Falsches Spiel
Es hilft alles nichts, ich muss diesen Blog mit einem Bekenntnis beginnen: Ich bin doch gläubig. Ich glaube daran, dass Fußball die Welt besser machen kann. Und ich bin, seit ich weiß, dass es Fußball gibt, Fan des 1.FC Köln. Weiß Gott kein leichtes Los, das durch die unfassbare Fangewalt gegen einen FC-Spieler, Kevin Pezzoni, […]
Es hilft alles nichts, ich muss diesen Blog mit einem Bekenntnis beginnen: Ich bin doch gläubig. Ich glaube daran, dass Fußball die Welt besser machen kann.
Und ich bin, seit ich weiß, dass es Fußball gibt, Fan des 1.FC Köln. Weiß Gott kein leichtes Los, das durch die unfassbare Fangewalt gegen einen FC-Spieler, Kevin Pezzoni, jetzt einen neuen und sehr traurigen Höhepunkt erreicht hat.
Für alle Nichtfußballfans: Kevin Pezzoni ist ein hochsensibler Hüne, Abwehrspieler und für viele FC-Fans Sinnbild und Sündenbock der Dauerkrise des kölschen Clubs. Pezzoni wurde im Karneval von „Unbekannten“ die Nase gebrochen, üble Internethetze auf Fan-Foren folgte, die Verfolgung und Bedrohung ging bis vor seine Haustür. Am 31.August haben Spieler und Verein beschlossen, den Vertrag aufzulösen. Die Empörung über diese beispiellose Hetzjagd ist völlig zu Recht sehr groß. Was in Köln passiert ist, ist widerlich und kriminell. Ich schäme mich als FC-Fan zutiefst und frage mich, wieso ausgerechnet mein „Karnevalsverein“, der die ständigen Abstiege in Liga 2 seit Jahren wie ein weiteres Kölsch gelassen schluckt und von besseren Zeiten träumt, plötzlich zum Symbol für Fangewalt und Brutalität in deutschen Fußballstadien geworden ist.
Was läuft schief in Balldeutschland? So einiges.
Erstens: Es werden die falschen Schlüsse gezogen.
Fangewalt, gegen andere Fans, aber auch immer schon gegen einzelne Spieler, ist nicht neu. Sie ist kein Kölner Phänomen und keines von ostdeutschen Clubs wie Dresden, Erfurt oder Rostock, deren Anhängerschaft als besonders gewaltbereit gilt. Fangewalt gibt es leider seit Jahrzehnten, überall.
Dennoch behaupten Vereine nach Ausschreitungen immer wieder unisono, das seien „doch gar keine Fans“. Doch, genau das sind leider Fans. Und zwar im Wortsinne, fanatische Anhänger, für die der Verein alles ist und der Stadionbesuch Frustabbau und Wutregulator. Und es wird immer schlimmer.
Michael Gabriel und Volker Goll von der Koordinationstelle Fanprojekte (KOS), die pünktlich zur Pezzoni-Affäre ihren Jahresbericht vorgestellt haben, bestätigen das:
Es besteht ein allgemeines Problem mit Respekt. Die Hemmschwelle ist gesunken. Die Grenze von verbalen Beschimpfungen zu körperlichen Bedrohungen hat sich verschoben.
Zweitens: Es werden die Falschen bestraft
Bisher reagiert der Deutsche Fussball Bund (DFB) auf Fangewalt mit den immer gleichen und sinnlosen Kollektivstrafen. Entweder die Vereine bekommen saftige Geldstrafen oder es finden sogenannte Geisterspiele ohne oder nur mit wenigen Zuschauern statt. Die Botschaft: Weil man die Straftäter nicht ausfindig machen kann, werden einfach mal alle bestraft. Hilfloser und ungerechter geht nicht.
Bundesinnenminister Friedrich, der weder den Verfassungsschutz noch seine eigene Behörde im Griff hat und im politischen Berlin eh schon als prominentes SCHRAZ-Mitglied (SCHRAZ= Schlechteste Regierung aller Zeiten) gilt, geht noch weiter. Er träumt vom Überwachungsstaatsstadion mit viel Polizei und jederzeit identifizierbaren „gläsernen“ Fans auf nummerierten Sitzplätzen. Lars Tetzlaff, der Gründer des Kölner Fan-Clubs „Milde Horde“, die sich gezielt für Fankultur und gegen Fangewalt einsetzt, sagt dazu:
Wer glaubt, das weniger Chaos auf den Tribünen herrscht, weil die Menschen dann sitzen statt zu stehen, hat vielleicht noch nie ein Spiel live besucht. Auch mehr Polizeipräsenz kann für einige weniger abschreckend als provozierend wirken. Nur der ehrliche Dialog und Austausch mit allen Beteiligten kann die Lösung sein. Je mehr sich „mitgenommen“ und verstanden fühlen, desto weniger benehmen sich daneben.
Drittens: Wir brauchen mehr Respekt für Fans und Fan-Kultur.
