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Das bequeme Veto

Von Sagwas-Redaktion / 9. Februar 2012
picture alliance / Zoonar | JANUSZ PIENKOWSKI

„Keine Regierung der Welt tötet ihre eigene Bevölkerung, es sei denn, an ihrer Spitze steht ein Verrückter,“ sagte der syrische Präsident Bashar al-Asad Anfang Dezember 2011 in einem Fernsehinterview mit ABC. Die Verantwortung für die Gewalt in Syrien lehnte er rundheraus ab, und obwohl er der Verfassung nach Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, be­kundete er, niemand […]

„Keine Regierung der Welt tötet ihre eigene Bevölkerung, es sei denn, an ihrer Spitze steht ein Verrückter,“ sagte der syrische Präsident Bashar al-Asad Anfang Dezember 2011 in einem Fernsehinterview mit ABC. Die Verantwortung für die Gewalt in Syrien lehnte er rundheraus ab, und obwohl er der Verfassung nach Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, be­kundete er, niemand habe das Kommando über die syrische Armee. Haben wir es im Falle Bashar al-Asads also mit einem Verrückten – seiner eigenen Definition nach – zu tun? Wer seinen Fernsehauftritt verfolgte, konnte in der Tat diesen Eindruck haben, wirkte der Präsident dort doch wie eine Karikatur seiner selbst.

Im Rahmen seiner eigenen Logik handelt das Regime jedoch rational. Seit Jahrzehnten hat es die Erfahrung gemacht, dass internationaler Druck kommt und geht, ungeachtet des eigenen Verhaltens. In den 80er Jahren war Syrien aufgrund seiner Beziehungen zu allen namhaften Terrororganisatio­nen mit US-Sanktionen belegt. Trotz syrischer Kooperation im „Krieg gegen den Terrorismus“ verschlechterten sich die Beziehungen zu den USA, und nachdem Syrien 2005 als Drahtzieher des Mordes am ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri verdächtigt wurde, wurde der Druck aus den USA und Europa so groß, dass Syrien sich aus dem Libanon zurückziehen musste. In all diesen Krisen hat Syrien jedoch die Erfahrung gemacht, dass es im Großen und Ganzen ausreicht abzuwarten, bis sich der Sturm legt.

Neu an der derzeitigen Lage ist, dass sich die syrische Regierung mit einer Doppelkrise in der Innen- und Außenpolitik konfrontiert sieht. Weder hatte sie mit dem Durchhaltevermögen der eigenen Bevölkerung noch mit der scharfen internationalen Kritik an der fortgesetzten Gewalt gerechnet.

Obwohl Bashar al-Asad zu Beginn der Proteste in Syrien bereits das Schicksal des tunesischen Präsidenten Ben-Ali und Hosni Mubaraks hatte mitverfolgen können, hat er von Anfang an den Fehler begangen, die eigene Bevölkerung nicht ernst zu nehmen. Einen Dialog hat er nie in Betracht gezo­gen, auch wenn zumindest in den ersten Wochen der Sturz des Regimes nicht die Kernforderung der Protestierenden war. Mit seiner Rede an das Parlament Ende März 2011 schürte Bashar al-Asad den Zorn derer, die bereits Ange­hörige und Freunde durch das harsche Vorgehen der Sicherheitskräfte verloren hatten, indem er mit lauen Scherzen abzuwiegeln versuchte.

In Sachen Humor hat die Opposition eindeutig die Nase vorn. Jede Woche erscheint auf YouTube unter anderem eine neue Folge des Fingerpuppentheaters „Top Goon: Tagebuch eines kleinen Diktators“, in dem Bashar, verniedlicht als „Beeshu“, auf die Schippe genommen wird. Als der Präsident in den ersten Tagen des Aufstands ein weiteres Mal Reformen ver­sprach, verkündete sein kleiner Parodist auf YouTube, man habe auch den Präsidentensessel reformiert: „Wir haben Spezialkleber aus China genutzt, damit ich nicht davon ent­fernt werden kann! Er ist eigens aus Russland importiert und hat iranische Ersatzteile!“

Auch wenn diese Episode schon älter ist, hat sie nichts an Aktualität eingebüßt. Weiterhin sind es China, Russland und Iran, die dem unpopulären Regime unbeirrt die Treue halten. Russland, nachhaltig verstimmt darüber, seiner Ansicht nach von der NATO im Falle Libyens über den Tisch gezogen worden zu sein, hat gerade am vergangenen Wochenende gemeinsam mit China im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wieder eine Resolution gegen Syrien blockiert.

