Natürlich schön
Slow Fashion, Fast Fashion, Grow Fashion – was soll ich anziehen? Die Textilentwicklung verlangt nach mehr Innovation. Back to the roots, zurück zu alten Trends, oder schlicht Second Hand!? Gestalte deine Kleidung doch einfach um, tausche oder züchte sie doch gleich selbst, lautet die Devise.
„Grow Fashion statt Fast Fashion“ lautet der Titel einer Designstudie von Cora Schmelzer. Thema der Arbeit: aus Pilzen Kleidung herzustellen. Es ist Schmelzers Vision, die Modeindustrie zu verändern, um der schnelllebigen Massenware und Wegwerfkultur entgegenzuwirken. „In Zukunft könnte unsere Kleidung einfach in Form wachsen und auf dem Kompost entsorgt werden“, so Schmelzer. Mit ihrer Diplomarbeit hat sie mit diesem Ansatz vor fünf Jahren den Award „Uncover Designpreis“ in Mannheim gewonnen. Und heute? Hat sie vorerst aufgegeben. „Aktuell mache ich nichts mit Mode, nur privat. Das Thema finde ich weiter interessant, doch ich hätte damals eine andere Umgebung gebraucht. Alleine hatte ich wenig Chance, die Idee weiter zu entwickeln.“
Für solch einen komplexen Ansatz, wie Schmelzers Idee ihn darstellt – aus Pilzen hergestellte Kleidung im Laden verkaufen zu können –, benötigt es neben kreativen Modemachern auch Unterstützung von Biotechnikern und Chemikern. „Andere waren im Team erfolgreicher, so auch made with reishi. Das Unternehmen ist mittlerweile auf der New York Fashion Week vertreten und wird immer größer – das Material hat Zukunft!“, so die junge Designerin. Das Material, das Schmelzer meint, ist Pilzkennern als glänzender Lackporling bekannt, der berühmteste darunter – der Reishi – bedeutet auf Japanisch etwa „göttlicher Pilz“, weil er als besonders gesundheitsfördernd gilt. Dabei sieht Schmelzer das größte Potenzial für Grow Fashion in veganem Leder, bestehend aus Rhabarber, Fischhaut, Ananas, Eukalyptus, Algen oder sogar: saurer Milch.
Nachhaltiger Trendsetter
Mit Blick auf wissenschaftliche Entwicklungen sollte aber auch nicht außer Acht gelassen werden, was längst vorhanden ist. Eine eher verstaubte Herangehensweise, um für nachhaltige Mode zu sorgen, ist darum die erneut zum Trend gewordene und weiter steigende Nachfrage nach Second Hand. Was früher oftmals den „Ramsch eines Wühlhaufens“ symbolisierte, wird heute gezielt und ausgewählt in Szene gesetzt. Es schießen immer mehr inhabergeführte Läden wie – nun ja – Pilze aus dem Boden, welche verschiedene Themenfelder bespielen. Dazu gehören beispielsweise ausgewählte Designermarken, bestimmte Jahrzehnte wie die ’80er des vergangenen Jahrhunderts sowie einzigartige Stilrichtungen oder das Angebot wird ausgerichtet auf eine bestimmte Zielgruppe, Männlein, Weiblein, Kinder oder Senioren. In der AWO-Frankfurt (Main) führt dieser Trend sogar zu besonderen Veranstaltungen. Im Johanna-Kirchner-Altenhilfezentrum, wo eine wiederkehrende Modenschauen stattfindet, unterhält Teilnehmerin Doris Liesem noch heute mit Stücken aus ihrer Second-Hand-Boutique Jacke wie Hose Trendsetter, Bewohner und Besucher. Dabei zählt Liesem bereits 78 Jahre.
Doch nachhaltig erscheinende oder nachhaltig produzierte Mode kann Verbraucher täuschen. Denn „Nachhaltigkeit“ ist kein gesetzlich definierter Begriff und wird von vielen Konzernen oder Marken zu Werbezwecken missbraucht. Aktuell gibt es keine Art von Erkennungsmarke, weder Siegel noch Symbol, welche sicherstellt, dass die Produktion eines Kleidungsstücks tatsächlich einen umweltfreundlichen Charakter an den Tag legt. Produktions- und Lieferketten sind so komplex, dass kein Siegel allein die gesamte Wertschöpfung zertifizieren kann. Lediglich einzelne Schritte wie Faseranbau, ökologische oder soziale Aspekte in der Produktion geben Anhaltspunkte für eine gewissenhafte Produktion.