Ohne Fans gäbe es keine Fußball-Bundesliga, keine Champions League, keine superreichen Vereine und keine 19jährigen Multimillionäre. Nach jeder Saison entrollen dann auch 11 der kickenden Multimillionäre artig ein Transparent im Stadion, auf dem dann so etwas steht wie „Ohne Euch hätten wir das nie erreicht.“ Stimmt. Ohne die Leidenschaft, die Treue und nicht zuletzt all das Geld, das Fans für Stadionbesuche, Trikots, Pay-TV und so weiter ausgeben, wäre selbst der FC Bayern ein Freizeitligaverein. Trotzdem werden Fans immer wieder kollektiv bestraft, wenn einige wenige kriminell sind und werden von Vereinen respektlos und von oben herab behandelt. Das steigert die Wut auch bei friedlichen Fans. Hannover 96-Präsident Martin Kind hat Fans gerade erst als „Arschlöcher“ beschimpft. Die Diskussion über die Abschaffung der Stehplatz-Kurve, DER Kult in jedem Stadion, zeigt, wie wenig die Verantwortlichen von Fankultur verstehen und wie egal es ihnen auch ist. Volker Goll von der KOS sagt:
Die Vereine müssen auf die Fans zugehen und so pflegen, wie sie das mit Sponsoren tun.
Und der taz Sportredakteur Andreas Rüttenauer stellt fest: „Es wird längst an einer Art Publikumstausch in den Stadien gearbeitet. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach benutzt ganz bewusst immer wieder das Wort Terror, wenn er über Fans spricht, und sieht längst das Ende der Stehplatzherrlichkeit in deutschen Stadien nahen.“
Viertens: Eine stinkreiche Bundesliga muss sich Fan-Arbeit leisten.
Von den Abermillionen, die Bundesliga-Vereine, DFB und DFL verdienen, wird nur ein Bruchteil in Fanarbeit investiert. In der ersten Bundesliga haben nur 14 von 18 Vereinen überhaupt eigene Fanprojekte, in der zweiten Liga sind es nur 12. Die meisten Fanprojekte bestehen dann aus einer einzigen Planstelle, also ein Fanbeauftragter, der sich um zehntausende Fans allein kümmern soll.
Immerhin gibt es eine Höchstfördersumme des Deutschen Fußball Bundes (DFB) für Fanprojekte von 60.000 Euro jährlich, aber die wird nur ausgezahlt, wenn Land und Kommune jeweils 60.000 dazu schießen, was gerade Städte in strukturschwachen Regionen wegen hoher Schulden verweigern, also genau da, wo Fanarbeit besonders nötig wäre.
2010 wurden für Fanprojekte 5,9 Mio. bereitgestellt. Wenn man diese Summe ins Verhältnis zu den Vereinen setzt, die in der ersten Runde des DFB-Pokals spielen, also die besserverdienenden Clubs der ersten vier Ligen, bleibt pro Verein eine Summe von 92.187,50 übrig. Angesichts der Tatsache, dass allein der Spieleretat des FC Bayern München 100 Millionen übersteigt und auch ein Drittligist wie Hansa Rostock jedes Jahr 10 Millionen ausgibt, ist das eine lächerliche Summe.
Fünftens: Auch die friedlichen Fans sind gefordert.
Ein Stadion ist ein überschaubarer Raum und Fangewalt, besonders in den Stehkurven, geschieht nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die friedlichen Fans bekommen mit, was neben ihnen geschieht. Und sie sind in der Mehrheit. Lars Tetzlaff von der „Milden Horde“ meint:
Ganz wichtig ist natürlich, dass sich die „friedlichen“ Fans auch Gehör verschaffen und so eine Bewegung in Gang setzen, die Gewalt jeder Art verabscheut – in und außerhalb des Stadions.
Richtig. Kultur, auch Fankultur, ist keine Einbahnstraße.
Fazit:
Vereine und DFB müssen ihre Fans mehr respektieren und die sehr engagierte Fanarbeit von KOS und Co., die seit Jahren betrieben wird, endlich auch finanziell und nicht nur verbal mehr schätzen. Vereine und DFB müssen mit Fans reden statt über sie. Und die große Mehrheit friedlicher Fans muss die eigene Verantwortung ernster nehmen.
Thomas Beckmann, Leiter des Fanprojekts Mainz und einer der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte, sagt über die Vorbildfunktion guter Fanprojekte:
Durch das Medium Fußball haben wir auch Zugang zu einer sogenannten problematischen Klientel, also jungen Menschen, die durch andere Einrichtungen oft nicht mehr erreichbar sind.
Und damit bin ich wieder bei meinem Bekenntnis vom Anfang. In nur 90 Minuten schafft der Fußball nämlich etwas Einzigartiges. Er berührt die komplette Klaviatur unserer Gefühle, vom Leid über Angst und Trauer bis zu unbändiger Freude und maßloser Enttäuschung und Tränen. Mit Aristoteles gesprochen sind die Emotionen im Fußballstadion die moderne Form der Katharsis: der Reinigung der Gefühle. Die Liebe des Fans zum eigenen Verein ist die einzige, die garantiert ein Leben lang hält.
Und mit Liebe geht einiges.
Fußball kann die Welt besser machen. Ich glaube fest daran.
Ein Blog von Christian Stahl, in Kooperation mit CARTA