Lass uns reden!
Selbst in einer Informationsgesellschaft wie der unsrigen gibt es sie: Verschwörungstheoriker. Sogar in der eigenen Familie. Bloß wie soll man damit umgehen?
Ich sitze mit meiner Schwester am Abendbrottisch und diskutiere mit ihr über Waffenlieferungen an die Ukraine. Ich bin dafür, sie dagegen. Es ist ein Thema, über das wir uns schon oft gestritten haben und weiter streiten werden. Meine Schwester und ich diskutieren oft und oft auch ziemlich kontrovers über politische Themen.
Die Meinung meiner Schwester kann ich immer verstehen. Und das bedeutet, dass, auch wenn ich sie nicht teile, ich sie dennoch akzeptieren kann. Doch was, wenn dies einmal anders wäre? Wenn die Meinung meiner Schwester in einen Bereich abdriften würde, bei dem ich ihr nicht folgen könnte? Wenn sie, zum Beispiel, anfinge, an Verschwörungstheorien zu glauben.
Konspiratives Wirken
Für mich ist das nur ein Gedankenexperiment. Während der Coronapandemie war das für viele plötzlich Realität. Der Bruder, der Freund, der Arbeitskollege, mit dem man schon immer gerne über alles Mögliche, also auch Politik diskutiert hat, redet bei einer Diskussion über Coronamaßnahmen von einer Weltverschwörung: Bill Gates habe die Pandemie erfunden, damit wir uns alle impfen lassen müssten.
Ob in persönlichen Diskussionen zuhause oder in den Medien wurden während der Coronapandemie Verschwörungen als ein vermeintlich stichhaltiges Argument dargebracht. Doch jemand, der einer Argumentationslinie folgt, die in Richtung konspiratives Wirken einer kleinen, mächtigen Gruppe gehen, ist zuerst nur an den Theorien über diese Form der Geheimhaltung interessiert.
Tobias Meilicke weiß, wie man am besten mit solchen Personen umgehen kann. Er leitet seit 2021 die Beratungsstelle Veritas in Berlin. Meilicke und sein Team beraten Angehörige von Verschwörungsgläubigen. Er bezeichnet Menschen, die verschwörungstheoretisches Denken vorbringen, als „verschwörungsinteressierte Personen“. Dabei handele es sich um „Personen, die diese Theorien zumindest für möglich halten. Mit solchen Personen kann man noch ganz gut kognitiv arbeiten“, erläutert Tobias Meilicke.
Wie ein Todesfall
Das heißt für mich, sollte meine Schwester sich zunächst nur für Verschwörungstheorien interessieren, kann ich noch versuchen, mit Fakten dagegenzuhalten. Zum Beispiel, indem ich ihre Quellen hinterfrage. Meilicke rät, zusammen eine Liste von seriösen Quellen zu erarbeiten. „Das hat nämlich den Vorteil, dass wir uns dann die Quellen gemeinsam anschauen können und diejenige, die diese Verschwörungstheorien und die Quelle für seriös gehalten hat, von selbst zu dem Urteil kommen kann: Oh, da habe ich mich wohl geirrt!“
Schwieriger wird es, wenn meine Schwester wirklich an diese Theorien glauben würde, sie also eine „verschwörungsgläubige Person“ werden würde. „Das sind Menschen die Verschwörungstheorien fest in ihr Welt- und Selbstbild integriert haben. Diese Menschen gehen fest davon aus, dass Verschwörungen in dieser Welt ständig und überall passieren und sie definieren sich darüber, dass sie diejenigen sind, die das durchschaut haben“, erklärt Meilicke.
In dieser Phase wird der Streit untereinander oft heftiger. Es kommt zu größeren Konflikten. Angehörigen fällt es dann nicht nur schwer, mit der Person, die solchen Auffassungen anhängt, zu reden, sondern auch mit dem eigenen Umfeld über diese verschwörungsgläubige Person selbst. „Eine Klientin hat das mal so zusammengefasst: Verschwörungsgläubige in der Familie sind wie ein Todesfall in der Familie. Jeder weiß davon, aber keiner möchte darüber reden“, erzählt Meilicke. Wenn Angehörige sich doch trauen, offen mit anderen darüber zu sprechen, können viele Außenstehende den Schmerz und die Sorgen nicht nachvollziehen. So kann es Freunde geben, die über die Situation lachen oder sagen: „Trenn dich doch einfach von ihm/ ihr!“
Im Geheimen verschwörerisch
Die Situation ist also extrem heikel. Trotzdem sei die Kommunikation darüber wichtig, ermuntert Meilicke. „Das familiäre Umfeld oder der Freundeskreis ist eine riesige Ressource, weil das die Personen sind, zu denen Verschwörungsgläubige noch am ehesten Vertrauen haben.“ Sie vertrauten meist nicht mehr den Medien oder den politischen Institutionen. Die Familie oder die Freunde seien dann die wenigen, denen sie noch Glauben schenken könnten oder wollten. Weshalb insbesondere dieses Umfeld dazu beitragen könne, sich von den Verschwörungstheorien wieder zu distanzieren.
Dabei sei die Art der Auseinandersetzung von entscheidender Bedeutung. Fakten seien an diesem Punkt der Kommunikation sogar eher kontraproduktiv. Das läge daran, dass hinter der Inanspruchnahme von Verschwörungstheorien oftmals Bedürfnisse verborgen seien wie etwa das Verlangen, Ohnmachtsgefühle überwinden zu wollen. Das Konzept Verschwörungstheorie kommt gelegen, weil es „erklärt“ die Katastrophe oder das Problem, indem Gründe oder Zusammenhänge vorgebracht werden, die dem Gefühl der Machtlosigkeit etwas entgegensetzen können. Angehörige einer verschwörungsgläubigen Person, betont Meilicke immer wieder, sollten mit ihr grundsätzlich über Ängste, Sorgen und Bedürfnisse sprechen, statt sich an vermeintlichen Fakten abzuarbeiten.
Sollte meine Schwester eines Tags einer Verschwörungstheorie verfallen, dann weiß ich jetzt: Reden ist wichtig. Beratungsstellen, wie zum Beispiel Veritas, können mich dabei unterstützen. Damit der Glaube an Verschwörungstheorien kein Geheimnis bleibt.