Alzheimer: Wenn das Gehirn zum Sieb wird
Spielen, Kuchen essen und alte Geschichten erzählen: Großeltern sind etwas Tolles. Aber wenn sie an Alzheimer erkranken, ist der Alltag plötzlich voller Probleme. So wie bei Opa Sepp. Max, fünf Jahre, erzählt trocken von den Abwegen seines Großvaters. „Opa Sepp wird manchmal von der Polizei zurückgebracht, weil er Spaziergänge macht und dann vergisst, wo er […]
Spielen, Kuchen essen und alte Geschichten erzählen: Großeltern sind etwas Tolles. Aber wenn sie an Alzheimer erkranken, ist der Alltag plötzlich voller Probleme. So wie bei Opa Sepp.
Max, fünf Jahre, erzählt trocken von den Abwegen seines Großvaters. „Opa Sepp wird manchmal von der Polizei zurückgebracht, weil er Spaziergänge macht und dann vergisst, wo er wohnt.“ Opa Sepp, 74 Jahre alt, hat Alzheimer.
Das Besondere an dieser Krankheit: Fast nur ältere Menschen bekommen sie. In ganz seltenen Fällen sind die Betroffenen jünger als 60 Jahre. Schätzungsweise 1,2 Millionen Menschen leiden in Deutschland an dieser Krankheit. Bis zum Jahr 2030 wird sich die Zahl, auch aufgrund der steigenden Lebenserwartung, auf 2,3 Millionen erhöhen.
„Durch Alzheimer sterben immer mehr Nervenzellen im Gehirn ab“, erklärt Bianca Broda von der Alzheimergesellschaft München. „Da unser Gehirn wirklich alles steuert – zum Beispiel Sprechen, Lesen, Bewegen – können die Betroffenen bald nicht mehr selbstständig leben. Sie vergessen schlichtweg zu essen und ihre Wohnung zu putzen.“
Die Alzheimer-Krankheit ist mit etwa zwei Drittel aller Fälle der häufigste Auslöser für Demenz (lateinisch „ohne Geist“ – vereinfacht gesagt: Verlernen des Denkens). Insgesamt sind mehr als 50 Demenzformen bekannt. „Zunächst haben die Erkrankten nur leichte Orientierungsstörungen, finden also bestimmte Dinge oder Wege nicht mehr. Aber je länger sie die Krankheit haben, desto schlimmer werden die Folgen“, so Broda.
„Am Ende vergessen die Erkrankten oft, wie man spricht oder sich bewegt.“ Der Alltag wird dann zum Hindernislauf. Was ist eine Zahnbürste? Wie benutzt man sie überhaupt?
Das Kurzzeitgedächtnis funktioniert nicht mehr
Menschen, die an Alzheimer erkranken, können noch einige Jahre mit der Krankheit leben. Im Schnitt sind es sieben. Bei Opa Sepp sind es bereits acht. Sein Kurzzeitgedächtnis funktioniert fast gar nicht mehr.
„Oft ist es so, dass mich jemand etwas fragt oder etwas zu mir sagt“, erzählt Opa Sepp. „Nach fünf Minuten habe ich das schon wieder vergessen. Es ist einfach weg.“ Auch alles, was in den vergangenen Stunden und Tagen passiert ist, weiß Opa Sepp nicht mehr. „Als ich gemerkt habe, dass er das, was an seinem 70. Geburtstag passiert ist, vergessen hat, tat mir das in der Seele weh“, sagt seine Frau Barbara. „Dabei war er an dem Tag so fröhlich, weil wirklich die ganze Familie und viele Freunde da waren. Ein tolles Fest.“
Das Langzeitgedächtnis ist bei Opa Sepp nicht so stark betroffen. Er kann wie andere Großeltern seinen Enkeln alte Geschichten erzählen. Am liebsten erzählt er die, wie er seine Frau kennen gelernt hat. „Das war in einem Bus in England. Wir waren beide zum Studieren dort“, sagt er. „Sie war das hübscheste Mädchen weit und breit, ich musste sie einfach ansprechen.“ Wenn Opa Sepp das erzählt, strahlen seine Augen. Er weiß noch jedes Detail von damals.
Jedes Jahr erkranken 200.000 Menschen in Deutschland an Alzheimer. Woher die Krankheit kommt, ist bis heute nicht klar. „Viele Forscher versuchen, den Grund zu finden. Sie wissen bis jetzt leider nur, was im Gehirn passiert, aber nicht, warum es passiert“, erklärt Broda. Ansteckend ist Alzheimer jedenfalls nicht.
