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ContraEine gute Story – auf Kosten der Fakten

Von Daniel Lehmann / 30. August 2024
picture alliance / Robert Newald / picturedesk.com | Robert Newald

Historische Ereignisse werden regelmäßig auf der großen Leinwand neu interpretiert. Das kann nötige Aufmerksamkeit für wichtige Themen erzeugen, ist letztlich aber doch mit Vorsicht zu genießen.

Menschen lieben Geschichten. Unabhängig vom Medium, dienten sie schon immer dazu Erfahrungen und Werte zu vermitteln, die eigene Kultur zu verstehen und zu hinterfragen oder auch Ereignisse zu verarbeiten. Die Mechanismen des Geschichtenerzählens haben sich dabei bis heute wenig verändert – egal ob im Unterhaltungsbereich oder im Marketing: Eine gute Story lebt nach wie vor von Protagonist:innen, mit denen man sich identifizieren kann (oder im Fall von Antiheld:innen zumindest Verständnis für sie erzeugt), einer Herausforderung beziehungsweise einem Konflikt und die Art und Weise, wie dieser aufgelöst wird.

Die Macht von Filmen: Der mahnende Zeigefinger 

Prinzipiell scheint ein Spielfilm geradezu prädestiniert dafür zu sein, Vergangenheit aufzuarbeiten, indem er komplexe Vorgänge und Prozesse auf die oben benannte Formel herunterbricht und damit für das Verstehen vereinfacht. Große und vielschichtige Geschehnisse wie etwa der Zweite Weltkrieg lassen sich wirksamer verpacken, indem sie episodenhaft aus der Sicht von bestimmten Personen erzählt werden. Damit lenken sie zuweilen auch die Aufmerksamkeit auf Personen der Geschichte, die bis dato der breiten Masse eher unbekannt waren. 

In den letzten Jahren gab es eine ganze Reihe an Produktionen zu den „unsung heroes“, den unbesungenen Helden und, viel häufiger, Heldinnen. Darunter etwa „Hidden Figures“, der von den drei afroamerikanischen Mathematikerinnen Katherine Johnson, Dorothy Vaughan und Mary Jackson erzählt, die bedeutende Anteile an Raumfahrtprogrammen der NASA hatten. Solche Streifen heben berechtigterweise mahnend den Zeigefinger, doch bitte bestimmte Personen und Vorkommnisse nicht zu vergessen respektive deren Darstellung in der Gesellschaft zu überdenken. 

Filme bleiben ein Konstrukt

Schwierig wird es allerdings, wenn ein Film unbegleitet und unreflektiert ein dominierender Faktor in der Erinnerungskultur ist. Hinweise wie „nach einer wahren Geschichte“ oder „beruht auf wahren Begebenheiten“ überhöhen in aller Regelmäßigkeit das, was ein Film am Ende des Tages aus geschichtswissenschaftlicher Sicht tatsächlich leisten kann. Unabhängig davon, wie intensiv die Produktion von der Recherche über die Quellenarbeit bis hin zu Kulissen und Kostümen dem Anspruch der Wahrheit hinterherjagt, bleibt ein Film stets ein Konstrukt. 

Exakte historische Realität abzubilden, ist selbst für Historiker:innen ein unmöglich zu erreichendes Ziel. Eine ganze Handlung mit ausgefeilten Charakteren und deren Dialoge ohne weitreichende künstlerische Freiheiten zu entwerfen, stellt nochmal eine ganz andere Dimension dar. Die eine Wahrheit gibt es ohnehin nicht – insofern können auch Spielfilme mit historischem Bezug bestenfalls versuchen, mehrere Perspektiven einzunehmen. 

Die Filmindustrie ist kein Bildungsapparat

Hinzu kommt eine große Palette an Verzerreffekten. Filme sind Wahrnehmungsangebote. Durch die Projektion eigener Vorerfahrungen, Wünsche und Vorstellungen und die Identifikation mit Figuren erlebt jede Zuschauerin und jeder Zuschauer einen Film individuell. Dementsprechend kann allein die Wahl der Schauspieler:innen maßgeblich beeinflussen, wie historische Persönlichkeiten nachhaltig durch Leinwanddarstellungen geprägt werden. Prominente Beispiele dafür wären Tom Cruise als Claus Schenk Graf von Stauffenberg in „Operation Walküre“ oder auch Kirk Douglas als Sklavenführer Spartacus. Letzterer verdeutlicht, dass dieser Effekt umso stärker ist, je weniger präsent andere Medien und Charakterisierungen von Personen der Geschichte sind. 

Letztlich ist und bleibt die Filmindustrie in erster Linie ein Wirtschaftszweig und kein Bildungsapparat. Darum basieren viele Szenen von Filmen mit historischem Bezug eher auf vereinfachenden Klischees oder zielen auf effektheischende Bilder, statt realistisch abzubilden. Der schottische Rebellenführer William Wallace, Hauptfigur im Film „Braveheart“, existierte wirklich. Anders als uns das Werk von Mel Gibson glauben machen möchte, entsprang er aber nicht bäuerlichen Verhältnissen. Und auch die berühmte blaue Kriegsbemalung ist ein Werk der Fantasie. Das ist dann wohl die „Freiheit“, die der von Gibson selbst gespielte Wallace auf der Metaebene für den Film einfordert. 

Darum können und sollen Filme die Fantasie anregen, uns mitfühlen lassen und Aufmerksamkeit für Themen erzeugen. Für die richtige geschichtliche Einordnung braucht es dann aber doch etwas mehr. 



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