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Das Geschäft mit der Wut

Von Angelina Scholz / 2. April 2025
picture alliance / Westend61 | Jan Tepass

Shitstorms waren früher gefürchtet, heute nutzen einige Influencer*innen die negative Aufmerksamkeit geschickt für sich. Über eine wertvolle Emotion im Internet: Wut.

Unser Alltag spielt sich vermehrt in der digitalen Welt ab. Laut dem Digital Report 2024 sind 81,4 Prozent der Nutzer*innen in Deutschland regelmäßig auf Social Media aktiv und verbringen dort im Schnitt eine Stunde und 39 Minuten täglich. Neben Unterhaltung, Inspiration und Vernetzung ist eine Emotion auf diesen Plattformen besonders präsent: Wut. Aber warum?

Beiträge, die Freude, Trauer oder Empörung hervorrufen, erzielen in sozialen Netzwerken höhere Interaktionsraten. Dieser Mechanismus begünstigt die Verbreitung polarisierender Inhalte, da sie die Nutzer*innen länger auf der Plattform halten – ein wirtschaftlicher Vorteil für die Anbieter*innen. Auch Creator*innen profitieren davon, wenn hitzige Debatten oder scharfe Kritik die Kommentarspalten füllen, denn negative Aufmerksamkeit steigert die Reichweite.

Ein beliebtes Mittel ist das sogenannte “Rage Bait”, was das altbekannte „Click Bait“ neu erfindet. Statt reißerischer Thumbnails oder irreführender Titel werden gezielt provokante Inhalte platziert, um Empörung hervorzurufen und die Interaktionen zu steigern. Der heutige Social-Media-Markt ist gesättigt, sodass viele Creator*innen verzweifelt um Aufmerksamkeit buhlen. So wie Jeremy Fragrance. Eigentlich spricht er über Parfüm, aber er steht auch oberkörperfrei vor der Kamera und isst Eier mit Schale. Außerdem teilt er fragwürdiges Halbwissen über Lebensmittel und das Leben an sich.

Auch der Anzeigenhauptmeister, wie er sich auf Instagram nennt, fällt unter diese Kategorie. Er fährt durch ganz Deutschland und zeigt Falschparker an. Beide Influencer haben gemeinsam, dass sie ihren Content, der einst unterhaltsam oder informativ war, bewusst gegen bizarre und provokante Inhalte ersetzt haben. Dadurch generieren sie weiterhin hohe Aufmerksamkeit, aber um den Preis, dass ihr Image leidet. Trotzdem scheint sich die Strategie zu rentieren – die Macht des sogenannten „Shitstorm“ wissen sie für sich zu nutzen.

Die Kraft des Shitstorms

Große Skandale oder Skandalisierungen riskieren, im Internet Shitstorms auszulösen. Die sind gefürchtet, weil sie das Image von Einzelpersonen oder Unternehmen nachhaltig schädigen. Shitstorms können auf unethisches Handeln folgen. So zum Beispiel anlässlich der Veröffentlichung einer Dove-Werbung aus dem Jahre 2017; da zieht sich eine schwarze Frau ihre “Haut” ab und wird zu einer weißen. Die rassistisch wirkende Botschaft empörte viele Menschen.

In der akuten Phase eines Shitstorms entwickelt dieser sich rasant und durch die Anonymität im Netz ergießt sich eine Empörungswelle aus aggressiven oder menschenverachtenden Äußerungen in die Kommentarfelder der sozialen Medien fast unaufhaltsam. Durch die fehlende Hemmschwelle sind die Grenzen zu Cybermobbing oft fließend, die Situation spitzt sich zu. Der Schaden kann höchstens durch eine geschickte Kommunikation der Einzelpersonen und Unternehmen begrenzt werden. Allerdings, und das wissen manche Influencer*innen auszunutzen, gehen diese Inhalte viral und erzeugen eine enorme Anzahl an Klicks. Aufmerksamkeit, die sich monetarisieren lässt.

Polarisierung durch Filterblasen

Wut entfachende Gefühle können durch Filterblasen verstärkt werden. Jede*r von uns hat seinen individuellen Feed. Allerdings fällt das gar nicht auf, da genügend Gleichgesinnte in den Likes und Kommentarspalten auftauchen. Der Algorithmus konfrontiert uns mit Meinungen, die unseren eigenen entsprechen. So gelangen wir schnell in eine Filterblase. Wir beschäftigen uns mit Themen, die uns ansprechen, und informieren uns daher oft nur einseitig. Wird uns doch mal ein Beitrag angezeigt, der unseren Ansichten widerspricht, erzeugt das Wut, die wir in den Kommentaren zum Ausdruck bringen: Wir wollen Dampf ablassen. Durch Filterblasen einerseits und eine Bevorzugung von polarisierenden Inhalten durch die Algorithmen sozialer Netzwerke andererseits ist es nicht verwunderlich, wenn die Kommentare ebenfalls Streit provozieren. Hier gibt es entweder nur eindeutigen Zuspruch oder harsche Kritik, schwarz oder weiß. Eine sachliche Diskussion ist kaum bis überhaupt nicht mehr möglich.

