Alter Krieg im neuen Myanmar
Mit Myanmar verbindet man im Westen vor allem die Demokratiebewegung unter der Führung von Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. In ihrem Schatten kämpfen ethnische Minderheiten für ein Myanmar, in dem ihre Rechte respektiert werden – oder die Loslösung von dem Staat. Seit den 1960er Jahren wird Myanmar, das damals noch Birma hieß, im Wesentlichen von […]
Mit Myanmar verbindet man im Westen vor allem die Demokratiebewegung unter der Führung von Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. In ihrem Schatten kämpfen ethnische Minderheiten für ein Myanmar, in dem ihre Rechte respektiert werden – oder die Loslösung von dem Staat.
Seit den 1960er Jahren wird Myanmar, das damals noch Birma hieß, im Wesentlichen von der Armee regiert. In den vergangenen Jahren hat diese sich zurückgezogen und eine kontrollierte Demokratisierung zugelassen. Die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi durfte nach ihrem Hausarrest wieder als Abgeordnete ins Parlament. Europa und die USA hoben viele der wirtschaftlichen Sanktionen auf. Seit 2011 gibt es einen zivilen Präsidenten.
Demokratisierung vor allem im Landeszentrum
Doch die Erfolgsgeschichte findet vor allem im Zentrum des Landes statt, nicht in der Peripherie. Fast ein Drittel der Bevölkerung gehört ethnischen Minderheiten an, die in den meist bergigen Grenzregionen wohnen. Dort kriselt es seit Jahrzehnten. Offiziell gibt es in Myanmar, das fast doppelt so groß ist wie Deutschland, sieben Minderheiten, die alle eine eigene Kultur und Sprache haben.
Während die anderen Minderheiten ihre Waffen weitestgehend niedergelegt haben, kämpfen die Kachin noch mit Gewalt für ihre Rechte. Sie leben in einem eigenen Staat im Norden des Landes, der wie eine Spitze nach China hineinragt. Anders als die buddhistische Mehrheit sind die Kachin größtenteils Christen und schreiben ihre Sprache mit lateinischen Buchstaben. Insgesamt gibt es etwa eine Million Kachin, von denen bisher 100.000 wegen des Krieges gegen die Regierung ihre Heimatdörfer verlassen mussten.
Kämpfende Minderheit: Die Kachin
Um den Konflikt der Kachin gegen die Zentralregierung zu verstehen, muss man bis zur Gründung Myanmars im Jahre 1948 zurückgehen. Das Land war wie Indien eine britische Kolonie und hat auch seine heutigen Grenzen der Kolonialherrschaft zu verdanken. Vor der Kolonialisierung wäre niemand auf die Idee gekommen, die Region mit ihren wechselnden Machtzentren und verschiedenen Kulturen als Einheit zu bezeichnen.
Die Unabhängigkeit Myanmars sah eigentlich vielversprechend aus: General Aung San, Vater von Aung San Suu Kyi, unterzeichnete gemeinsam mit Vertretern mehrerer Minderheiten 1947 das Panglong-Abkommen, das den ethnischen Minderheiten innerhalb ihrer eigenen Staaten Selbstbestimmung zusicherte. „Die Kachin waren schon unter den Briten nicht glücklich, sich zwangsweise in diesem Verbund wiederzufinden”, erklärt ein unabhängiger Beobachter aus Deutschland, der hier nicht mit seinem Namen genannt werden möchte. „Sie haben der Unabhängigkeit nur zugestimmt, weil ihnen eine regionale Autonomie zugesichert worden war.”
Die Realität sah jedoch anders aus. General Aung San wurde kurz nach dem Panglong-Beschluss ermordet. Anstatt der versprochenen Selbstbestimmung bekamen die ethnischen Minderheiten Fremdbestimmung von der Hauptstadt Rangun aus. Als Reaktion begann in den 1960er Jahren ein bewaffneter Widerstand, woraufhin das Militär 1962 die Kontrolle im Land übernahm, um es davor zu bewahren, auseinanderzubrechen. „Man muss sich vor Augen halten, dass Myanmar nie eine geeinte Nation war. Die Armee sah und sieht sich als den einzigen Faktor, der das Land zusammenhalten kann”, erläutert der Beobachter aus Deutschland.
Föderalismus oder Unabhängigkeit?
Auch fast siebzig Jahre später beziehen sich die Kachin und andere ethnische Minderheiten bei ihrem Widerstand auf das Panglong-Abkommen. „Es geht uns doch nur darum, zu bekommen, was uns versprochen wurde”, sagt Lucas, ein Jugendaktivist der Kachin. In der Vergangenheit hat er selbst mit der KIO zusammengearbeitet, der Kachin Independence Organisation, die einen großen Teil des „Kachinstaates” kontrolliert.
Denn die Kachin haben bereits ihren eigenen Staat im Norden Myanmars, mit einer langen Grenze zu China und vielen wertvollen Ressourcen. Viele der ethnischen Minderheiten leben relativ konzentriert in Gegenden, die bereits unter den Briten zu einer anderen administrativen Einheit als das von Barma dominierte Herzland gehörten.
Während die Staaten der anderen großen Minderheiten wegen diverser Waffenstillstände weitestgehend wieder unter der Kontrolle der Armee sind, hat diese es nie geschafft, ihre Kontrolle auch bis in den ganzen Kachinstaat zu erstrecken. Stattdessen hat die KIO eine eigene Regierung aufgebaut und organisiert unter anderem ein Schulsystem, das laut Lucas in naher Zukunft um Universitäten erweitert werden soll.
Momentan ist das offizielle Ziel der KIO ein föderales System, in dem die Kachin Teil von Myanmar bleiben. Das war nicht immer so: Gerade zu Beginn des bewaffneten Aufstands kämpften die Kachin offen für die Unabhängigkeit, gaben diese Forderung jedoch bereis 1975 auf. Lucas hat das Gefühl, dass sich dafür mittlerweile immer mehr Zivilisten für eine Unabhängigkeit aussprechen, um dem Krieg und der Diskriminierung zu entkommen.
Der Druck wächst
Nach jahrzehntelangen Kämpfen und einem Waffenstillstandsabkommen, das die birmanische Armee 2011 brach, ist das Misstrauen zwischen den beiden Parteien groß. Doch auch der Druck wächst: International, weil sich Akteure wie die USA und China bewusst sind, dass eine wirkliche Erfolgsgeschichte keinen Bürgerkrieg beinhaltet; in Myanmar selbst, weil die Regierung 2015 Wahlen durchführen möchte – wie aber sollen diese Wahlen anerkannt werden, wenn ein Teil des Landes nicht einmal von der Regierung kontrolliert wird?
Die Zentralregierung strebt deswegen einen landesweiten Waffenstillstand mit allen Rebellengruppen an. Mit der politischen Frage, wer wann irgendetwas selbst bestimmen darf, will sie sich erst danach auseinandersetzen.
Doch die Kachin wollen die Waffen nur unter einer Bedingung niederlegen. Die Regierung soll versprechen, die lokale Selbstverwaltung zuzulassen. Lucas erklärt seine Zweifel: „Die Regierung will nur einen Waffenstillstand. Aber woher sollen wir wissen, wie es danach weitergehen wird, wenn sie sich jetzt vor festen Zusagen drückt?”
Wenn es zu einer friedlichen Lösung kommen soll, werden letztendlich beide Seiten Zugeständnisse machen müssen. Ansonsten wird sich die jahrzehntelange Krise fortsetzen. Immerhin hat Myanmar damit, im Gegensatz zu der Verwaltung eines geeinten Staates, schon Erfahrung.
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