Bitte nicht hetzen!
„Besserwissern, Wichtigtuern oder Paranoikern, die sich im normal life intellektuell verkannt, sozial missachtet fühlen oder einfach viel Zeit haben, bietet das Web 2.0 ein überaus reichhaltiges Angebot, ihren Neigungen rund um die Uhr nachzugehen“, schrieb der Journalist Rudolf Maresch im Januar 2007 in seinem Beitrag „Die Bühnen des Mobs und der Wichtigtuer“ für das Onlinemagazin Telepolis. Knapp neun Jahre später ist der Mob digital präsenter denn je – und weitaus gefährlicher.
Wirft man dieser Tage einen Blick in die Kommentarspalten einer x-beliebigen Nachrichtenseite oder unter Artikel-Posts in sozialen Netzwerken, stößt man erschreckend häufig auf offene Anfeindungen, Diskriminierung und Gewaltandrohungen gegen einzelne Internetnutzer oder gleich ganze Personengruppen.
In den USA hat sich dafür der Begriff „Hate Speech“ (zu Deutsch etwa Hassrede) etabliert. Spätestens mit der öffentlich geführten Flüchtlingsdebatte und dem Aufkommen von Pegida ist dieses Phänomen auch hierzulande zu einem ernstzunehmenden Problem geworden.
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) stellt in ihrem Jahresbericht 2014 ebenfalls eine „starke Zunahme von Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Hassreden im Internet und fremdenfeindlichen politischen Äußerungen fest“.
Zwar werden entsprechende Verstöße in der Bundesrepublik zunehmend wegen Volksverhetzung nach Paragraph 130 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs zur Anzeige gebracht, eine abschreckende Wirkung lässt sich bislang dennoch kaum feststellen. Dabei können Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren verhängt werden.
Eine Stimmung wie 1992
Die Politik scheint den Ernst der Lage verstanden zu haben. „Häufig bleibt es nicht bei Hassreden, oft sind Worte die Vorstufe von Taten“, erklärt Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz in seinem Vorwort für die Aufklärungsbroschüre „Geh sterben!“ der Amadeu Antonio Stiftung. „Dass aus ‚geistiger Brandstiftung‘ viel zu oft Gewalt wird, zeigt der sprunghafte Anstieg von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte.“
Während in Dresden und anderen Städten die vermeintlichen Retter des Abendlandes aufmarschieren, mahnen andere vor einer Stimmung wie in der Nachwendezeit. Die Parallelen zu den rassistischen Ausschreitungen 1992 in Rostock-Lichtenhagen sind bereits von diversen Medien aufgegriffen worden.
Größer als damals ist allerdings die Reichweite, mit der die Flüchtlingsgegner dank moderner Technologien ihre Parolen verbreiten können. Für Medienmacher, Seitenbetreiber und friedliche Internetnutzer ist das Ankämpfen gegen diese Form von Hass und Hetze eine besondere Herausforderung.
Am Ende hilft nur die Löschung
Gänzlich harmonisch ist es im Web nie zugegangen. Dafür hat sich die Troll-Kultur zu rasant entwickelt. Hate Speech stellt aber eine völlig neue Dimension dar, vor der ganze Seiten in die Knie gehen.
Die Süddeutsche Zeitung etwa hat die Kommentarfunktion unter ihren Artikeln deshalb abgestellt und lässt nur noch zu Themen ohne besonderes Konfliktpotenzial Lesermeinungen zu. Auf tagesschau.de werden Kommentare standardmäßig nach spätestens acht Stunden deaktiviert.
In den sozialen Netzwerken fehlt den Zeitungen und Fernsehsendern solch eine ohnehin fragwürdige Kontrollfunktion. Einzige Handhabe ist eine verschriftlichte Netiquette, die dem Nutzer die Spielregeln für eine vernünftige Diskussion nahelegt. Im Zweifelsfall ist diese Netiquette jedoch ein ähnlich großes Hindernis wie ein „Betreten verboten“-Schild auf einem Parkrasen.
Wird der hetzerische Nutzerkommentar gelöscht, beruft sich der Verfasser auf seine Meinungsfreiheit und mokiert sich über die Zensur. An dieser Stelle fehlt die Unterstützung der Netzwerke beim Kampf gegen Hate Speech.
Hetze darf bleiben, Nacktheit nicht
In den Facebook-Gemeinschaftsstandards heißt es: „Inhalte, die Personen basierend auf tatsächlicher oder empfundener Rasse, Ethnizität, nationaler Herkunft, Religion, Geschlecht, Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung, Behinderung oder Krankheit angreifen, sind nicht gestattet.“ Ausnahmen bilden eindeutig humoristische oder satirische Versuche.
Böse Zungen könnten dem US-Unternehmen unterstellen, besonders viel Humor zu besitzen. Damit ließe sich zumindest teilweise erklären, warum das weltweit größte soziale Netzwerk insbesondere in Deutschland so überaus behäbig gegen Hassbotschaften vorgeht – aber andererseits Inhalte wegen Nacktheit innerhalb kürzester Zeit sperrt.
Den Beweis dafür lieferte erst kürzlich Fotograf Olli Waldhauer, dessen Aufnahme von der entblößten Schauspielerin Leila Lowfire und dem als Rassisten dargestellten Schauspieler Matthias Weidenhöfer immer wieder von Facebook entfernt wurde, weil Lowfire oben ohne zu sehen ist und nicht etwa, weil das Bild eine hetzerische Aufforderung enthält.
Ob Facebook künftig wirklich – wie gegenüber Bundesjustizminister Heiko Maas angekündigt – stärker gegen Hate Speech vorgehen wird, ist fraglich. Gegen drei Geschäftsführer der Facebook Germany GmbH läuft derzeit ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg wegen Volksverhetzung.