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Wenn Opa den Kuchen backt

Von Lena Gerhard / 25. September 2024
picture alliance / Mary Evans/AF Archive/Disney | AF Archive

Innerhalb der Generationen gehen die Meinungen auseinander, was geschlechtliche Rollenbilder anbelangt. Immer noch. Eine Streitschrift über unlustige Altherrenwitze und aufmüpfige Teenager – aus eigener Beobachtung beim Familienessen meiner Freundin.

Es ist mal wieder so weit: Bei der Familie meiner Freundin steht das alljährliche Treffen mit der ganzen Verwandtschaft an – und auch ich bin eingeladen. So schön wie diese Familienzusammenkünfte sein können, so sind sie doch auch immer etwas sonderbar. Kaum verwunderlich, treffen hier doch mehrere Generationen aufeinander. Und gerade in Fragen von Geschlechterstereotypen könnten die Welten nicht weiter auseinanderliegen, denn meine Freundin hat als 24-jährige Enkelin eine andere Auffassung von Rollenbildern als ihr 75-jähriger Großvater.

Wer für das leibliche Wohl verantwortlich ist? Gewiss keine Frage, die sich die Großeltern stellen. Klar, dass die Frauen kochen, ist der Großvater überzeugt. Sie übernehmen im Konstrukt der Ehe und Familie schließlich den fürsorglichen Part und kümmern sich liebevoll um Kinder, Ehemann und Haushalt. Das soll jetzt nicht so klingen, als ob die Männer hier gar nichts leisten würden. Denn sie sind ja die Ernährer, die das Brot nach Hause bringen. Und wenn‘s sein muss, dann stellt Mann sich auch mal an den Grill – das Bruzzeln von blutigem Fleisch gehört zu ihren Tätigkeiten, Tätigkeiten zur Verpflegung. Solche, die sie in ihrer Männlichkeit nicht gefährden.

Männer in sozialen Berufen findet die Familie ungewöhnlich

Was beim Familientreffen nicht fehlen darf, ist die typische, an die anwesenden Teenager gerichtete „Was machst du jetzt so?“-Frage, mit der die Verwandtschaft meist auf die berufliche und familiäre Laufbahn und Planung abzielt. Für seine Tätigkeit als Erzieher in einer Kindertagesstätte erntet der jüngere Bruder meiner Freundin erwartungsgemäß kritische Blicke. Vermutlich gehen den Damen und Herren der älteren Generation folgender Gedanke durch den Kopf: Ein Mann in einem sozialen Beruf!? Die Überlegung erntet Kopfschütteln. Dass er sich zudem auch noch vorstellen könnte, irgendwann als Vater zu Hause zu bleiben, um sich um die Kinder zu kümmern, setzt dem Ganzen die Krone auf. Das müsste folglich auch heißen, dass die zukünftige Mutter arbeiten gehen will… Es gäbe doch nicht etwa sowas wie „Vaterschaftsurlaub“? Der Frage strotzt nur so vor Verächtlichmachung.

Was sagt Opa eigentlich zur Gender-Pay-Gap?

Meine Freundin kommt derweil schon ins Schwitzen. Soll sie ausgerechnet jetzt erzählen, dass sie gerne studiert und nach derzeitigem Stand womöglich sogar gar keine Kinder will? Eine unabhängige Frau, die eine eigene Karriere anstrebt und ihre Berufstätigkeit nicht nur als Übergangslösung vor der Ehe oder als Ergänzung zum Einkommen des Mannes betrachtet… Nun, das wäre jetzt wahrscheinlich wirklich zu viel. Schließlich stammen Oma und Opa aus einer Zeit, in der Frauen finanzielle Unabhängigkeit verwehrt war – nicht zuletzt auch, weil Frauen bis 1977 ohne Zustimmung des Mannes weder arbeiten durfte noch vor 1962 ein eigenes Bankkonto eröffnen konnte. Dabei hatte der Deutsche Bundestag das „Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts“, das sogenannte Gleichberechtigungsgesetz, bereits 1957 beschlossen.

Am Ende kann es die Enkelin dann doch nicht lassen, wo man schon beim Thema sei: Was sagt Opa eigentlich zur Gender-Pay-Gap? Ist er sich bewusst, wie unterschiedlich Frauen und Männer für denselben Beruf, dieselben Tätigkeiten bezahlt werden und dass das zweifelsohne Diskriminierung ist? Findet Oma es selbst nicht unfair, dass Frauen viel seltener in Führungspositionen vertreten sind, obwohl sie sicher manchmal sogar die besseren Qualifikationen mitbringen als der männliche Konkurrent?

Oma schweigt dazu. Sie klammert sich noch an die alten, patriarchalischen Vorstellungen, mit denen sie groß geworden ist. Das kann man ihr kaum verübeln, denn die Erziehung und das soziale Umfeld sind laut Untersuchungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ausschlaggebend für das spätere Erwachsenleben. Umso wichtiger ist es, dass Jung und Alt in den Diskurs miteinander gehen.

Sich zu positionieren ist nicht respektlos

Oft hört man, junge Menschen würden immer frecher, rücksichtsloser und aufmüpfiger werden. Meiner Meinung nach ist es dabei nicht falsch oder gar respektlos, sich offen gegen überkommene, diskriminierende Ansichten zu positionieren, die nun mal häufiger von Menschen aus der älteren Generation vertreten werden. Es hat nichts damit zu tun, dass die einen die anderen verurteilen oder angreifen wollen. Es geht darum, etwas zu bewegen und Entwicklungen zu ermöglichen. Eine offene Diskussion über die verschiedenen Lebenswirklichkeiten ist unvermeidbar, wenn Veränderungen und Verständnis füreinander das Ziel sind. Es geht darum, zu erklären, warum es ungerecht ist, wenn Frauen weniger verdienen. Es gilt, darüber zu sprechen, dass Männer nicht mehr nur noch stark und unverwundbar sein müssen, weil Verletzlichkeit schon lange keine Schwäche mehr ist. Dass es nicht mehr nur noch „entweder–oder“ geben darf, sondern sich Mutterschaft und Karriere miteinander vereinen lassen müssen. Und dass sexistische Altherrenwitze nicht mehr lustig, sondern ausnahmslos inakzeptabel sind. Echt jetzt, kein Scherz.

Familientreffen sind deshalb immer etwas sonderbar, weil hier Generationen aufeinandertreffen, die in unterschiedlichen Lebenswelten zu Hause sind. Nach all den hitzigen Gesprächen braucht es schonmal ein Verdauungsschnäpschen, um die Gemüter zu beruhigen. Aber dann das Unerwartete: Opa kündigt an, im nächsten Jahr den Kuchen backen zu wollen.

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