Das Glück dokumentieren
Ist es verrückt, mit einem Mini-Budget und nur einer vagen Idee im Kopf mitten im indischen Dschungel einen Dokumentarfilm zu drehen? Ja, das ist es wohl. Sagwas-Autorin Nora Große Harmann hat es dennoch getan.
Herbst 2014, ich treffe eine Kollegin von mir, eine Journalistin, auf einen Kaffee. Wir haben uns lange nicht gesehen, stellen uns also, um einen Gesprächseinstieg zu finden, die Frage: „Und, was machst du so?“
Ich erzähle ihr, dass ich mit meinem Freund, der Kameramann ist, ein Filmprojekt in Südindien plane. Einen Dokumentarfilm, der Aussteigerglück und Heimatsuche in der internationalen Musterstadt Auroville porträtiert. Eine Geschichte über ein antikapitalistisches, alternatives Gesellschaftskonzept. Drei junge Menschen auf der Suche nach Selbstverwirklichung, Nachhaltigkeit und Lebenssinn.
Der Film ist ein Versuch, den Traum vom großen Glück zu dokumentieren. Inspiriert von meiner besten Freundin, die in Auroville geboren wurde, lange in Deutschland gelebt hat und seit 2014 wieder in ihrer alten Heimat ist.
Eine Frage des Geldes
Meine Kollegin nickt interessiert. Dann möchte sie wissen, mit welcher Produktionsfirma wir zusammenarbeiten, welcher Sender unser Projekt gekauft hat, ob wir Filmförderung bekommen. Wir bekommen kein Geld von außen. Sie fragt: „Wie wollt ihr das bezahlen?“
Ich erkläre ihr, dass wir den Film selbstständig produzieren wollen, um ihn dann Filmfestivals und Sendern anzubieten. „Aurovilles Kinder“ sei unser erster gemeinsamer Film, ein Herzensprojekt. Ich merke, wie mir meine Kollegin immer weniger zuhört. Irgendwann wechseln wir das Thema.
Ist es wirklich so verrückt, auf eigene Kosten einen Film im Ausland zu drehen? Geld zu investieren in ein Projekt, von dem man nicht weiß, ob es sich irgendwann rentiert? Um ehrlich zu sein: Das haben wir uns nicht wirklich gefragt. Viel zu begeistert sind wir von unserer Idee, viel zu neugierig auf das, was uns in Indien erwarten wird.
Utopiestadt ohne Politik und Religion
Auroville wurde 1968 im Zuge der Hippie-Bewegung gegründet. Heute leben dort etwa 2.500 Menschen aus aller Welt. Auroville ist eine Utopiestadt, in der Menschen ohne Religion, ohne Politik und ohne Besitz leben wollen. Diese Ziele kommen uns unmöglich vor. Je intensiver wir uns mit unserem Vorhaben beschäftigen, je tiefer wir in den Drehvorbereitungen stecken, desto unmöglicher erscheint uns auch unser Filmprojekt.
Bevor wir nach Indien fliegen, lesen wir alles, was uns über Auroville in die Hände fällt. Während ich fast täglich mit dem Pressebeauftragten der indischen Botschaft telefoniere, um Drehgenehmigungen und Journalistenvisa zu bekommen, sitzt mein Freund an Excel-Tabellen, um unsere Ausgaben so günstig wie möglich zu kalkulieren. Wir fühlen uns gut vorbereitet – und doch haben wir keine Ahnung, was uns in Indien erwarten wird.
Auf einem rostigen Motorrad durch den Dschungel
Im Februar 2015 geht es los. Acht Stunden dauert es von Berlin bis Chennai in Südindien, dann noch einmal drei Stunden mit dem Taxi durch die Pampa. Als wir ankommen, ist es bereits dunkel. Todmüde fallen wir in unsere Betten aus Bambusrohr und finden doch keinen Schlaf – zu aufgeregt sind wir und zu laut sind die Zikaden.
In den kommenden Wochen transportieren wir täglich 20 Kilo Kameratechnik auf einem rostigen Motorrad durch den Dschungel. Wir filmen Bürgerversammlungen, Chorproben, Surfstunden und tamilischen Schulunterricht. Wir treffen mutige, willensstarke Menschen, nehmen emotionale O-Töne auf und machen Jagd auf die für Indien so typischen violett-roten Sonnenuntergänge.
Dabei läuft nicht alles so wie geplant. Wir lernen, dass Auroville einen anderen Rhythmus hat als die Welt außerhalb. Drehtermine auszumachen und sich dann auch darauf verlassen zu können, dass der Protagonist pünktlich erscheint, ist fast unmöglich. Jeder hier scheint 24 Stunden am Tag beschäftigt zu sein. Auroville – eine Stadt, in der entspannte Hippies nichtstuend unter Mangobäumen hocken? Das ist ein Klischee, das wir schon zu Beginn unserer Dreharbeiten abschütteln müssen. Am Ende ist dann aber doch alles im Kasten.
„Kind, soll ich nicht doch noch was überweisen?“
Leipzig, Deutschland, Anfang 2016. Wir sitzen vor 30 Stunden Drehmaterial und fragen uns, wie daraus je ein fertiger Film werden soll. All unser Geld ist aufgebraucht. Oma und Opa wollen wir nicht anpumpen – es muss doch irgendwie auch anders gehen.
Beim Gedanken an meinen Kontostand kann ich nachts nicht schlafen. Ich höre, wie mein Freund am Schreibtisch noch immer in die Tasten haut. Im Kopf gehe ich durch, wofür wir Geld brauchen: Schnitt, Tonmischung, Filmmusik, Farbkorrekturen, Festivalgebühren.
Crowdfunding als Lösung
Wir entscheiden uns für Crowdfunding als Lösung für unser Geldproblem. Wir entwerfen ein Finanzierungskonzept, drehen ein Marketingvideo, starten eine großen Aufruf in den sozialen Netzwerken, schreiben zig Emails an Stiftungen, Vereine, Lokalzeitungen und Radiosender. Nach der Hälfte der Finanzierungszeit ist gerade einmal ein Drittel der benötigten Summe zusammen. Meine Oma ruft an: „Kind, soll ich nicht doch noch etwas überweisen?“
Einen Tag später aktualisiere ich missmutig unsere Crowdfunding-Webseite. Vielleicht hat sich ja doch noch jemand erbarmt? Dann reibe ich mir verdutzt die Augen. Kann das denn wirklich sein? Ein großzügiger, uns unbekannter Mensch aus Nordrhein-Westfalen hat uns eine ziemlich große Summe gespendet. Damit ist unser Projekt finanziert. Unmögliches ist eben doch möglich, wissen wir jetzt – nicht nur in Auroville.
Infos zum Film: