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Silvia Neumann* (57) lebt auf dem Land, liebt ihren Garten und ihre Tiere. Weil sie nicht gerne alleine wohnt und Hilfe im Haushalt benötigt, lässt sie im Rahmen des Projektes „Wohnen für Hilfe“ die Doktorandin Melanie Etzold* vergünstigt bei sich wohnen, die ihr im Alltag zur Hand geht.
Wenn die Theologie-Doktorandin Melanie Etzold an ihrem Schreibtisch sitzt, sieht sie sattes Grün. Sie schaut auf einen großen Garten, durch den ihre Katze stromert, auf eine Bank unter einer Weide, an der eine Leiter lehnt, und auf ihr Schildkrötengehege. Die Zimmerwand neben ihrem Computer ziert eine sechs Meter lange Bücherwand gefüllt mit religionswissenschaftlicher Fachliteratur. Die jüngeren Bücher gehören ihr, die älteren ihrer Mitbewohnerin Silvia Neumann.
Etzold wohnt mit Silvia Neumann in einem Göttinger Vorort in einer Mehrgenerationen-WG. „Wohnen für Hilfe“ heißt das deutschlandweite Projekt, an dem sie seit dem Wintersemester 2014/2015 teilnehmen. Das Prinzip des Projekts: Statt die übliche Miete für den Wohnraum zu zahlen, helfen die Mieter ihren Vermietern im Alltag.
Das Projekt richtet sich an ältere Leute, die Hilfe benötigen, sowie an junge Familien und Alleinerziehende. In rund dreißig Städten in Deutschland bieten unterschiedliche Träger das Projekt an. In Göttingen sind es das Studentenwerk und die Freie Altenarbeit, die im vergangenen halben Jahr acht Wohnpartnerschaften vermittelt haben. Als Faustregel gilt: Pro Quadratmeter Wohnraum leistet der Mieter eine Stunde Arbeit im Monat. Melanie Etzold zahlt so nur 200 Euro Miete für 35 Quadratmeter.
Ruhe und Platz bedeuten Lebensqualität
In ihrer letzten WG war Etzold unzufrieden und hat darüber nachgedacht, wie sie wohnen will, und wie sie jemanden findet, der sich verlässlich um ihre Tiere kümmert, wenn sie selbst nicht da ist. 25-Quadratmeter-Wohnungen an lärmenden Straßen sind ihr ein Graus. Bei Silvia Neumann hat Melanie Etzold Platz, den Wald vor der Tür und die Ruhe zum Schreiben ihrer Doktorarbeit. „Das bedeutet für mich Lebensqualität und auch ein Stück weit Luxus“, sagt sie.
Wie eine ganz normale WG
„Wir sind eigentlich eine ganze normale WG. Wir teilen uns Bad und Küche und jeder hat sein Fach im Kühlschrank, nur dass Silvia mir öfter mal Dinge sagt, die erledigt werden müssen“, erklärt Etzold. Für Neumann war es selbstverständlich, dass Melanie Etzold mit ihrer Katze und ihren beiden Schildkröten einziehen konnte. „Wir leben hier mit drei weiteren Katzen und unserem Golden Retriever Bolle. Ich habe noch nie gern allein gelebt – es ist doch schön, wenn etwas los ist im Haus“, sagt Neumann.
Die alleinstehende Frau war durch einen Artikel in der Lokalzeitung auf das Projekt aufmerksam geworden. „Als ich davon las, habe ich sofort beim Studentenwerk und der Freien Altenarbeit angerufen und einen detaillierten Fragebogen mit meinen Erwartungen ausgefüllt“, erzählt sie.
Voneinander lernen
„Wohnen für Hilfe“ ist für beide eine tolle Idee zur Ressourcenumverteilung. „Was ist es schon für ein Aufwand für mich, mal ein Paket für Silvia zu holen?“, sagt Melanie Etzold. Silvia Neumann berichtet: „Ich bin jemand, der sehr gerne umräumt oder neue Bilder aufhängt.“ Etzold unterbricht: „Genau, dann heißt es immer: Melanie, kannst du mal kurz kommen?“
Seit sie im April eingezogen ist, führt sie eine Liste über ihre Tätigkeiten. Wenn ihre Mitbewohnerin verreisen muss, kümmert Etzold sich um die Tiere, den Haushalt oder hilft der gelernten Gärtnerin im Garten. „Ich habe schon ein Beet angelegt und die Pumpe im Teich repariert“, sagt Etzold. „Ich sehe das nicht so streng mit der genauen Stundenzahl, es geht doch auch viel um das Miteinander“, sagt Silvia Neumann.
Neben der Arbeit lernt Melanie Etzold auch viel dazu. „Letztens habe ich aus Versehen Lavendel an die Nudelsoße getan, weil ich dachte, das seien Kräuter. Da kann mir Silvia noch viel beibringen“, sagt die Doktorandin.
Ein gutes Team sind die beiden, die nicht nur die Haarfarbe und das Fachgebiet teilen, sondern auch einen ähnlichen Humor haben. Im Flur liegt ein kleines WG-Büchlein, in das beide Nachrichten reinschreiben wie „Silvia, ich fahre heute Abend weg und komme morgen Mittag wieder. Kannst du Filou füttern?“, „Denk dran, morgen kommt die Müllabfuhr“ oder „Marie hat für dich angerufen“.
Noch nie alleine gewohnt
Silvia Neumann hat bereits reichlich WG-Erfahrung, nicht nur aus der Studienzeit. „Nach meinem Studium arbeitete ich als Redakteurin“, erzählt sie. „Da habe ich auch in WGs gewohnt“. Als Äbtissin in einem Damenstift wohnte sie danach zehn Jahre mit anderen Frauen zusammen. Im Unterschied zu den früheren WGs geht es ihr jetzt aber viel mehr um das Persönliche: „Der Kontakt zu Jüngeren tut mir gut und bereichert mich. Man bekommt neue Anregungen“, sagt Neumann.
Vor Melanie Etzold wohnte die Studentin Luise Kopold* für ein halbes Jahr bei ihr, bevor sie in ihr Wunschwohnheim ziehen konnte. „Vor kurzem kam Luise dann mit ihren Freunden vorbei, um ihren Geburtstag an unserer schönen Feuerstelle zu feiern, das freut einen natürlich“, erzählt Neumann.
„Oh, das ist aber mutig“
Von Bekannten und Nachbarn erfuhr Silvia Neumann nicht nur Begeisterung über ihre neue Wohnidee. „Als meine Nachbarin das erste Mal davon hörte, sagte sie ‚Oh, das ist aber mutig’.“ Daraufhin habe Neumann erwidert, dass es nicht mutig sei, weil man sich doch gegenseitig kennenlerne. „Da fand sie die Idee dann gar nicht mehr so schlecht.“ Skepsis sei dennoch in der Regel die erste Reaktion.
Neumann würde jederzeit wieder bei „Wohnen für Hilfe“ mitmachen. „Das Schöne ist, dass man jung bleibt. Man erinnert sich an seine eigene Studienzeit zurück. Wenn ich Melanie sehe, wie sie an ihrer Doktorarbeit schreibt, überlege ich, ob ich nicht selbst noch promovieren soll“, sagt Silvia Neumann lachend.
*Nachname geändert
http://www.dresdentouristen.de biete Wohnungen auch für Flüchtlinge in 01328 Dresden ( Hund und Katze erlaubt )
Lieber Herr Bück, danke für den Hinweis!