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DebatteKunst und Moral – ein Dreamteam?

Von Lilith Diringer / 31. Oktober 2024
picture alliance / Globe-ZUMA | Andrea Renault

Künstler:innen haben schon immer Traditionen und Gewissheiten überwunden. Heute gilt in Deutschland die Kunstfreiheit. Doch: Wie steht es um die Verantwortung der Kunst und wie sollte unsere Gesellschaft damit umgehen?

Absage des Starts seiner „Funny Times“-Tour, Absägen eines fest geplanten Sat1-Quiz-Formats, der Verlust von Sponsoren: Die Liste der negativen Folgen, die der Komödiant Luke Mockridge diesen Spätsommer tragen musste, ist lang. „Es gibt Menschen ohne Beine und Arme, die wirft man in ein Becken – und wer als Letzter ertrinkt, der hat halt gewonnen“, sagte Mockridge, als er in einem Podcast über die Paralympischen Spiele sprach. Es folgte ein öffentlicher Aufschrei, halb Deutschland diskutierte auf Social Media und auch in den klassischen Medien die Frage, wie weit Humor gehen darf. Wo ist die Grenze zwischen Selbstzensur und moralischer Pflicht?

Eine Debatte, die immer wieder aufflammt. Diskussionen über die Zusammenhänge zwischen Kunst und Moral gab es in den letzten Jahrzehnten oft. Nehmen wir das Beispiel Christoph Büchel. Der Schweizer bezeichnet sich selbst als Aktionskünstler und behandelt politische Themen, so auch in einem Beitrag für die Biennale in Venedig 2005. Mit Hilfe seiner Installation wollte er das Leben der Insassen in dem von der US-amerikanischen Regierung geführten Gefängnissen auf dem kubanischen Guantanamo-Bay erlebbar machen. Besucher:innen mussten über eine Leiter durch eine Toilettenschüssel hindurch in den Ausstellungsraum hinabsteigen. Dort fanden sie sich dann in realitätsgetreu nachgebauten Verhörsälen wieder. Kritiker:innen gingen die lebensnahen Darstellungen zu weit: Büchel wurde vorgeworfen, dass die Installation Betrachter:innen traumatisieren könne und entwürdigend für die Opfer sei.

Auch ein anderes Kunstwerk löste heftige Kontroversen aus: Der Kinostart des Films „The Interview“ von Seth Rogen und Evan Goldberg, der sich um einen Mordversuch der CIA am nordkoreanischen Präsidenten dreht, musste verschoben – unter anderem aufgrund von Morddrohungen an Kinogänger:innen. Die Regierung Nordkoreas kritisierte die Satire stark, fasste die enthaltenen Anspielungen als Provokation auf und bezeichnete die Ausstrahlung des Films selbst als Terrorismusakt. Ein Hackerangriff auf Sony Pictures Entertainment im November 2014 wurde als Rache Nordkoreas interpretiert. Noch stärker gesellschaftlich diskutiert wurde jedoch die Reaktion Sonys, den Film zunächst nicht zu veröffentlichen. Stimmen wurden laut, die Sony kritisierten, sich vom nordkoreanischen Machthaber zensieren zu lassen und vor ihm einzuknicken. Sogar der damalig amtierende amerikanische Präsident Barack Obama sprach sich gegen die Nichtausstrahlung aus, sodass der Film schlussendlich doch noch in die Kinos gelangte.

Moralschädigend oder reinigende Kraft der Kunst?

Ob Comedy, Kunstinstallation oder Film – in allen Genres der Kunst erkennen wir ähnliche Debatten. Nicht nur Künstler:innen der Gegenwart müssen sich dem Thema stellen, sondern bereits die Dichter Homer und Hesiod im 5./6. Jahrhundert. Platon warnte vor der potenziell moralschädigenden Wirkung der Dichtkunst und ging sogar so weit, dass Künstler:innen in einem idealen Staat nichts zu suchen hätten, da sie negative Wirkung auf die Ausbildung und Erziehung von Kindern ausübten. Sein Schüler Aristoteles sah das anders, er stellte die reinigende Kraft der Kunst in den Vordergrund. Ähnlich sieht dies im 18. Jahrhundert Gotthold Ephraim Lessing, einer der einflussreichsten Dichter der Aufklärung, der der Kunst im Allgemeinen und dem Theater im Besonderen eine bildende Rolle zusprach. Der Mensch, den er als egoistisch und emotional verschlossen bezeichnet, könne im Theater in die Lebensrealität der Unglücklichen eintauchen und dabei über sich hinauswachsen.

Kunstfreiheit und die Würde des Menschen

Heute gilt in jedem unserer Lebensbereiche das oberste Gebot: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Von diesem Prinzip aus unserem Grundgesetz sind Künstler:innen auch durch Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetztes, der die Kunstfreiheit garantiert, nicht ausgenommen. Dass dieser Spielraum Unklarheiten schafft, wird auch an der Notwendigkeit der Arbeit des Deutschen Kulturrats deutlich. Ende September 2024 brachte dieser das Papier „Gemeinsame Verantwortung: Für sicheres und respektvolles Arbeiten in Kunst, Kultur und Medien“ heraus, das Leitlinien und Empfehlungen für ein wertschätzendes Arbeiten herausstellt. Darunter finden sich neben Selbstverpflichtungen von Kultureinrichtungen auch Leitlinien für den Bildungsbereich. Egal ob an Hochschulen, an denen die jungen Künstler:innen ausgebildet werden oder beim Einsatz von künstlerisch-praktischen Methoden im Kindergarten: Es geht um die Art und Weise wie Bildungsarbeit in diesem Bereich geleistet wird. Die Meinung Platons, dass es Kunst in einer idealen Gesellschaft nicht geben solle, wird heute allerdings nicht geteilt. Vielmehr wird dazu geraten, aufkommende Debatten über Kunst und Moral nicht zu meiden, sondern in die Bildungsorte zu holen, sodass ein guter Umgang damit erlernt werden kann.



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