Sind frische Farben oder Maßbekleidung eine Alternative?
Wäre es da also nicht naheliegend, Kleidung, die nicht mehr gefällt, einfach durch geschicktes Upcycling aufzubereiten? Wenn Marie Nasemann, Schauspielerin und Model, bekannt aus der TV-Show Germany’s Next Topmodel mit einer Leidenschaft für nachhaltige Mode frischen Wind durch Farbe anstrebt, legt sie einfach selbst Hand an. Doch ist neu einfärben nachhaltiger als neu kaufen? „Das Bauchgefühl sagt mir ja, denn Vorhandenes zu nutzen scheint mir schon aus moralischer Überlegung sinnvoller, als neue Ressourcen zu verbrauchen“, so die 31-jährige Berlinerin. Auch vergleicht sie in dem Prozess regelmäßig den Verbrauch von Wasser, Strom und Chemikalien und kommt so häufig zu dem Ergebnis, dass ein Neukauf nicht nachhaltiger sein kann, als das Kleidungsstück neu einzufärben. Für diesen Prozess können chemisch hergestellte Farben mit Schwermetallen oder natürliche Färbemittel wie rote Beete oder Kurkuma genutzt werden. „Die Frage ist dann nicht ob, sondern wie färbe ich meine Kleidung neu ein.“
Doch was tun, wenn man genau wissen will, woher die Materialen kommen, die unsere Haut bedecken, und wie diese verarbeitet werden? Dann kann selbst nähen oder Maßbekleidung eine Alternative sein. Die Firma Birkhoven aus dem Rheingau beispielsweise steht seit 20 Jahren für exklusive Männermode. „Unsere Kunden leisten aktiv einen Beitrag dazu, den CO2-Fußabdruck ihrer Kleidung so gering wie möglich zu halten. Wir produzieren in Deutschland und dem europäischen Ausland und halten so die Lieferwege kurz.“ Felix Schlepper, Marketingleiter des Franchise-Unternehmens, weiß, worauf es vielen Kunden heutzutage besonders ankommt. „Wir setzen auf perfekte Verarbeitung, optimale Passform und lange Haltbarkeit, damit unsere Kunden lange ungetrübten Spaß an ihrem Kleidungsstück haben.“ Das Familienunternehmen gibt sich überzeugt von Slow Fashion, dank der mehr Verantwortung und Bewusstsein gegenüber dem eigenen Konsumverhalten möglich werden soll. „Überproduktion gibt es bei uns nicht. Jedes Kleidungsstück wird individuell gefertigt“, so der 29-Jährige. Dass sich dieser Ansatz auch im Preis niederschlägt, verwundert kaum. Aber zumindest hin und wieder auf individuelle Hemden ab 99 Euro zu setzen und sich etwa für besondere Anlässe einen maßgeschneiderten Anzug ab 499 Euro zu leisten, kann ein Weg sein, die Modeindustrie um tonnenweise Massenware zu erleichtern und Materialabfälle zu vermeiden. Davon ist nicht nur Schlepper überzeugt.
Zum Beitrag von #sagwas-Autorin Nadine hat Oxfam exklusiv ein Statement abgegeben:
„Mode sollte nicht zur Wegwerfware werden: In die Herstellung fließen viele wertvolle Ressourcen. Allein die Produktion einer einzigen Jeans verbraucht 7.000 Liter Wasser – das füllt 46 Badewannen! Die Menschen in den Textilfabriken zahlen ebenfalls ihren Preis für unseren Moderausch: Die Arbeitsbedingungen sind prekär und gehen durch den Einsatz von giftigen Chemikalien extrem auf die Gesundheit. Die Produkte sind allemal der Wertschätzung wert. Die Gegenbewegung zur Fast Fashion, für die auch Oxfam mit seinen Secondhand-Shops steht, ist, sich bewusst für Artikel aus zweiter Hand zu entscheiden. Wir wünschen uns: Kauft weniger, kauft hochwertiger!“
Jan Heser, Geschäftsführer der Oxfam Shops Deutschland gGmbH