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ProBilder, die bewegen

Von Mayya Chernobylskaya / 17. September 2024
picture alliance / Eibner-Pressefoto | Eibner-Pressefoto/Jonas Lohrmann

Wirklichkeit oder Fiktion? Historienfilme nehmen es oft nicht so genau mit der Rekonstruktion der Vergangenheit. Das wollen sie aber auch gar nicht. Statt sie als unfehlbare Geschichtslektionen zu sehen, sollten wir ihre emotionale Kraft nutzen, um Geschichte auf spannende und unterhaltsame Weise zu erleben.

Der Regisseur William Wyler soll vor der Veröffentlichung des Epos „Ben Hur“ eine Historikerin konsultiert und ihr die Kostüme sowie die Kulissen gezeigt haben. Ihre Antwort auf seine Frage nach mehr Authentizität? „Man müsste alles verbrennen.“

Historienfilme vereinfachen zugunsten der Dramaturgie, sie verzetteln sich in Details, kreieren klare Held:innen. Historienfilme spiegeln stets die Interpretation, den Aussagewunsch und den Wissensstand seiner Macher:innen wider. Durch ihre emotionale Kraft und bildliche Darstellung, die uns unmittelbar in vergangene Zeiten versetzt, können sie Impuls oder Einstieg sein, sich tiefer mit einem Thema zu beschäftigen.

Kein Anspruch auf Wirklichkeit

Der historische Spielfilm erhebt aber keinen Anspruch auf „die Wahrheit“. Er ist eine Kunstform, in der die Vergangenheit Kulisse und Handlungsraum ist, um Geschichten zu erzählen und vor allem um zu unterhalten. Würden Filmschaffende strikt den historischen Ereignissen folgen, wären ihre Erzählungen oft diffus. Denn Geschichte kennt selten eindeutige good und bad guys, Ereignisse sind oft nicht stringent, viele Faktoren sind zufällig, und ihr Zusammenspiel hochkomplex.

Hier liegt die Stärke des Historienfilms: Er bietet eine stimmige Geschichte in einer anderen Zeit, weckt Emotionen und zeigt Menschen, die sind wie wir – nur in der Vergangenheit. Der Film spricht mehrere Sinne an und so werden wir Teil dieser Welt und angeregt, Fragen zu stellen: Wer waren diese Menschen wirklich? Was bewegte sie? Diese Neugier kann der erste Schritt zur Auseinandersetzung sein – sei es auch „nur“ durch das Lesen eines Artikels auf Wikipedia.

Manche Filme haben die Gesellschaft verändert

Im Jahr 1979 sprengten rechtsextreme Terroristen zwei Sendemasten der ARD in einem verzweifelten Versuch, die Ausstrahlung des Films „Endlösung“ zu verhindern. Dieser sollte die Ereignisse des nationalsozialistischen Völkermords dokumentarisch aufarbeiten und als Einführung zur US-amerikanischen Miniserie „Holocaust“ dienen. „Holocaust“ selbst markierte daraufhin nicht nur in Deutschland eine Zäsur – mit einem Schlag rückte die Shoah, die hebräische Bezeichnung für den Völkermord an jüdischen Menschen, ins kollektive Bewusstsein und gab dem Grauen einen eigenen Namen. Auch wenn es bis heute Kritik an der Darstellung und am Begriff gibt: Ohne dieses Medienereignis wäre es vielleicht nie in dem Maße in unser kulturelles Gedächtnis gelangt.

Geschichtsfilme können zudem auf Ereignisse aufmerksam machen, die weit weg von unserer Lebenswelt sind und die wir bisher wenig oder gar nicht wahrgenommen haben. So der Film „Hotel Ruanda“, der den Völkermord in Ruanda schildert, dem in den 90er Jahren innerhalb weniger Monate fast eine Million Menschen zum Opfer fielen. Auch hier gab es in im Anschluss kritische Stimmen, denen die Darstellung des Hotelbesitzers Paul Rusesabagina als Held zu flach war. Aber: Hätten wir von dieser Diskussion überhaupt etwas mitbekommen, wenn es den Film nicht gegeben hätte?

Die Historiker:innen wissen das doch auch nicht so genau

Außerdem:Die Idee einer historischen Wahrheit ist selbst Fiktion. Geschichte ist immer eine Konstruktion und auch Historiker:innen können irren. Wäre Geschichte eine abgeschlossene, eindeutige Erzählung, bräuchte es keine Geschichtswissenschaft mehr. Ständig werden neue Entdeckungen gemacht, Ereignisse neu bewertet und umgedeutet. Seien es die weißen Statuen im antiken Griechenland, die gar nicht weiß, sondern mit Naturfarben bunt bemalt waren, oder die sehr verbreitete Überzeugung, im Mittelalter habe man die Erde durchweg für flach gehalten.

Dialoge, zwischenmenschliche Beziehungen, Gefühle – all das bleibt auch Historiker:innen verborgen. Ein Historienfilm hat also reichlich Leerstellen, die er guten Gewissens füllen und zum Leben erwecken kann. Und die ganz eigene Art des Films bietet den Zuschauer:innen noch eine Ebene: die Gegenwart verstehen. Wer sind unsere Held:innen heute? Wie kommt es, dass eine Novelle wie „Little Women“ aus dem Jahr 1868 uns als Neuverfilmung immer noch so berührt?

Dennoch gilt: Die Macher:innen von Geschichtsfilmen sind gefordert, in Recherche und Darstellung das Bestmögliche zu leisten; die kritische Öffentlichkeit sollte bei der Rezeption der Filme die Frage nach der Glaubwürdigkeit nicht unkommentiert lassen; und auch die Zuschauer:innen sind gefordert, wachsam zu bleiben.

Wenn man sich jedoch bewusst macht, dass Historienfilme niemals eine absolute Wahrheit darstellen, kann diese Kunstform eine wertvolle Inspirationsquelle für das Verständnis von Vergangenheit und Gegenwart sein. Natürlich könnten wir jetzt alle nach Feierabend dicke Geschichtsbücher wälzen. Doch seien wir ehrlich, das werden wir nicht tun. Denn: Was wäre das Leben ohne Geschichten, ohne Emotionen?



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