Die Brandkatastrophe in Baden-Württemberg
Es ist wieder da, dieses mulmig-ekelhafte Gefühl: Bitte lass es keine Neonazis gewesen sein! Immer wieder, wenn ich Bilder eines Hauses sehe, in dem das Feuer erbarmungslos wütete und Menschen verschlang, die zudem einen Migrationshintergrund besaßen, bettel’ ich darum. Mitgefühl und Beileid werden von diesem Gedanken kontaminiert. Eine furchtbare Tragödie. Mein Beileid gilt den Angehörigen: Acht […]
Es ist wieder da, dieses mulmig-ekelhafte Gefühl: Bitte lass es keine Neonazis gewesen sein! Immer wieder, wenn ich Bilder eines Hauses sehe, in dem das Feuer erbarmungslos wütete und Menschen verschlang, die zudem einen Migrationshintergrund besaßen, bettel’ ich darum.
Mitgefühl und Beileid werden von diesem Gedanken kontaminiert.
Eine furchtbare Tragödie. Mein Beileid gilt den Angehörigen: Acht Menschen sind bei dem Brand im schwäbischen Backnang gestorben – verbrannt oder erstickt. Eine 40-jährige Mutter und sieben ihrer Kinder, das jüngste wenige Monate alt. Alle mit türkischem Background.Vielleicht war es ein tragischer Unfall, vielleicht aber eben auch nicht. Und wenn nicht, wer kann es gewesen sein? Möglicherweise irgendwelche hirnamputierten Jugendlichen, die Spaß am Zündeln haben, vielleicht eine nicht richtig ausgetretene Zigarette oder ein irrer Pyromane – in der Region soll es eine Reihe von Brandstiftungen gegeben haben. Vielleicht aber eben auch jene Leute, deren Taten ganze Aktenberge anhäufen, die seit Jahren von verwilderten Schreddern in so mancher Sicherheitsbehörde verschlungen werden. Das Schwarze Loch der Inneren Sicherheit. Es scheint ein braunes zu sein. Und es verursacht Vorurteile nicht nur bei mir.
Heute wurde mir während eines Gesprächs mit einem Freund klar, wie selbstverständlich dieses mulmig-ekelhafte Gefühl für mich geworden ist. Genauso selbstverständlich wie man bestimmte Regionen in Deutschland meidet. Es ist ganz normal. Das muss man sich mal wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Es. Ist. Ganz. Normal.
Selbst wenn sich in den nächsten Tagen herausstellen sollte, dass es der Holzofen war oder die Stromleitungen, wird dieses Mulmig-Ekelhafte bleiben. Ein Gefühl von tiefem Misstrauen. Wird uns die Wahrheit mitgeteilt? Werden die Ermittlungen auch wirklich sorgfältig durchgeführt? Wer kontrolliert die, die für die Kontrolle der Ermittlungen zuständig sind?
Die Fakten der Vergangenheit führen zum spekulativen Kapriolenschlag in der Gegenwart. Trotz eines hervorragend arbeitenden Bundestagsuntersuchungsausschusses. Oder vielleicht auch gerade deshalb.
Man kann sich nicht dagegen wehren. Dieses Gefühl taucht bei ähnlich schrecklichen Meldungen schneller auf, als es einem lieb ist. Die Assoziationen sind einfach da. Die meisten Male verdrängt man sie irgendwie. Aber manchmal bleiben sie hängen. Erst recht in Zeiten des Schredder-Fetischs.
Gerade erst jährte sich der Brandanschlag von Mölln zum zwanzigsten Mal, der von Solingen wird im Mai zwei Jahrzehnte zurückliegen. Der Prozess gegen den NSU beginnt in wenigen Wochen. Aktuell beweist der verantwortliche Richter, dass Fingerspitzengefühl nichts mit Sensibilität zu tun haben muss. Und letztes Jahr wurde mir klar, wenn Pannen in Serie gehen, dann nennt man es Sabotage!
Über meine Gefühlswelt zu schwadronieren, wird die Toten des Hausbrands nicht wieder lebendig machen und auch nichts zur Aufklärung beitragen. Sie steht aber exemplarisch für die sehr vieler Menschen in Deutschland. Unter ihnen sind auch etliche Deutsche ohne Bewegungshintergrund. Aber bei rassistisch motivierten Taten sehen sich vor allem diejenigen in der Gefahrenzone, die anders aussehen und anders heißen. Erst recht, seitdem die Ermittler der „SOKO Bosporus“ gezeigt haben, wie man sich mit Ansage ver-mitteln kann.
Ich treffe immer wieder auf Personen mit Bewegungsmelder im Hintergrund, die einem vorwerfen, man solle sich nicht so sehr darauf fokussieren, sich nicht hineinsteigern, keine Paranoia entwickeln. Spätestens nach dem dritten Bierchen stellt sich dann aber heraus, dass diese Aufforderungen vor allem ihnen selbst galten. Auch sie haben Angst. Aber auf Dauer ist es zugegebenermaßen einfach uncool und vor allem anstrengend, als migrantischer Hasenfuß durch die Gegend zu hoppeln. Deshalb wird eifrig verdrängt.
Vielleicht ist Angst auch das falsche Wort. Mittlerweile ist es Wut. Schmerzvolle Wut.
Man versucht sie zu ignorieren, aber sie ist ein Bumerang. Einer, der auf seinem Weg zurück stetig wächst.
Eines wurde mir heute aber klar: Nach Solingen stellte sich Frau Genç, Mutter, Großmutter und Tante der Opfer, wiederholt vor Kameras und sprach von Versöhnung. Nach den NSU-Morden und den jahrelangen falschen Verdächtigungen seitens der Ermittlungsbehörden sehnen sich die Angehörigen bis heute nach einer sorgfältigen und endgültigen Aufklärung der Taten. Keiner dieser Menschen hat zur Gewalt aufgerufen. Keiner spricht von Rache.
In den „sozialen Brennpunkten“, für manche ein Synonym für dichtes migrantisches Leben, blieb es bisher weitestgehend ruhig.
Sehen so ständig beklagte, angeblich massenhaft vorhandene, Integrationsdefizite aus? Fühlt sich so die von Frau Schröder thematisierte Deutschenfeindlichkeit an? Weit und breit keine Massenkrawalle und Aufrufe zum Dschihad gegen Neonazis, Rechtspopulisten und ihre Steigbügelhalter, außer von den üblichen Verdächtigen.
Bis zur berühmten letzten Patrone kämpfte das NSU-Trio. Und die gefährlichste Parallelgesellschaft scheint es in wichtigen Teilen der deutschen Sicherheitsbehörden zu geben. Ich hoffe nicht, dass wir eines Tages Angst vor unserer eigenen Wut bekommen werden. Denn sie macht blind! Lieber wäre es mir, meine persönliche Spekulationsblase könnte bald platzen.