Der Ausverkauf der Seelen
Innere Werte im Tausch gegen Macht, Reichtum und Wohlstand: Müssen wir im Streben nach einem guten Leben unsere Seele verkaufen? Über den Sinn und Unsinn einer historisch wirkmächtigen Floskel.
Dr. Faust hat es in Goethes gleichnamigem Klassiker getan, böse Zungen behaupten es über John Lennon und zuletzt wurde es Jürgen Klopp nach Bekanntwerden seines Engagements bei Red Bull von vielen Seiten vorgeworfen: Du hast deine Seele verkauft!
Meine ehemalige Wirtschaftslehrerin, Frau Schneider, hätte die Idee, dass es möglich ist, seine Werte zu verkaufen, pragmatisch gefasst: „Jeder ist bestechlich, die Frage ist nur zu welchem Preis“ – einer ihrer Sätze, der mir nach vielen Jahren im Kopf geblieben ist und der in einer Welt, in der materieller Wohlstand allzu oft als Maßstab für Erfolg dient, augenscheinlich auch zum Grundrepertoire eines zeitgemäßen Wirtschaftsunterrichts gehört. Sind wir im Streben nach dem guten Leben also verdammt, unseren Prinzipien den Rücken zu kehren und unsere Seele zu verkaufen? Im Zuge dieses Beitrages habe ich diese Frage eines Abends in einem ausschweifenden Gespräch mit drei Freund*innen, Flo, Jakob und Kiki, diskutiert.
Die Idee des Seelenverkaufs
Die Vorstellung, dass der Mensch die Möglichkeit hat, seine Seele zu verkaufen, entstammt ursprünglich dem Christentum, historisch beliebtester Tauschpartner ist demnach der Teufel. In Kultur, Literatur und Gesellschaft zahlreich vervielfältigt, bestätigt sich in unserem Gespräch schnell, dass die Floskel aber auch abseits eines religiösen Hintergrunds bis heute weit verbreitet ist. So empfinde ich es als durchaus überraschend, dass sich die potentiell philosophischen Dimensionen dieser Frage tatsächlich ausmachen lassen. Es scheint, dass wir eine ziemlich konkrete Vorstellung von der Seele und von der Idee, dass sie zu verkaufen sei, haben. Wir fassen den Begriff der Seele intuitiv als eine persönliche Sammlung von inneren Werten und Überzeugungen, die von einer scheinbar universellen Vorstellung dessen, was wir als gut ansehen, geprägt ist. In verschiedenen Definitionsansätzen ist von Begriffen wie Menschlichkeit und Solidarität die Rede, während im Gegensatz dazu das Schlechte steht, das Seelenlose, das als unmenschlich und rücksichtslos gilt.
Die Preisverhandlungen um die Seele gelangen in unserem Gespräch rasch an den Punkt, an dem übermäßiger Luxus zur Sprache kommt. Sportwagen, Privatjets und Jachten – das sind Dinge, „die braucht eigentlich niemand, sie haben ja keinen wirklichen Nutzen“, meint Kiki. Auch Flo und Jakob stimmen ihr zu. Für einen Porsche will niemand seine Seele verkaufen, auch für ein eigenes Flugzeug nicht. Geld hingegen ist ein anderes Thema: 10.000 Euro sind zu wenig, hängt man aber eine Null dran, fängt Flo an zu überlegen. „Vielleicht bin ich im Hinblick auf meine Moral doch flexibler als ich dachte. Irgendwie absurd, diese Diskussion. Es geht im Endeffekt doch nur um eine Floskel“, meint er und drängt darauf, zu konkretisieren, was es bedeuten soll, „seine Seele zu verkaufen“.
Seelen im Sonderangebot
Jakob erzählt im Laufe des Abends vom Film „The Box“, den er vor einiger Zeit zufällig im Fernsehen gesehen hat. Dieser basiert auf der Handlung der Kurzgeschichte „Button, Button“, die 1970 vom amerikanischen Autor Richard Matheson erstmals veröffentlicht und seither vielfach adaptiert wurde. In unterschiedlich ausgestalteten Szenarien wird hier die Frage aufgeworfen, ob Menschen dazu bereit wären, für einen sehr hohen Geldbetrag den Tod einer fremden Person in Kauf zu nehmen. Im Film willigen die Protagonisten – in diesem Fall eine junge Familie – nach langem Überlegen ein. Unsere Runde ist sich zunächst einig, dass von uns niemand den Preis eines anderen Menschenlebens zahlen würde. Wir würden weder für ein Privatflugzeug noch für eine Million Euro auf das Angebot eingehen und sind uns einig, dass das nur der Seelenlose tun würde. „Wobei,“ meint Flo, „es gibt vielleicht doch Leute, denen ich für einen gewissen Geldbetrag schaden würde“. Vielleicht ist ein solches Angebot für viele Menschen doch verlockender, als es zunächst einmal klingt?
Im Laufe des Gesprächs frage ich mich, ob private Flugzeuge und unsinnig hohe Geldbeträge hier wirklich das Thema sind. Oder sind es die Menschen, die sie haben wollen? Oder doch diejenigen, die sie tatsächlich besitzen? Für deren Seele ist doch bestimmt schon der ein oder andere Euro geflossen. Nein, wahrscheinlich wäre es falsch, an dieser Stelle Schuldzuweisungen vorzunehmen.
Die Basis unseres Wirtschaftssystems
Womöglich, so denke ich, können wir aus der Frage mehr als aus den Antworten lernen. Die historisch weitreichende Adaption der Floskel „jemand verkauft seine Seele“ und ihre zeitlose Wirkmächtigkeit lassen wirklich tief in unsere Gesellschaft blicken: Hat es die Idee vom Tauschhandel mit menschlichen Idealen im Laufe der Geschichte doch äußerst gut gemeistert, sich ausgehend von religiösen Vorstellungen in feudalistischen Herrschaftssystemen in modernen, kapitalistisch organisierten Gesellschaften zu verankern. Im Verkauf von Menschlichkeit und Solidarität steckt heute nicht mehr der Teufel, sondern das Wesen der freien Marktwirtschaft, das menschliche und natürliche Ressourcen zur Ware macht und das wir trotz massiven zivilisatorischen Fortschritts noch immer nicht zu bändigen gelernt haben. Insofern gehört der Satz „jeder ist bestechlich, die Frage ist nur zu welchem Preis“ wohl tatsächlich zum zeitgemäßen Wirtschaftsunterricht – wohin kämen wir bloß, wenn niemand mehr bestechlich wäre?