Unter Menschen bleiben
So kann Opa Sepp getrost unter Leute und mit seinen Enkeln spielen. Der Umgang mit Anderen spielt eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der Krankheit, betont Broda. „Man kann die Krankheit zwar mit Medikamenten verlangsamen, aber heilen kann man sie nicht. Deshalb ist es ganz wichtig, dass die Betroffenen ihr Gehirn weiterhin anstrengen, dass sie sich nicht zurückziehen, sondern mitten im Leben bleiben.“ Erkrankte sollten versuchen, möglichst viel selbst zu erledigen.
Opa Sepp geht einmal pro Woche mit seiner Frau in den Garten. Er macht Spaziergänge und liest die Zeitung. Mit seinen Enkelkindern puzzelt er und macht Rätsel. „Manchmal bin ich dabei ganz schnell, zum Beispiel, wenn es ein ganz einfaches ist. Bei schwierigeren Puzzeln brauche ich schon länger“, erzählt er. „Meistens sagt dann eines der Enkelkinder: Opa, das musst du da rein tun und nicht da. Mit Hilfe geht es dann schnell.“
Opa Sepp lacht außerdem sehr viel. „Das macht er, seitdem er so viel vergisst: einfach lachen“, sagt seine Frau Barbara. „Mit dem Humor kann er viel überspielen. Zum Beispiel, wenn er einen Namen nicht mehr weiß und nochmal nachfragen muss.“
Es gibt aber auch viele Situationen, in denen Sepp nichts mehr überspielen kann. Wenn er zum Beispiel mal wieder alleine aus dem Haus geht, ohne Handy, ohne Schlüssel und ohne seine Frau.
Dabei hat er extra einen Zettel an die Tür gehängt, der ihn daran hindern soll, einfach so aus dem Haus zu gehen. „Den Zettel kann er doch eigentlich gar nicht übersehen, denke ich mir dann und werde auch manchmal wütend“, sagt Barbara. „Aber dann suche ich ihn einfach und hoffe, dass ihm nichts passiert ist. Ich mache mir große Sorgen um ihn.“
Opa Sepp ist das anscheinend nicht bewusst. „Ich habe nie Angst, wenn ich mich verlaufe“, erzählt er begeistert. „Ich finde immer jemanden, den ich fragen kann. Am liebsten mag ich es, wenn die Polizei mich nach Hause bringt. Ich sitz dann gemütlich bei denen hinten im Auto.“
Betroffene nicht alleine lassen
Opa Sepps Gedächtnislücken werden vermutlich noch größer werden. Das Gehirn wird zum Sieb: Immer mehr fällt heraus und kommt nicht wieder zurück. „Am schlimmsten für die Familien ist es oft, wenn die erkrankte Person sie nicht mehr erkennt oder die Namen vergisst“, sagt Broda.
„Bei meinem Mann ist es zum Glück noch nicht so weit“, sagt Barbara. „Ich habe aber schon Angst davor. Ich frage mich immer, wie das wird, wenn er nicht mehr weiß, dass ich die Frau bin, die er liebt.“ Aber gerade sei sie „einfach froh“ über jede Minute, die sie mit ihm verbringen dürfe. „Wir können ja noch eine Menge zusammen unternehmen.“
Wichtig sei, die Betroffenen nicht alleine zu lassen, rät Broda. „Sie wollen weiterhin zum Familienfest kommen. Es ist ihnen wichtig, dass sie weiterhin dabei sind, auch wenn sie das vielleicht nicht mehr immer sagen und zeigen können.“ Auch im Alltag brauchen die Betroffenen Unterstützung von der Familie und eventuell von außen.
Alzheimer als Chance
Bianca Broda besucht viele Patienten zu Hause und unternimmt sogar Reisen mit ihnen. Sie kennt auch positive Seiten der Krankheit. Broda erzählt von einem Betroffenen, für den Alzheimer eine neue Chance war.
„Der Mann hat nach der Diagnose angefangen, Theater zu spielen und zu malen. Das hätte er früher nie gemacht, weil es ihm zu peinlich war.“ Der Mann habe ihr gesagt, dass jetzt nichts Schlimmes mehr in seinem Leben passieren könne. „Er sagte: Das Allerschlimmste ist schon passiert, ich habe eine unheilbare Krankheit. Jetzt kann ich ganz mutig sein, weil mir egal ist, was die anderen denken.“
Ähnlich ist es bei Opa Sepp. Er hat feste Pläne für die Zukunft: „Ich möchte nochmal eine schöne Kajak-Fahrt machen, so wie früher“, sagt er. „Da brauch ich ja zum Glück keinen, der mir sagt, wo’s lang geht. Der Bach wird mich schon zum Ziel bringen.“
superwichtiger Beitrag zu eienm viel zu oft vernachlässigten Thema.