Geschäftsmodell Knast
Staaten sparen Geld, indem sie den Betrieb von Justizvollzugsanstalten an Privatunternehmen auslagern. In England betrifft das 18 Prozent der JVAs. Aber auch in Deutschland werden einige Gefängnisse teilweise privat betrieben.
Am Anfang war die Justizvollzugsanstalt (JVA) Hünfeld in der gleichnamigen Stadt im Landkreis Fulda als Pilotprojekt gedacht. Seit der Eröffnung des Gefängnisses Ende 2005 werden circa 45 Prozent des Betriebs von einem privaten Dienstleister geleistet. Neben den 115 staatlichen Bediensteten arbeiten in Hünfeld 102 Mitarbeiter der Firma Steep. Sie kochen das Essen für die rund 500 Gefangenen, halten Gebäude und Außenanlagen in Schuss und übernehmen Verwaltungstätigkeiten. Auch für die Beratung, Resozialisierung und Freizeitangebote sind Steep-Mitarbeiter verantwortlich, ebenso wie für die medizinische und psychologische Versorgung der Häftlinge. Steep übernimmt sogar die Videoüberwachung der Strafvollzugsanstalt. Etwaige Zwischenfälle werden jedoch den staatlichen Kollegen gemeldet. Denn Gesamtsteuerung, Sicherheit und Vollzugsplanung dürfen laut Grundgesetz nicht privatisiert werden.
Dass Steep überhaupt so viel anderes darf, liegt daran, dass mit dem Unternehmen deutlich mehr optimiert und gespart werden kann. Die Teilprivatisierung, heißt es, mache die Haft in der osthessischen JVA Hünfeld günstiger als in anderen Gefängnissen des Landes. Eine vom Land Hessen in Auftrag gegebene Untersuchung zur Wirtschaftlichkeit des Modells ermittelte für den Zeitraum 2016 bis 2018 jährliche Kostenvorteile von durchschnittlich 776.000 Euro – Tendenz leicht steigend.
Noch sind teilprivatisierte Gefängnisse in Deutschland die Ausnahme, doch es werden mehr. Neben Hessen gibt es inzwischen auch in den Bundesländern Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt teilprivatisierte JVAs.
Zu wenig Plätze für Drogenkriminelle
Die Anfänge der privatwirtschaftlichen Gefängnisindustrie liegen in den USA. Mitte der 1980er wurden die nationalen Gesetze im Kampf gegen Drogen verschärft. Schnell wuchs die Zahl der verurteilten Straftäter über die vorhandenen Gefängniskapazitäten hinaus. Private Unternehmen witterten ihre Chance. Sie waren bis dahin nur für bestimmte Dienstleistungen verpflichtet worden – ganz ähnlich, wie es heute in Deutschland der Fall ist. Von da an konnten sie die komplette Verwaltung und den Betrieb der JVAs übernehmen. Die Corrections Coporation of America (CCA), heute CoreCivic, bekam 1984 als erstes Unternehmen die Erlaubnis für die Übernahme einer JVA im südlichen Tennessee. Seitdem hat CCA erfolgreich expandiert und ist heute eines der größten Gefängnisunternehmen des gesamten Landes.
Dass das möglich war, liegt an der gestiegenen Nachfrage nach entsprechenden Unterstützungsleistungen. Und ist auch einem Präsident Trump zu verdanken. Dessen harter Kurs gegen illegale Immigranten hat manche Gefängnisse aus allen Nähten platzen lassen. Dabei waren die Einrichtungen auch zuvor nicht gerade leer. Seit den ’80ern hat sich die Zahl der Insassen ungefähr verdoppelt und wächst damit schneller als die Bevölkerung des Landes. Obwohl nur fünf Prozent der Weltbevölkerung in den Vereinigten Staaten lebt, befinden sich dort ein Viertel aller weltweit Gefangenen. Davon sitzen etwa zehn Prozent in privaten Gefängnissen ein: Umgerechnet fast 250.000 Amerikaner. Kein Wunder, dass das Land sparen muss. Die Kosten der Haft in einer privat betriebenen JVA sind in der Regel geringer als bei der öffentlichen “Konkurrenz“. Einige Bundesstaaten, wie Kentucky, Mississippi und Texas, verpflichten die Anbieter sogar dazu: Die privat betriebenen Gefängnisse müssen hier im Vergleich zu staatlichen Einrichtungen nachweislich zehn Prozent an Kosten einsparen. (Wie, das ist ihre Sache.)
