Vergewaltigung im Film: Rape Culture erzählen, statt reproduzieren
Kann man etwas grundlegend Falsches „richtig“ darstellen? Im Fall von sexualisierter Gewalt ist diese Frage nicht einfach zu beantworten. Aber ohne ehrliche Auseinandersetzung bleibt der Anspruch, aufklären zu wollen, auf der Strecke. Auch in der Kunst.
Die Mehrheit der Frauen hat Erfahrungen mit sexueller Belästigung oder sexualisierter Gewalt gemacht. Insofern scheint nachvollziehbar, dass Verbrechen dieser Art auch in Spielfilmen und Serien immer wieder eine zentrale Rolle spielen. Doch die Omnipräsenz sexualisierter Gewalt in den Medien hat nicht nur Aufklärungscharakter, sondern trägt zu eben jener “Rape Culture“ bei, die die Verbreitung von sexualisierter Gewalt erst möglich macht.
Was ist Rape Culture?
Der Begriff “Rape Culture“, also “Vergewaltigungskultur“, bezeichnet Strukturen und Narrative, die sexualisierte Gewalt bagatellisieren und die Verantwortung bei den Opfern statt bei den Tätern verorten. Daher müssen Betroffene von sexualisierter Gewalt immer damit rechnen, dass sie bei einer Anzeige von Polizei und Rechtssystem mit Skepsis und erniedrigenden Fragen bezüglich ihrer Teilschuld gequält werden. Tatsächlich kommen Vergewaltigungen genau deshalb selten zur Anklage und noch seltener zur Verurteilung.
Vergewaltigungskultur bedeutet auch, Frauen als sexuell verfügbare Objekte zu begreifen. Die aus den USA stammende “Incel“-Bewegung (engl. Akronym für: involuntary celibates) beispielsweise, ein Zusammenschluss „unfreiwillig enthaltsamer“ Männer, sieht sich in ihrem angeblichen Recht auf Sex mit Frauen betrogen. Sogenannte Pick-Up Artists wiederum entwickeln Strategien, wie Frauen am geschicktesten zu sexuellen Handlungen gedrängt werden können. Die Anhänger beider Gruppen begreifen Frauen nicht als Menschen mit eigener Persönlichkeit, eigenem Willen und sexueller Selbstbestimmtheit, sondern als Objekte, an denen sich zu bedienen ihnen zusteht.
Rape Culture findet auch in unseren Medien Platz. So verkauft die Teeny-Romanze “Twilight“ eine Stalking-Situation, in der Vampir Edward nachts heimlich in das Schlafzimmer seiner Angebeteten eindringt, um sie beim Schlafen zu beobachten, als Akt der Liebe. In der Serie “Ku’damm 56“ heiratet die Hauptfigur jenen Mann, der sie in der ersten Folge vergewaltigt hat. In beiden Fällen verschwimmen die Grenzen zwischen Sexualität beziehungsweise Romantik und Gewalttat völlig unhinterfragt.
Realität im Film
Ein Film ist niemals nur ein Film, also fiktional oder figurativ, sondern auch folgenschwer.
Sich stetig wiederholende Bilder und Narrative beeinflussen unser Denken und Handeln. Doch während darüber diskutiert wird, ob Gewalt in Videospielen zur Gewaltbereitschaft von Jugendlichen beiträgt, mangelt es an der Verknüpfung von filmischen Versionen sexualisierter Gewalt und ihrer Omnipräsenz im realen Leben.
Dabei ist genau dieser Zustand unübersehbar. So musste der Streaming-Dienst Netflix nachträglich eine Szene aus der Serie “Tote Mädchen lügen nicht“ herausschneiden, weil Studien einen Zusammenhang zwischen dieser und steigenden Suizidraten unter Jugendlichen nachweisen konnten. Auch die Sozialpsycholog:innen Mazahrin R. Banaji und Anthony G. Greenwald gehen in ihrem Buch “Blindspot“ davon aus, dass es vor allem mediale Einflüsse sind, die Denkstrukturen und Konzepte nachhaltig prägen. Somit stehen Filmemacher:innen in der Verantwortung, mit ihren Werken Rape Culture nicht fortzuschreiben, sondern zu problematisieren.
Nie nur eine Vergewaltigung
Eines der größten Probleme bei der Repräsentation von sexualisierter Gewalt in Filmen und Serien betrifft die Funktion jener Szenen. In deutschen Fernsehkrimis dient eine Vergewaltigung oft lediglich als Spannungs- oder Schockmoment oder soll die charakterliche Veränderung einer – meist weiblichen – Figur begründen. Vergewaltigung wird so zur Einzeltat stilisiert und nicht als Teil eines Systems vermittelt. In manchen Fällen wird im Gegenteil sogar die Vergewaltigungskultur fortgeschrieben, wie im “Tatort: Kartenhaus“, in dem das jugendliche Opfer sexualisierter Gewalt auch dem Fernsehpublikum in Spitzenhöschen als Sexobjekt dient. Einerseits möchte der Krimi Vergewaltigung als Verbrechen charakterisieren, andererseits nährt er mit der nackten Inszenierung der jungen Frau jenes Bild sexueller Verfügbarkeit, das einen der Grundpfeiler der Rape Culture darstellt. Und ganz nebenbei festigt die Geschichte einen weiteren Rape Culture-Mythos, wenn sich die Anschuldigungen der Frau als Falschaussage erweisen.
Natürlich dürfen Filme und Serien sexualisierte Gewalt thematisieren, schließlich ist sie fester Bestandteil unserer Realität. “Top of the Lake“ von Jane Campion ist beispielsweise eine Krimi-Serie, die von Vergewaltigung erzählt, ohne sie bildlich auszuleben, und gleichzeitig jene gesellschaftlichen Strukturen analysiert, die eine Vergewaltigungskultur ausmachen. Der Spielfilm “The Tale“, in dem Regisseurin Jennifer Fox ihren eigenen Missbrauch verarbeitet, zeigt Szenen sexualisierter Gewalt, nimmt dabei aber die Perspektive der betroffenen Person ein, anstatt deren Körper auszustellen.
Um Fehler bei der Darstellung von sexualisierter Gewalt zu vermeiden, müssen sich Filmemacher:innen eingehend mit der Thematik auseinandersetzen. Sie müssen mit Betroffenen sprechen, vielleicht ein Sensitivity Reading beauftragen, ein auf dieses Thema spezialisiertes Lektorat. Es geht darum, Vergewaltigung nicht bloß abzubilden, sondern das dahinterliegende System aufzudecken und auf verantwortungsvolle Weise ins Zentrum der Handlung zu rücken. Kurzum: Statt von einer Vergewaltigung sollte besser von Rape Culture erzählt werden.
So wahr! Es sollte eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Frage geben, welchen Zweck die Beibehaltung und Fortschreibung der Rape Culture in Deutschland erfüllen soll.
Danke für den Beitrag!