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Alle Vögel sind nicht mehr da

Von May Niederhausen / 5. Februar 2025
picture alliance / imageBROKER | Alfred & Annaliese Trunk

Der Frühling ist ohne Vogelgesang kaum vorstellbar, doch genau das wird langsam Realität. Ein Verlust für Planet, Natur, Herz und Psyche.

Immer im Frühjahr steht Bernie Krause an derselben Stelle im Sugarloaf Ridge State Park in Kalifornien. Der Klang-Forscher kommt hierher, um die Geräusche der Natur aufzunehmen, jedes Jahr auf’s Neue – seit dreißig Jahren. Doch als er im April 2023 seine Aufnahme abhörte, erschrak er: Es war still. Eine ganze Stunde ohne Bewegung, ohne Vogelgesang.

Die Natur verstummt

Krauses Archiv an Aufnahmen zeigt, wie der Wald Stück für Stück der Stille verfällt. Keine Vögel singen und balzen, keine Tiere rascheln im Unterholz. Und was in Kalifornien passiert, passiert überall: Die Natur verstummt. Klangaufnahmen sind mittlerweile ein wichtiges Werkzeug, um die Dichte und Vielfalt der Arten in einem bestimmten Raum zu messen. Bernie Krause ist führend auf diesem Gebiet, seit 40 Jahren hält der 86-jährige US-Amerikaner überall auf der Welt natürliche Klangkulissen fest. Gleichzeitig dienen die Aufnahmen als Archiv der Töne und Klänge, denn sie halten oft Geräuschmuster fest, die mittlerweile nicht mehr zu hören sind. Doch während die Technologie voranschreitet, geht die Materialmenge zurück. Der Verlust des Vogelgesangs ist bezeichnend für den Rückgang der Artenvielfalt. Über die letzten 50 Jahre hat die Erde 69 Prozent ihrer Tierwelt verloren, und das ist hörbar.

Durch Klangaufnahmen wird messbar, das zeigen Studien aus Europa und Nordamerika, dass Vogelgesang weniger dicht wird und weniger divers. Der Kiebitz in den Mooren und die Feldlerche auf den Ackern beispielsweise haben beide ein vielfältiges Gesangsrepertoire, wohingegen die weitverbreitete Ringeltaube nur ein einziges Lied kennt. So wird das Zwitschern monotoner. Die Klimakrise führt dazu, dass die komplexen Systeme bestimmter Lebensräume aus den Fugen geraten, mit der Folge, dass die gezielt angepassten Vogelarten einen Nachteil gegenüber allgemein angepassten Arten haben. Weltweit ist der Hauptgrund für den Verlust an Lebensräumen die Agrarwirtschaft. Auch ein wärmeres Klima, Verschmutzung, invasive Arten, alles führt zu weniger Vogelgesang. Zudem schrumpft die Zahl an Insekten in Europa merklich, eine wichtige Futterquelle für viele Arten. An einigen Orten kommen auch natürliche Katastrophen wie Waldbrände dazu, wie in Bernie Krauses Heimat Kalifornien, wo es gerade erst wieder zu verheerenden Bränden kam.

Ein Verlust, der auf die Psyche schlägt

Der Rückgang des Vogelgesanges wird bisher aber nur wenig wahrgenommen. Menschen, die in den Städten wohnen, fehlt oft der Kontakt mit der Natur, wobei der Rückgang in Vogelpopulationen sich auch in urbanen Gegenden niederschlägt. Viele Menschen nehmen Vogelgesang  außerdem nur als unbestimmtes Rauschen im Hintergrund wahr. Ein weiteres Problem: Wer einzelne Gesänge nicht zuordnen kann, kann wohl kaum bemerken, dass dieses Jahr weniger vom Wiedehopf und Auerhuhn zu hören war, da beide in Deutschland vom Aussterben bedroht sind. Wenn Menschen von diesem Problem aber nicht wissen, setzen sie sich nicht für die Erhaltung ein. Der Rückgang vollzieht sich still.

Doch dieser Verlust ist nicht nur traurig, er kann auch einen Einfluss auf die menschliche Psyche haben. Die Wissenschaft ist sich einig, dass die Begegnung mit der natürlichen Welt zum Beispiel durch das Hören von Singvögeln Körper und Geist stärkt. Gezwitscher an einem schönen Frühlingsmorgen macht glücklich. Das ist wissenschaftlich belegt: In den letzten Jahren gab es mehrere Studien dazu, zum Bespiel am King‘s College London, wo Verbindungen zwischen Vogelgesang mit positiven Gefühlen und Entspannung nachgewiesen wurden. Dieser Effekt lässt sich sowohl bei gesunden Menschen feststellen als auch bei denen mit Depressionen.

Eine Studie des Max-Planck-Institut in Berlin zeigt außerdem, dass Vogelgesang paranoide Gedanken und emotionalen Stress mindern. Dazu wurden Teilnehmende vor und nach dem Hören von Vogelgeräuschen befragt. Als Gegenargument wurde festgestellt, dass die Verkehrsgeräusche auf den Gemütszustand einen negativen Effekt haben. Forschung in diese Richtung ist aussichtsreich und zeigt, dass die Klimakrise sich auch aus psychologischer Sicht schwer niederschlägt.

Schutzgebiete sind die letzte Hoffnung

Vogelgesang kann uns also emotional und psychologisch guttun. Doch diese Möglichkeit schwindet durch die Klimakrise. Ein riesiger und weitreichender Verlust.

Doch es ist noch nicht alles verloren. Die Entwicklung könnte gestoppt werden, indem man Bedingungen herstellt, in denen Artenvielfalt gedeihen kann. So wie in Wellington, Aotearoa, Neuseeland, wo Vögel in einem eigens angelegten Schutzgebiet sicher vor Fressfeinden und Lebensraumverlust sind. Zwischen 2011 und 2023 ist die durchschnittliche Zahl heimischer Vögeln in den Reservaten und Pärken der Stadt um 41 Prozent gestiegen. Also gibt es Hoffnung. Hoffnung, die wie immer, wenn es um die Klimakrise geht, täglich schwindet. Vor allem, wenn die Nachricht, dass die Erderwärmung 2024 zum ersten Mal die symbolische 1,5 Grad-Grenze überschritten hat, noch frisch in den Köpfen sitzt. 

Wie schrecklich trist wäre es, eines Tages aufzuwachen und feststellen zu müssen, dass die Natur ganz verstummt ist? Noch ist es nicht zu spät.

(Text: May Niederhausen)

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