Abends auf Standby?!
Für die meisten bedeutet Freizeit: aus dem Hamsterrad der To-Do-Listen aussteigen und den „Ich bin dann mal weg“-Moment genießen, vielleicht sogar offline gehen. Aber verabschieden wir uns in unserer freien Zeit wirklich von unseren Medien oder schalten wir nicht vielmehr durch sie ab?
Robert Owen, walisischer Unternehmer und Sozialist der ersten Stunde, prägte Anfang des 19. Jahrhunderts den Slogan: „Acht Stunden arbeiten, acht Stunden schlafen und acht Stunden Freizeit und Erholung“. Seine Rechnung verfing schnell und gilt seither neben dem Verbot der Kinderarbeit als eine der ältesten Forderungen und Errungenschaften der Arbeiterbewegung. Dafür sollten wir Robert Owen und all jenen Arbeitern ein Denkmal errichten, die sich an Petitionen, Streiks und Boykotts oder einem Aufstand beteiligt haben für ein menschenwürdiges Leben mit ausreichend Erholungszeiten. Sichließlich zahlten nicht wenige dafür einen hohen Preis: Sie verloren ihre Arbeit oder sogar ihr Leben im Kampf um mehr Selbstbestimmung.
Junkfood für Geist und Seele
Und heute? Die Welt ist eine andere geworden, sicher. Aber Ausbeutung und sogar Kinderarbeit exisitieren immer noch. In diesem Kontext über die eigene Freizeit zu sinnieren könnten manche als anstößig empfinden. Doch ich beobachte die Mehrzahl der Menschen um mich herum dabei, wie sie ihre Freizeit immer öfter mit Computer, Laptop, Tablet, Smartphone oder dem guten alten Fernseher irgendwie, naja, vergeudet.
Mich will ich an dieser Stelle gar nicht ausnehmen. Abends beinhaltet meine Freizeitgestaltung häufig neben Telefonaten Social Media, Internetradio, Hörbücher, Podcasts oder auch mal ein Entspannungsvideo… Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Dabei spielt die Nutzung des Internets die Hauptrolle. Die wenigsten Leute können nach ihrem Acht-Stunden-Tag der Anziehungskraft von Couch und Medienkonsum widerstehen. Sich unter der Woche regelmäßig mit Freunden treffen oder ausgehen? War schon vor Corona selbst unter Städtern (mit Kindern) nicht gang und gäbe. Auch gemeinsames Joggen oder die schlichte „auf einen Kaffee treffen“-Verabredung gehen oft unter in dem Wust an alternativen, aber eben passiven Freizeitaktivitäten. Und ja, dazu gehört auch ganz unspektakulär: die Beine vor einem Bildschirm hochlegen.
Aber Hand auf’s Herz: Wir sollten uns langsam fragen, was diese Diskrepanz zwischen „gerne tun wollen“ und „tatsächlich tun“ auf Dauer mit uns macht. Wie ungesundes Essen für unseren Körper, so ist auch die massive Inanspruchnahme von Medien einfach nur Junkfood für Geist und Seele.
Freizeitmonitor spricht Bände
Ein kurzer Blick auf den sogenannten Freizeitmonitor bestätigt meine Vermutung. Seit 1986 untersucht die vom Tabakhersteller Britisch American Tobbaco finanzierte Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen mit ihrem Freizeitmonitor das Freizeitverhalten der Deutschen. Für den Freizeitmonitor 2021 wurden dazu im August dieses Jahres über 3.000 Menschen zwischen 18 und 74 Jahren repräsentativ zur Gestaltung ihrer Freizeit befragt.
Demnach liegt die Internetnutzung mit 97 Prozent an der Spitze, gefolgt von Fernsehen (88 Prozent), PC/ Laptop (85 Prozent), Musik hören (83 Prozent), E-Mails lesen oder schreiben (82 Prozent). Es folgen Smartphone nutzen, ohne zu telefonieren (75 Prozent) und Radio hören (75 Prozent). Erst danach kommen „seinen Gedanken nachgehen“ (69 Prozent), „über wichtige Dinge reden“ (68 Prozent), „telefonieren von zu Hause“ (66 Prozent) oder „Zeit mit dem Partner verbringen“ (64 Prozent). Faulenzen, Nichtstun und Chillen gaben immerhin noch 60 Prozent der Befragten an. Wenig überraschend, aber auch symptomatisch für unsere digitale Welt.
Lieber Entspannung als Aktivität
Und ich? Tatsache ist, am liebsten würde ich täglich Freunde treffen, im Wald spazierengehen, in Cafés sitzen oder auf einer Wiese Yoga machen. Doch im meist stressigen Alltag scheitert es oft an mangelnder Energie (zum Beispiel um quer durch die Stadt zu einer Verabredung zu fahren) oder am Planungsaufwand. Auch spontan war einmal. Und so übersteigt der Wunsch nach Entspannung, wie sooft, das Bedürfnis, aktiv zu sein.
Ich möchte daran etwas ändern. Mit einem Selbstversuch. Meine persönliche Challenge lautet: Zwei Wochen ohne abendlichen Medienkonsum durchhalten, der mir meine Freizeit zerstückelt und mich letztlich nicht abschalten lässt. Erlaubt ist lediglich: Bücher lesen und Musik hören mit dem Radio, Handy oder Laptop.
Zwei Wochen Medienabstinenz
Zugegeben, als Familie mit einem kleinen Kind ist die Wahrscheinlichkeit, einen ruhigen Indoor-Nachmittag zu verbringen, ohnehin gering. Wir unternehmen täglich einen mindestens einstündigen Ausflug. An meinen Nachmittagen hat sich innerhalb von zwei Wochen wenig verändert.
Nach einem halben Monat haben sich meine abendlichen Gewohnheiten umso mehr verändert. So müde wie motiviert mache ich mir einen Tee, anstatt Popcorn für unseren gelegentlichen Filmabend aufzubacken, und nehme ein Buch zur Hand, wie in guten alten Zeiten. Die fehlende Ablenkung lässt mich immer öfter bei lieben Menschen anrufen, ich verabrede mich zu konkreten Ausflügen mit Freunden, organisiere mit meinem Mann vorfreudig die nächsten Reisen und Besuche – anstatt nur vage darüber zu sprechen. Außerdem schreibe ich regelmäßig Tagebuch oder mache kleine Schreib- oder Yoga-Übungen. Sogar einen Sportkurs habe ich gebucht – bewusst auswärts und nicht online. Und, was soll ich sagen? Ich gehe tatsächlich hin. Denn ich fühle mich bereits nach einer Stunde Sport erholter als nach zwei Stunden Nachrichten verfolgen, SMS verfassen und Netflix schauen.
Fazit: Passiver Medienkonsum in der Freizeit schluckt deutlich mehr Energie als diese freien und darum so wertvollen Stunden aktiv, vielleicht sogar kreativ zu verbringen. Mich selbst wieder in den Standby-Modus zu versetzen? Kommt also nicht mehr in Frage! Dafür warten da draußen, abseits des Sofas zu viele neue Eindrücke und zu viele Glücksgefühle, auf die wir auch nach acht Stunden Arbeit nicht verzichten sollten.