Derweil weigert sich die syrische Regierung anzuerkennen, dass es bei den Protesten um politische Fragen geht, die sich nicht durch die Sicherheitskräfte und die sogenannten Shabeehas, gedungene Mörderbanden, aus der Welt schaffen lassen. Bashar al-Asad und seine Getreuen verhalten sich beharrlich, als glaubten sie die eigenen Lügen über vom Ausland gesteuerte Terroristen, nach deren erfolgreicher Bekämpfung man zur Normalität zurückkehren könne. „Wir hätten auch gerne eine politische Lösung,“ tönte Bashar al-Asad in einer Rede an der Universität Damaskus im Juni 2011, „aber die Methode zur Lösung eines Problems wird nicht durch unsere Ansichten, sondern durch die Natur des Problems bestimmt.“

Obwohl die meisten Beobachter sich einig sind, dass Asads Tage gezählt sind, herrscht Ratlosigkeit, was das Danach betrifft. Trotz ihrer Ausdauer und des erklärten Ziels, das Regime zu stürzen, kann die Opposition nicht mit einer klaren Alternative aufwarten. Es mangelt nicht an respek­tierten Größen – angefangen von Riad Turk, der im Laufe seines Lebens unter vier verschiedenen syrischen Regie­rungen politischer Gefangener war, Burhan Ghalioun, dem Vorsitzenden des Syrischen Nationalrats, bis hin zur jungen Rechtsanwältin und Untergrundaktivistin Razan Zeitouneh, die vom US-Magazin Foreign Policy auf Platz 1 der hundert weltweit führenden Denker gewählt wurde. Doch die zahlreichen Splittergruppen, aus denen sich die Opposition zusammensetzt, sind selbst in grundlegendsten Fragen uneins.

An eine militärische Intervention denkt im Moment niemand ernsthaft. Zivile Initiativen wie „Adopt a revo­lution“ arbeiten in enger Koordination mit den inner­syrischen lokalen Koordinationsgruppen und bietet transparente Möglichkeiten, diese zu unterstützen. Medico international unterstützt die Untergrundkrankenhäuser, denn wer sich mit „Protestverletzungen“ in einem staat­lichen Krankenhaus behandeln lässt, läuft Gefahr, dort verhaftet, gefoltert oder getötet zu werden. Jenseits dieser zivilen Initiativen herrscht jedoch Ratlosigkeit, was man politisch und diplomatisch mit dieser hochdynamischen, aber schwer fassbaren Revolution anfangen soll.

Nicht nur der syrische Präsident kann also dieser Tage Russland und China dankbar sein. Auch wenn Deutschland und andere westliche Staaten „Entsetzen“ über das Veto im UN-Sicherheitsrat äußerten, bewahrt es sie doch davor, tatsächlich aktiv werden zu müssen.

Diskutiert mit! Tun Russland und China uns einen Gefallen? Wir können mit den Fingern empört auf die beiden Spalterstaaten zeigen, entrüstet sein, und die Hände weiterhin in den Schoß legen, während in Syrien tagtäglich Menschen sterben. Was kann und soll Deutschland tun? Sein politisches Gewicht in Russland und China einsetzen? Oder ist das unrealistisch und bringt nichts außer Schäden in den Beziehungen zu den beiden Weltmächten? Was meint Ihr?
(Anmerkung der sagwas-Redaktion)

 Über die Autorin:

Bente Scheller kennt sich gut aus im Nahen Osten und ganz besonders in Syrien. Nach Ihrem Studium der Politik­wissenschaft, mit Schwerpunkt Außen- und Sicherheits­politik, arbeitete sie im Rahmen des Anti-Terror-Programms der Bundesregierung von 2002 bis 2004 als politische Referentin für die deutsche Botschaft in Syrien. Zurück in Berlin promovierte sie mit einem Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung zur syrischen Außenpolitik. Im Anschluss zog sie für drei Jahre in die afghanische Haupt­stadt Kabul und leitete dort das Regionalbüro der Heinrich-Böll-Stiftung. Ab Mitte 2012 wird sie erneut umziehen. Dann geht Bente Scheller für die Heinrich-Böll-Stiftung nach Beirut.

4 Antworten auf „Das bequeme Veto“

  1. Von Vincent am 13. Februar 2012

    Das eigentliche Problem ist Information. Was passiert wirklich in Syrien und was ist Propaganda?

    So eindeutig wie in den Nachrichten ist die Lage nämlich nicht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich unter die nach Freiheit strebende Bevölkerung mittlerweile Gruppen mit ganz eigenen Interessen gemischt haben, Islamisten zum Beispiel.

    Wäre es eindeutig die Bevölkerung versus Regime, dann müsste die Responsibility to Protect greifen und Assad „entfernt“ werden.

    Aber so bin ich mir nicht sicher und daher ist es vermutlich nicht verkehrt, erst einmal abzuwarten. Das Veto kommt da gerade recht.

  2. Von Christoph Schlimpert am 13. Februar 2012

    Deutschland muss Russland auf diplomatischen Kanälen klar machen, wie hoch die politischen Kosten im Fall eines Festhalten an der Unterstützung Assads sind. Militärische Intervention ist auch abgesehen vom Fehlen eines UNSR-Mandats (noch)keine sinnvolle Option. Man sollte dennoch Kapazitäten und Operationskonzepte vorbereiten, um im Falle einer weiteren Eskalation schnell humanitäre Hilfe leisten zu können. Wichtig ist zudem die weitere logistische Unterstützung der Opposition. Die RtoP greift hier übrigens bereits, denn sie ist nicht auf mil. Interv. beschränkt. (www.schutzverantwortung.de)

  3. Von bjoernkunter am 17. Februar 2012

    600 Zeichen ???
    Das ist mir zu wenig. siehe: https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=2924693349214&id=1017271907

  4. Von Gast2 am 18. Februar 2012

    Auch wenn es bequem ist: Das Veto ist der richtige Weg, weil die Resolution nicht zur Lösung des Konflikts beiträgt.

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