Mit rechten Demonstranten streiten
Auf rechten Versammlungen wird der Ton rauer, konstruktiver Streit dagegen immer seltener möglich. Chemnitz war für mich als Reporter ein vorläufiger, negativer Höhepunkt.
Als ich im September des vergangenen Jahres als Reporter in Chemnitz über die Demonstration der „Bürgerbewegung Pro Chemnitz“ und den „Schweigemarsch“ von Pegida und verschiedenen AfD-Gruppierungen berichtete, fiel mir auf, dass einige meiner Kollegen mit Helmen ausgerüstet waren. Im Laufschritt zogen sie durch die Innenstadt, manche sogar mit Bodyguards – ganz so als würden wir aus Somalias Hauptstadt Mogadischu berichten und nicht aus einer deutschen Großstadt. Erst fand ich das recht albern, doch dann gingen die Veranstaltungen los. „Lügenpresse! Lügenpresse!“, skandierten zahlreiche Teilnehmer. Und so fing auch ich an, mich in meiner Rolle als Reporter unwohl zu fühlen – inmitten von Demonstranten, die einen wie mich zum Erzfeind erkoren hatten. Es waren leider auch nicht nur leere Worte, die die rechten Demonstranten grölten: Reporter von t-online, des MDR, der Zeit, von Stern-TV und des ARD-Magazins Monitor wurden in Chemnitz körperlich angegriffen, wie sich später herausstellte. Doch bereits im Vorfeld einer Demonstration wurde ich Zeuge, wie sich ein wütender Demonstrant mit knallrotem Gesicht über einen Reporter des ZDF lustig machte. Er fing sich gar nicht mehr ein und ließ sich jeden seiner flachen Witze vom hämischem Lachen seiner Mitdemonstranten quittieren. Es war zum Heulen!
Wann immer ich selbst mit den Teilnehmern in Kontakt treten wollte, wurde ich hauptsächlich in Streitgespräche verwickelt. Ob ich denn nicht nur wieder über ihren sächsischen Dialekt schreiben würde, fragte mich eine Frau herausfordernd. Ich würde doch eh nur schreiben, dass alle Demonstranten dumme Nazis seien, sagte mir ein Mann, der ohne ersichtlichen Grund recht verärgert schien. Ich gebe zu, es fiel mir schwer, mich mit diesen Menschen und ihren Positionen immer respektvoll auseinanderzusetzen. Rückblickend denke ich: Ein wenig hatten sie vielleicht recht mit ihrer Skepsis. Viele Reporter und viele der offen rechten Demonstranten leben in unterschiedlichen Welten. Nach den Ausschreitungen ist ein Großteil der Journalisten zurück nach Berlin, Hamburg oder Frankfurt gefahren, während die Demonstranten in Chemnitz blieben. Vielleicht sind wir einander daher fremder als wir zugeben. Aber muss das einen davon abhalten, eine gesunde Streitkultur anzustreben?
„Sind wir einander fremd geworden?“
Die Behauptung, alle Demonstranten seien blind vor Wut und zu keinem Austausch bereit, ist falsch. Man findet fast immer irgendeinen, der seine Ansichten teilen will. Meistens in dem Duktus: „Dir will ich mal die Chance geben, mich zu verstehen.“ Das finde ich fair und mir liegt viel daran, solche Gesprächspartner richtig darzustellen. Wenn sich diese Leute in einer für sie ungewohnten Situation gegenüber Pressevertretern wie mir unglücklich ausdrücken, will ich ihnen da später keinen Strick draus drehen. Aber mein Eindruck ist: Diskussionsfreudige Demonstranten, die sich Gehör verschaffen wollen und mir eine unvoreingenommene Berichterstattung zutrauen, werden weniger. Ist das unsere Schuld? Haben wir Reporter sie durch Fehlverhalten enttäuscht?
Eindeutige Antworten habe ich nicht, sondern nur eine vorläufige Gewissheit. Für mich persönlich war Chemnitz eine Zäsur: Hier habe ich mich nicht mehr als neutralen Pressevertreter wahrgenommen gefühlt, der Dinge einzuordnen versucht, sondern zum ersten Mal als parteiischen Akteur und mich körperlich durch die Demonstranten bedroht gefühlt. Viele sind mir gegenüber feindselig aufgetreten, sobald ich mich als Reporter zu erkennen gegeben habe. Doch ich hatte Glück, während einige Kollegen verletzt wurden. Verbal angegriffen zu werden: Das ist für mich nicht wirklich etwas Neues – das gehört gewissermaßen zu diesem Beruf dazu. Seit ich während meiner Studienzeit in Marburg für die Oberhessische Presse über das Marburger Studierendenparlament berichtet habe und mich ein Vertreter des rechtskonservativen Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) fragte, warum ich mich für die Presse „verhuren“ würde, bin ich mir meiner polarisierenden Wirkung bewusst. Doch Beleidigungen wie diese ignoriert man am besten, Diskussionen darüber führen meistens nirgendwohin, kosten nur Zeit und sind ziemlich frustrierend.
„Beleidigungen ignoriert man am besten“
Auch weil ich nicht auf Provokationen eingehe, bin ich vor Chemnitz noch nie in Situationen geraten, in denen ich körperlich attackiert wurde. 2018 in Sachsens drittgrößter Stadt dagegen habe ich meinen Rechner nur in der Nähe der Polizei rausgeholt, wo ich mich sicher fühlen konnte.
Nicht mehr losgelassen haben mich seitdem Überlegungen wie diese: Was ist passiert, dass rechte Demonstranten und Aktivisten gar nicht mehr mit uns reden wollen? Meiner Erfahrung nach arbeiten die meisten meiner Kollegen extrem gewissenhaft. Stellen wir diejenigen, die rechts von der gesellschaftlichen Mitte stehen, wirklich so flächendeckend verzerrt da? Oder haben sie selbst vielleicht ein zu vorgefertigtes Bild von „den“ Medien, das man gar nicht mehr beeinflussen kann?
Und: Wieso sind es gerade rechte Demonstranten, die so aggressiv auftreten? Wenn ich auf linke Demonstrationen gehe, dann stößt mir als Pressevertreter zwar auch manchmal Unverständnis entgegen. Aber in der Regel sind die Leute hier wesentlich ruhiger, gesprächiger und lassen sich mit Klarnamen zitieren. Dieser Diskrepanz angemessen zu begegnen, erfordert ein regelrechtes Verhandlungsgeschick und eine besondere Form der Stressresistenz.