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ProWe didn’t start the fire

Von Clara Reinhardt / 29. November 2024
picture alliance / imageBROKER | Rico Mark Rüde

Sudan, Nahost, Ukraine, Valencia, Deutschland: Wohin der Blick auch schweift, die Krisen häufen sich. Doch das ist schlecht für die Gesundheit und die Demokratie. Ein Plädoyer für mehr Nachrichtenabstinenz.

Wir haben uns daran gewöhnt, täglich über zivile Opfer im Krieg oder Tote durch  Naturkatastrophen zu lesen. Wer heute in Ruhe am Strand entspannen will, steht, nein, liegt vor einer Herausforderung. Selbst dort vibriert das Handy zuverlässig im Rhythmus des Weltuntergangs: Eine Push-Benachrichtigung der Tagesschau-App. Und auf Instagram, das mittlerweile von Nutzer:innen jeglicher Art für politische Agenden genutzt wird, finden wir massenweise Infos, Fotos und Videomaterial, die eine Welt zeigen, in der das gedankenverlorene Nichtstun am Strand, das Beine-Schaukeln in der Hängematte, das gute Langweilen sinnlos und unmöglich erscheinen. So als gäbe es keinen Ort der Welt mehr, an dem wir uns sicher fühlen dürften. Und wenn wir die trüben Nachrichten doch einmal für einen kurzen Augenblick vergessen, wird unser Handy stets verlässlich dafür sorgen, dass wir uns wieder an die Katastrophen dieser Welt erinnern.

Wir sollten daher einen sensibleren Umgang mit Nachrichten finden, indem wir unseren Konsum einschränken, damit wir nicht gefühlt die Last der ganzen Welt auf unseren Schultern tragen müssen. Denn das kann uns richtig krank machen.

Der Zusammenhang zwischen Nachrichtenflut und Gesundheit ist enorm, wie eine Studie der Texas Tech University aus dem Jahr 2022 zeigt. Darin stellten die Forschenden einen Zusammenhang zwischen einem mittel bis höchst problematischen Nachrichtenkonsum und körperlicher und psychischer Gesundheit der Studienteilnehmer fest. Dabei definierten sie einen problematischen Nachrichtenkonsum anhand mehrerer Kriterien wie unkontrollierte Nachrichtenüberprüfung, schweres Lösen von den Nachrichten, späteres Nachdenken über das Gelesene und das Sich-in-Alarmbereitschaft- Befinden. Diese Menschen hatten der Studie zufolge häufiger psychische und körperliche Erkrankungen, ihre Gedanken kreisten um die zuvor konsumierten Nachrichten. Sie litten unter chronischem Stress, Ängsten und körperlichen Entzündungen, zudem konnten langfristige physiologische Reaktionen und Krankheiten nachgewiesen werden. Wer gesund bleiben will, löscht also lieber ein paar News-Apps.

Ein geringerer Nachrichtenkonsum stärkt die Demokratie

Ein problematischer Nachrichtenkonsum ist aber nicht nur schlecht für unsere Gesundheit, sondern auch für die Demokratie. Demokratie und mentale Gesundheit werden oft nicht gemeinsam gedacht und verortet. Was im ersten Moment seltsam erscheint, ist dennoch logisch: Erst wer sich um sich selbst kümmert, hat nachher auch die nötigen Kapazitäten und Ressourcen, um auch für andere und für gesellschaftspolitische Themen Sorge zu tragen. Schlussfolgern kann man daraus, dass eine bessere mentale Gesundheit – auch durch weniger Nachrichtenkonsum – umgekehrt zu vermehrter politischer Partizipation führen kann. Menschen mit Depressionen sind weniger politisch engagiert als mental gesunde Menschen. Der Essay “Too sad to vote?” des Social Science Research Counsil zeigt, dass Depressionen aufgrund ihrer Symptomatik zu weniger Aktivität und weniger Interesse führen und zu größerem Misstrauen. Besonders wirkten sich dem Text zufolge Depressionen auf jene Formen politischer Partizipation aus, die physische und kognitive Aktivität erfordern. Wenn die Nachrichtenflut Ängste und Depressionen auslöst, kann angenommen werden, dass ein geringerer Nachrichtenkonsum die Beschwerden bessert und die Betroffenen mehr Kapazitäten haben, um politisch zu partizipieren.

Selbstwirksamkeit heißt das Zauberwort

Der Grund für durch die Nachrichtenflut ausgelöste mentale Probleme ist, dass wir uns ohnmächtig fühlen. Wenn wir Doomscrolling am Handy betreiben, also exzessiv immer weiter negative Nachrichten konsumieren, haben wir keine Handlungsmacht über diese Welt. Wenn wir lesen, dass Trump wieder für die nächsten vier Jahre ins Weiße Haus einzieht, sind wir hilflos. Mit anderen Worten: Was uns beim Nachrichtenkonsum fehlt, ist die Selbstwirksamkeit, also der Glauben daran, durch eigene Handlungen auf ein Ereignis oder ein politisches Geschehen Einfluss nehmen zu können. Man sieht sich in einer Welt verortet, in der man Ereignissen ohnmächtig gegenübersteht und von der Berichterstattung darüber überrollt wird, was sich dann in Ängsten und Depressionen niederschlägt. Statt uns ständig vor Augen zu führen, was wir nicht ändern können, sollten wir uns auf die Dinge konzentrieren, die wir in der Hand haben: Auf Europa-, Bundes-, Landes- und Kommunalebene wählen gehen und uns in dem Maße engagieren, das unsere Lebensrealität zulässt. Indem wir beispielsweise präventiv aktiv werden und diskutieren, uns organisieren und protestieren oder selbst in die Politik gehen.

Um wieder mehr Handlungsmacht zu erlangen, sollten wir den Konsum von Nachrichten zu reduzieren und zeitweise sogar ganz damit aufhören, um einen bewussten Umgang zu lernen. So sollten wir zwar grundsätzlich noch lesen, was in der Welt gerade vor sich geht, jedoch ohne auf Clickbaits reinzufallen und eben nur in dem Maße, in dem wir für unser Privatleben noch Raum finden. Zwischen dem Nachrichtenkonsum bedarf es einer abstinenten Regenerationszeit, um der nächsten Welle standhalten zu können. Und auch, um überhaupt in den Dialog mit anderen treten zu können statt ständig lediglich zu reproduzieren. Die Entscheidung darüber, wann, wo und wie wir Nachrichten konsumieren, wird uns wieder Handlungsmacht geben, zwar nicht auf den Inhalt, aber auf die Konturen, die das Politische in der Privatsphäre zieht.

Vielleicht kommt auch wieder ein Tag, an dem wir aufwachen und die Trumps und Orbans der Welt verschwunden sind, Politik im Sinne der Klimakrise getroffen wird, und Kriege dem Frieden weichen. Bis dahin müssen wir auf uns selbst achten und uns schützen. Wir können schließlich nicht alle Kämpfe ausfechten – und wer unter einer Depression leidet, bei dem dominiert vor allem ein Kampf: der gegen die Depression. Daher scheint es so nötig wie sinnvoll, den Informationsinput zeitlich zu reduzieren, auf News über Social Media, also auf Doomscrolling zu verzichten und mit Menschen tatsächlich mal in den Dialog zu treten. Damit lässt es sich vielleicht wieder unbeschwert am Strand liegen.



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