Arbeitnehmerschutz, global und digital
Von Vera Bunse Unser Bild von Arbeit ist immer noch überwiegend das eines festen Arbeitsplatzes in einem Unternehmen, zu dem man morgens fährt und von dem man abends heimkehrt. Verbunden mit diesem Arbeitsplatz sind teils blutig erstrittene Arbeitnehmerrechte und -pflichten wie die Sozialversicherungspflicht, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Vergütung von Überstunden und der Urlaubsanspruch. Mit der […]
Von Vera Bunse
Unser Bild von Arbeit ist immer noch überwiegend das eines festen Arbeitsplatzes in einem Unternehmen, zu dem man morgens fährt und von dem man abends heimkehrt. Verbunden mit diesem Arbeitsplatz sind teils blutig erstrittene Arbeitnehmerrechte und -pflichten wie die Sozialversicherungspflicht, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Vergütung von Überstunden und der Urlaubsanspruch. Mit der Globalisierung und der Digitalisierung ist dieses Bild ins Wanken geraten. Vor allem die Auswirkungen der Digitalisierung werden oft unterschätzt.
Der große Umbruch
Seit Beginn der digitalen Revolution in den 1970er Jahren hat sich die Arbeitswelt völlig verändert. Die Computer wurden immer kleiner, ihre Leistung immer höher. Mobilgeräte als Arbeitswerkzeug sind Normalität geworden: Immer mehr Menschen verdienen ihr Geld an einem mobilen Arbeitsplatz oder Heimarbeitsplatz. Die Digitalisierung schuf allein im Jahr 2012 rund 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze in Deutschland. Die Kontrolle der Arbeitszeiten wird nicht mehr Stechuhren überlassen, stattdessen verfolgen Trackingprogramme, wann der Arbeitnehmer eine Aufgabe erledigt.
„Arbeit wird virtueller, Arbeit wird flexibler, Arbeit und Privates rücken stärker zusammen“, sagt Dieter Kempf, Präsident des IT-Branchenverbandes BITKOM. Anlässlich der diesjährigen IT-Messe CeBit sammelten die Veranstalter Meinungen über den digitalen „Arbeitsplatz der Zukunft“. Nicht alle fallen positiv aus. Vielen „digitalen Arbeitern“ fehlt der Kontakt mit den Arbeitskollegen. Der Soziologe Till Westermayer schreibt in seinem Blog: „Kaffeeküchenbegegnungen, Sitzungspausen und dergleichen mehr tragen nicht nur zur Aktualisierung organisationseigener Wissensbestände und zum Erleben sozialer Identität bei, sondern eröffnen auch die Chance für »serendipity« – ungeplante, aber letztlich innovative Verknüpfungen.“
Der Gesetzgeber hinkt der Entwicklung hinterher
Vor allem mittelständische Unternehmen haben die digitalen Arbeitsmöglichkeiten trotz des hohen Produktivitäts- und Wachstumspotenzials in den vergangenen Jahren noch recht konservativ eingesetzt. Entsprechend gering ist der Druck auf die Regierung gewesen, bessere Voraussetzungen für Digitalarbeit zu schaffen – dabei ist diese auf dem Vormarsch. Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ist bereits ein Drittel der Arbeitnehmer in Deutschland mobil unterwegs. Neben der Aushöhlung des Arbeitsrechts durch die Globalisierung und die mit ihr einhergehende geringere Macht der Gewerkschaften und höhere Macht der Unternehmen, ist die Digitalisierung eine Gefahr für die Einhaltung der Arbeitnehmerrechte.
Diese Entwicklung ist an der Sozialgesetzgebung seit Einführung der Agenda 2010 abzulesen. Durch die Förderung und Ausweitung von Leiharbeit und Werkverträgen nehmen gerade in Berufen, die für technologische Innovationen offen sind, unsichere oder sogar prekäre Arbeitsverhältnisse zu. Hochqualifizierte Berufstätige wie Kultur- und Kreativschaffende, Journalisten, kleine Gewerbetreibende wie Softwareentwickler oder Webdesigner, um nur ein paar zu nennen, stehen beim Thema soziale Sicherheit ganz hinten.
Neue Arbeitsbedingungen
Digitalisierung bedeutet auch: Jeder kann von überall auf der Welt aus mit jedem zusammenarbeiten. Neue Arbeitsformen werden möglich. Arbeitsprozesse ändern sich, weil orts- und zeitunabhängig gearbeitet werden kann. Wie die Arbeitsbedingungen in dieser digitalisierten Welt aussehen sollen, ist jedoch recht unklar.
Über die Gestaltung der Arbeitsbedingungen heißt es in der Digitalstudie der Bundesregierung: „[…] stellt der Einsatz des Internets und seiner Dienste einerseits hohe Anforderungen an Datenschutz und die Sicherheit arbeitsrelevanter Daten und Dienste; andererseits entsprechen die gewählten Arbeitsplätze zu Hause oder auch unterwegs nicht unbedingt den ergonomischen oder sicherheitsbezogenen Kriterien, die im Unternehmen angesetzt werden.“ Von der Übernahme einer Fürsorgepflicht durch entsprechende Gesetzgebung ist nicht die Rede. Viele Bereiche der digitalen Arbeit liegen noch in einem weitgehend rechtsfreien Raum.
Auch die Ausnutzung digitaler Möglichkeiten zur Verhaltens- und Leistungskontrolle ist noch nicht hinreichend durch das Arbeitsrecht begrenzt worden. Die Rolle der Gewerkschaften bei der Neugestaltung des Arbeitsrechts in der digitalisierten, globalisierten Welt ist unklar.
Lothar Schröder, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft ver.di, sagt: „Ich glaube, dass man sich der Leidenschaft der Menschen stellen muss, die Autonomie zu nutzen, heute hier und morgen dort zu arbeiten. Es muss nur Grenzen für die Länge und die Dichte der Arbeit geben.“ Der Handlungsbedarf zumindest scheint erkannt zu sein.