Schranke zu, Leser weg?
Auch Online-Journalismus will finanziert werden. Deshalb experimentieren Verlage derzeit mit verschiedenen Bezahlmodellen. Doch nicht jedes ist für die öffentlichen Aufgaben von Medien geeignet.
Ende März dieses Jahres stellte die Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung als erstes Leitmedium ihr Angebot auf eine Form von Paid Content (englisch für Bezahlinhalte) um. Seitdem können Nutzer der Seite nur noch maximal zehn Artikel pro Monat kostenlos lesen. Wer mehr möchte, muss den sogenannten Tagespass, der für 24 Stunden alle gewünschten Inhalte freigibt, oder ein Jahresabo kaufen – oder eben woanders lesen.
Letzteres dürfte zumindest für Leser mit der oft zitierten Gratis-Mentalität in Zukunft zum Problem werden. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) listet mittlerweile 106 journalistische Titel, die zur Finanzierung im Netz auf Bezahlmodelle mit Paid Content setzen.
Anfang 2014 waren es lediglich 60 Zeitungen. Gemessen an der Gesamtanzahl von Web-Präsenzen deutscher Blätter – 659 – ist das wenig. Doch die anhand der Nutzungsdaten der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) festgelegten Top 50 der Zeitungswebsites mit der größten Online-Reichweite bestehen bereits zur Hälfte aus Anbietern von Bezahlinhalten. Dabei zählen die Netz-Auftritte von Magazinen wie Spiegel und Stern nicht in dieses Ranking.
Die allgemeine Marschrichtung für die deutsche Online-Medienlandschaft scheint damit klar vorgegeben. Wie diese für jede einzelne Zeitung konkret aussehen soll und ob sie Erfolg hat, ist allerdings unklar.
Trial and error als Lösungsansatz
Selbst bei der Süddeutschen Zeitung ist man sich nicht gewiss, wie Bezahlinhalte umgesetzt werden können. „Niemand kann diese Frage beantworten, bevor man sich an Abo-Modellen versucht hat. Deshalb schrecken so viele davor zurück. Trial and error ist noch unbeliebt. Dabei ist es hier wohl der beste Lösungsansatz“, schreibt Online-Chefredakteur Stefan Plöchinger auf seinem tumblr-Blog.
Grob können vier Varianten von journalistischen Bezahlinhalten unterschieden werden. Seiten, die eine sogenannte harte Bezahlschranke verwenden, sind ausschließlich für zahlende Abonnenten zugänglich. Für alle anderen bleiben sämtliche Inhalte verschlossen. In Deutschland praktizieren diese Bezahlmethode beispielsweise die Braunschweiger Zeitung und die Rhein-Zeitung.
Deutlich häufiger kommen Modelle zum Einsatz, die nicht zahlenden Lesern eine eingeschränkte Nutzung gestatten. Beim „Metered Model“ können Besucher einer Webseite eine festgelegte Anzahl an Beiträgen innerhalb eines bestimmten Zeitraums einsehen, ohne für diese bezahlen zu müssen. Ist das Gratis-Kontingent von meistens zehn bis 25 Artikeln pro Monat aufgebraucht, wird man beispielsweise zum Abschluss eines Abonnements aufgefordert.
Vorteile für Gelegenheitsnutzer
Alternativ bleibt nur das Warten auf den nächsten Monat. Vorteilhaft für Leser ist bei diesem Modell, dass man in fremde Titel reinschnuppern kann, um sich von deren Qualität zu überzeugen. Gelegenheitsleser, die zum Beispiel über eine Suchmaschine auf die Seite gelangen, werden in ihrem Konsumverhalten nicht beeinträchtigt. Neben der Süddeutschen Zeitung setzen unter anderem auch Die Welt und die Freie Presse auf diese Variante.
Ähnlich wie beim „Metered Model“ ist auch bei „Freemium“ (Portmanteauwort aus „free“ und „premium“) ein Teil der Inhalte kostenlos einsehbar. Dieser kann jedoch beliebig oft genutzt werden. Die nur gegen Bezahlung zugänglichen Bereiche enthalten für gewöhnlich besonders exklusive Beiträge. Der Preis rechtfertigt sich somit über die Verfügbarkeit der bereitgestellten Informationen. „Freemium“-Inhalte findet man bei der Bild, dem Handelsblatt und der Märkischen Allgemeinen.
„Man kann auch ein Metered Model mit Freemium kombinieren, und man kann die Logik des permanenten Justierens in viele Stellschrauben eines Paid-Content-Modells hineinübertragen. Wir werden genau das tun. Wir wissen natürlich nicht, wie viel Erfolg wir mit unserem Abo-Modell haben werden – aber wir wissen wenigstens, dass wir bei Fehlern schnell reagieren können”, so SZ-Onlinechef Stefan Plöchinger in seinem Blog-Beitrag.
Die Masse macht’s
Eine Sonderrolle nimmt bislang die taz ein. Als einzige Zeitung lässt sie ihren Nutzern die Wahl, ob sie für das bereitgestellte Angebot bezahlen wollen, und wenn ja, wie viel. Sie orientiert sich damit am „Micropayment“-System, das insbesondere von Bloggern und Betreibern von Podcasts benutzt wird. Die Idee dahinter: Wenn viele Menschen die Arbeit anderer mit Kleinstbeträgen honorieren, reichen diese in der Masse zur Finanzierung aus. Für die taz hat die Wahl des Modells aber auch ideologische Gründe.
„Unser freiwilliges Online-Bezahlmodell ist keine Notlösung, sondern die logische Konsequenz eines politischen Grundgedanken, wenn man von Grenzen und Barrieren nicht viel hält. Besonders dann nicht, wenn sie Menschen von etwas ausschließen, was eigentlich für alle zugänglich sein könnte. Was wir im Großen kritisieren, darf im Kleinen nicht übersehen werden. Für uns zählen dazu auch Schranken im Netz“, heißt es im Hausblog der Tageszeitung.
Sollte der derzeitige Trend anhalten, könnten die Schranken im Netz eines Tages derart ausgeprägt sein, dass verstärkt Blogs und öffentlich-rechtliche Angebote für die freie Meinungsbildung unabhängig vom Geldbeutel verantwortlich sind. Wünschenswert wären daher zwei vorerst illusorische Dinge: Ein Umdenken bei den Nutzern, dass hochwertiger Online-Journalismus einen Wert hat, und eine Verzichtserklärung der Medienmacher, die Möglichkeiten des Internets nicht durch exklusive Informationen und Zugangsbeschränkungen zu limitieren.