Das hat Folgen für unsere Gesellschaft. Wir führen eben nicht nur online hitzige Debatten, sondern auch offline; wir hören dem Gegenüber nicht mehr richtig zu, sind beleidigt oder werden beleidigend – und am Ende steht nicht mehr die Sache selbst, sondern die Wut im Raum.

Doch das muss nicht sein. Einer Untersuchung in den USA zufolge kommen wir im Internet eher mit Inhalten in Berührung, die uns empören. Im persönlichen Kontakt mit anderen Menschen oder beim Konsum von klassischen Medien, wie Radio oder Fernsehen, ist das weniger der Fall. Durch die sozialen Medien nehmen wir die Welt gespaltener wahr, als sie tatsächlich ist.

Dem “Wut-Strudel“ entkommen

Wir sind dem Algorithmus nicht ausgeliefert. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, wie er funktioniert. Wir teilen nicht nur Beiträge mit Freund*innen oder unserer Familie, die wir lustig oder traurig finden, sondern auch solche, die uns wütend machen. Freude verbindet eben genauso gut wie die gemeinsame Wut auf etwas. Von diesem Rezept profitiert jede Demo. Mit unserer digitalen Interaktion erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit, dass uns in Zukunft häufiger ähnliche Beiträge angezeigt werden. So bleiben wir in einer Art selbst erschaffenem „Wut-Strudel“ gefangen. Allerdings: Wir selbst haben die Kontrolle über unsere Reaktionen.

Wenn wir also das nächste Mal etwas Provokantes in den Feed gespült bekommen, sollten wir das Ganze erst einmal kritisch hinterfragen, statt unmittelbar emotional aufgeladen zu reagieren. Kritik zu äußern ist legitim und wichtig, aber sie muss konstruktiv sein; gegenseitiges Beleidigen schafft kein Verständnis füreinander und Beleidigungen sind keine Argumente. Für viele Themen gilt, dass es eben nicht nur ein Für oder Gegen gibt. Eine breitere Meinungsvielfalt in den sozialen Medien wäre nicht nur wünschenswert, sondern täte uns auch als Gesellschaft abseits der Bildschirme gut.

Eine Antwort zu “Das Geschäft mit der Wut”

  1. Von Sven am 2. April 2025

    Was liebe ich doch meinen guten alten RSS-Feed. Klar, der kann am Ende auch eine Filterblase werden, wenn ich tatsächlich nur Inhalten folge, die mir gefallen. Und die landen dort tatsächlich drin, zusätzlich habe ich aber auch bei Google Feeds zu verschiedenen Themen abonniert, wo eben alles reinkommt, was die Suchmaschine zu diesen Themen findet. Dadurch ist die Blase dann schon nicht mehr ganz so schlimm, auch wenn immer noch genügend Wohlfühlcontent enthalten ist.

    Um Algorithmen zu entgehen, gibt es die einfache Möglichkeit, von kommerziellen Plattformen wie X oder BlueSky ins Fediverse zu wechseln. Damit kommen aber viele nicht klar, eben weil die Algorithmen fehlen. Es wird nichts rausgefiltert oder verstärkt, allerdings kann ich dort auch ohne Algorithmen meine Blasen bauen, denn es kommt ja doch immer darauf an, wem mensch folgt.

    Ich bin auch nicht überzeugt davon, dass die Algorithmen an alldem Schuld sind. Klar, wenn sie dann – wie von Musk – missbraucht werden, um bestimmte Inhalte zu puschen, dann ist es offensichtlich, aber ich habe mich von Twitter schon früher verabschiedet, weil solche Netzwerke halt auch das sind, was die Nutzer*Innen selbst daraus machen. Der Hass kam dort nicht allein durch die Algorithmen rein, er kam durch die Polarisierung, durch die Gruppen, die sich um große Influencer*Innen gebildet haben, die dann die Meinung vorgaben. Da konnte dann schon eine minimale Abweichung von deren Sichtweise dazu führen, dass du den Hass einer ganzen Gruppe abbekommst.

    Und da würde ich dann sogar weitergehen und sagen, dass dieses Verhalten durch unsere Sozialisierung gefördert wird und nicht durch Algorithmen und soziale Netzwerke. Denn wenn ich in einem System aufwachse, welches nicht demokratisch, sondern autoritär gestaltet ist, dann wird sich das auch in meinem Verhalten immer wieder spiegeln. Wir brauchen endlich demokratische Institutionen! Schule, Familie, Arbeit, alles muss radikal demokratisiert werden. In der Schule und in der Familie muss demokratisches Handeln im Mittelpunkt stehen und demokratische Werkzeuge müssen nicht nur erlernt, sondern auch genutzt werden! Diskutieren muss in Familie und Schule positiv besetzt werden, das Streiten über politische und gesellschaftliche Themen ebenso. Wer all das nicht lernt, weil das Machtwort eben von Lehrer*Innen oder Eltern gesprochen wird, ohne das Thema zu diskutieren und ohne auf Argumente einzugehen, lernt halt genau das und eben nicht die Qualifikationen, die für eine demokratische Gesellschaft grundlegend wären.

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