unsexy?
Was sagt ihr dazu?
F A Z I T der Debatte (redaktionell)
Zunächst freuen wir uns als Sagwas-Redaktion sehr darüber, dass hier ein Dialog zwischen einem MdB und unseren Usern entstanden ist. Schließlich ist das die erste Debatte dieser Art auf sagwas.net. Vielen Dank nochmal an Katja Mast und an die User!
Insgesamt zeigt sich in den Userbeiträgen, dass die Skepsis gegenüber dem Engagement von Politikern wie Katja Mast ausgeprägt ist. Aus Sicht unserer Nutzer scheint das bloße Symbolpolitik zu sein. Die Frage Masts, warum die Jugend nicht öfter auf die Politik zugehen würde, stieß auf Kritik. So reibt sich User „Karl.Klammer“ heftig an Masts Äußerung und spricht von einem verdrehten Selbtverständnis der eigenen Rolle: „Möglicherweise wäre es hilfreich gewesen, mal vorher darüber nachzudenken, wer hier für wen einen Dienst erbringen muss.“
„Claus K.“ bringt den möglichen Aspekt ins Spiel, dass sich die Jugend nicht unbedingt der Politik selbst, sondern vielmehr den Politikern gegenüber verschließe. Und „Henryks Bruder“ lobt das jugendpolitische Engagement von Katja Mast, stellt zugleich aber die Frage, wer denn aus ihren Fraktionsreihen ähnlichen Projekten nachgehe. Schließlich sei es doch viel effektiver, die Kollegen von einem ähnlichen Einsatz zu überzeugen, statt die Jugend zum Handeln aufzuforden.
Katja Mast geht auf einige der aufgeworfenen Fragen detailliert ein. Welche ihrer Kollegen was für ähnliche Aktionen bringen, ist in unserer Kommentarspalte rechts oben zu lesen – sehr aufschlussreich!
Sie versucht, dem Vorurteil, dass es sich Politiker mit solchen Vorwürfen genüber der Jugend sehr einfach machen würden, zu begegnen, indem sie sagt, Politik würde vor allem auch von Politikern gemacht. Von daher lasse es sich nicht vermeiden, dass auch die Jugend selbst einen Schritt in Richtung etablierte Politik gehen muss. Als Einzelperson könne man nicht alle erreichen und in sämtliche Kreise vordringen.
Das Thema, wer wem mit welchem Engagement zu begegnen hat – ob der Bürger dem Politiker oder andersherum, bleibt umstritten. Wir werden es sicherlich noch weitere Male aufgreifen.
Ich finde Katja Masts These ganz schön irritierend und mutig. Warum soll ich auf Menschen zugehen, von denen ich denke, dass sie eh nicht mehr viel gestalten können. Der Krisen-Marathon in Sachen Wirtschaft und Finanzen bringt das doch vorzüglich auf den Punkt. Darüber hinaus fällt es einem doch zunehmend schwer, sich einer Berufsgruppe anzuvertrauen, die sich selbst am nächsten zu sein scheint. Ich sage nur Pofalla vs. Bosbach.
Es gibt auch andere Möglichkeiten, politisch aktiv zu sein – jenseits der Parteien. Da fühle ich mich besser aufgehoben. Auf mich ist noch kein Politiker zugekommen.
Was ist eigentlich unter Politik zu verstehen? Widmet sich „die Jugend“ der Politik oder den Politikern nicht?
Ersteres wäre schlimm. Letzteres nachvollziehbar. Das einzige, was man vielleicht der Jugend vorwerfen könnte: Warum gehen nicht mehr von ihnen in die Parteien hinein und werden selbst zu Politikern – ganz nach ihren Ansprüchen und Wertvorstellungen. Tja, die Antwort würde wohl nicht lange auf sich warten lassen: Es wäre eine Frage nach dem Parteien- und vor allem Politikersystem: Nicht Du änderst das System, sondern das System Dich ,zumindest dieses. Nachvollziehbar, oder?!