Natürlich wurde dieses vermeintliche Erfolgsmodell wenige Jahre später auch von anderen Regierungen übernommen, etwa in Australien oder Neuseeland. In Europa etablierte sich der Privatisierungstrend vor allem in Großbritannien. 1992 eröffnete das erste privat betriebene Gefängnis in der Nähe des englischen Yorkshire. Inzwischen sind 18 Prozent der englischen und walisischen sowie 15 Prozent der schottischen Gefangenen in einer privaten JVA untergebracht.
Länger sitzen im Privatknast
Umstritten sind die Privatgefängnisse überall. Für die Privatisierung sprechen zwar die niedrigen Ausgaben auf Staatsseite. Gegner befürchten hingegen, dass genau das zu längeren Haftstrafen führen könnte. Nicht die Staaten, vielmehr die Häftlinge selbst erfüllen in gewisser Weise die Rolle von “Kunden“. Nur wenn es genug von ihnen gibt, bleibt die Nachfrage nach Unternehmensleistungen bestehen. Die Ökonomen Christian Dippel und Michael Poyker haben diesen irritierenden Zusammenhang untersucht. Beim Vergleich der Strafurteile mehrerer US-Bundesstaaten fiel ihnen auf, dass Haftdauern mit der Anzahl privater Gefängnisse pro Bundesstaat korrelieren. Der ihrer Meinung nach wahrscheinlichste Grund dafür: Strafrichter könnten bei ihren Urteilen Rücksicht auf die begrenzte Finanzkraft des Staates nehmen und kürzere Freiheitsstrafen verhängen, wenn sie wissen, dass nur wenige günstige Plätze in privaten JVAs zur Verfügung stehen, beziehungsweise längere, wenn das “Angebot“ ausreicht.
Ein zweites Argument der Befürworter: Der Staat könne bessere Haftbedingungen und eine geringere Rückfallquote mit finanziellen Anreizen verknüpfen, glauben sie. Schlecht arbeitende Anbieter könnten leichter ersetzt werden, sodass die Qualität der Verwahrung insgesamt steige. Tatsächlich ist oft das Gegenteil der Fall. 2013 ermittelte das US-Justizministerium, dass Insassen privater Gefängnisse bis zu drei Mal häufiger Opfer von Körperverletzung und Missbrauch werden als jene, die in staatlichen Gefängnissen einsitzen.
In Deutschland sind vergleichbare Fälle der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt. Das Modell “privatisierte JVA“ läuft so gut, dass das Land Hessen den Vertrag mit Steep bereits mehrfach verlängert hat. So soll der Dienstleister noch bis mindestens Ende 2021 in der JVA Hünfeld mitarbeiten.
Dass es in den USA private Gefängnisse mit all den negativen Folgen gibt, ist ja schon lange bekannt. Aber dass es solche Entwicklungen inzwischen auch in Deutschland gibt, überrascht mich. Ich finde das unverantwortlich. Die neoliberalen Zeiten, in denen die hoheitlichen Aufgaben des Staates ausgelagert und privatisiert werden, sind nun längst vorbei. Privatisierung von Justizvollzugsanstalten sind geradezu ein Anachronismus – ebenso wie die Privatisierung von Bussen und Bahnen, Krankenhäusern usw. Nie war der Staat so sehr gefragt wie jetzt in der Corona-Zeit. Das sollte uns eine Lehre sein!
Wenn private Anbieter soviel günstiger sind, dann bedeutet das: Die Menschen, die für den privaten Anbieter arbeiten, sind schlechter bezahlt und arbeiten unteren schlechteren Bedingungen. Das macht sie anfälliger für Bestechungen durch Insassen. Was für eine verrückte Idee unserer Politiker, so etwas zuzulassen!