Typischer könnte es gar nicht sein. Da fragt eine völlig unbekannte Politikerin, die grade mal 40 ist, allen Ernstes: „(…) warum Ihr nicht auf uns zu geht?“ – Da wird mir schlecht, wirklich! Möglicherweise wäre es hilfreich gewesen, mal vorher darüber nachzudenken, wer hier für wen einen Dienst erbringen muss. Dieses völlig verdrehte Selbstverständnis der eigenen Rolle ist unerträglich, aber leider die Regel. Und wenn die Bediensteten sich nur noch im Nominalstil und Politiker-Neusprech ausdrücken, wundert sich auch noch unsere „freie“ Presse, warum die Jugend keinen Bock auf Politik hat.
Den Jungen Rat für Mast finde ich ja als Idee gut. Liebe Frau Mast, wieviele Ihrer Kollegen machen etwas Ähnliches? Bevor Sie die Jugend dazu aufrufen, sich auf die Politiker zuzubewegen, sollten Sie vielleicht Ihre Kollegen aus dem Plenarsaal ermuntern, weitere Junge Räte zu bilden. Im Bundestag gibt es ja die Große und die Kleine Anfrage. Ich will es mit einer Minianfrage versuchen: Wieviele ihrer Genossen aus der Fraktion machen ähnliche Jugendprojekte wie sie??? Danke für Ihre Antwort! Glück auf!
Lieber „Henryks Bruder“,
Sie glauben doch nicht etwa ernsthaft, dass ihnen die Dame darauf eine qualifizierte Antwort geben wird. Nicht mal deswegen, weil sie es nicht wollte, sondern schlichtweg nicht kann.
Lieber Karl Klammer,
was ist Dein Punkt? Ich versteh das nicht, da macht jemand ein Dialogangebot und Du reagierst mit Politikerschelte. Typisch?!
Hamed – schade dass noch kein Politiker auf Dich zugekommen ist. Ich mach das sehr aktiv, aber selbst in meinem Wahlkreis kann ich nicht alle Jugendlichen erreichen. Deshalb stelle ich ja die Frage, wieso Jugendliche nicht so oft auf mich/uns als Politiker zukommen. Wo engagierst Du Dich denn? Klar ist, jedes Engagement ist politisch – auf jeden Fall für mich.
Hallo Klaus K., die Frage nach Politik und Politiker ist gut gestellt. Aber Politik wird nunmal von Politikern mit gemacht. Deshalb bleibt für mich die Frage – Die Jugendlichen sind sehr an Politik interessiert, nehmen aber am Politikprozess in Parteien und auf offenen Plattformen wenig Einfluss auf etablierte Politik. Wieso? Ich bin gespannt auf die Antwort. LG Katja Mast
Lieber Hendryk Bruder, ja wer macht mit: Frank-Walter Steinmeier mit dem „Jungen Rat für Frank“, weitere Kollegen sind Kerstin Tack, Barbara Hendricks, Siegmund Ehrmann, Lothar Binding, Stefan Schwarzte und Sven Schulz. Nicht alle von der SPD, aber doch schon einige. Hinzu kommt, dass viele Abgeordnete Schulen besuchen, wenn sie angefragt werden. Ich bin viel mit dem Jungen Rat unterwegs und stelle immer wieder mit Erstauen fest – dass das nicht bekannt ist. Deshalb ja auch meine Frage. Ich bin der festen Überzeugung – nur durch Begegnung und Dialog verändert sich Politik. LG Katja Mast
Katja, ich engagiere mich sehr vielseitig. In meinem Stadtteil, in der Gewerkschaft und ich bin Mitglied einer Partei. Aber das ist doch alles gar nicht mein Punkt. Die Frage ist doch, in welcher Form, sprich vor allem WO, soll man auf Euch Politiker denn zugehen und tatsächlich auch das Glück haben, a) gehört zu werden und b) daraus auch ein Handeln Eurerseits abgeleitet zu wissen??? Es soll nicht alles plumpes Vorwerfen sein, aber selbt ich als Mitglied einer Partei werde zunehmend das Gefühl nicht los, dass die Politik in ihrer Sphäre macht, was sie will und ihre Macht sichert.
Vielen Dank für die Infos, Katja Mast!
Ich drücke Ihnen die Daumen und wünsche Ihnen, dass Sie nie so werden wie viele Ihrer Kollegen, die in ihrer Hauptstadt-/Regierungsviertelglocke unterwegs sind und nichts mehr von der (jungen) Basis wissen wollen oder können. Dreisterweise sind es gerade die, die dann am lautesten von der Politikverdrossenheit der Jugend sprechen.